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Berliner Kulturbilder
Berlin teilt sich. Westliches und östliches Gepräge. Die Wirtschaft begann damit bereits vor der Wahl im Zeichen der Luftbrücke: Westliche Konserven und östliche Propaganda-Frischkartoffeln…
Seit der Wahl im Dezember scheidet sich aber auch die Kultur. Das Volksbildungsamt soll nach der neuen Verfassung zum Kultusministerium umgebildet werden, da Berlin nach der Verfassung anstatt eines Stadtmagistrats eine Landesregierung erhalten hat. Nun regieren zwei Lehrer als Kultusminister und verwalten den Berliner Kulturbesitz, zwei Leute, aus der gleichen Partei hervorgegangen, stehen sich heute Walter May als Vertreter der SPD im westlichen Berlin und Max Kreutzinger von der SED im östlichen Berlin gegenüber.
Beide vertreten das im vorigen Jahr noch gemeinsam geschaffene Schulgesetz. Die demnächst zu erwartenden Ausführungsbestimmungen werden die verschiedenen Interpretationen bereits zeigen. In Westberlin hat die CDU gegen das Gesetz den Kampf angesagt. Sie sitzt in der Regierungskoalition. Zehn Konfessionsschulen waren eine erste Konzession an sie. Von neun städtischen Bühnen liegen jetzt drei im Westen und sechs im Osten. Der westliche Finanzminister ist dessen froh, Theater kosten Geld, Westgeld, das allein geeignet ist, die „Stars“ anzulocken. Erich-Otto, der Vorsitzende der deutschen Bühnengenossenschaft, berechnete kürzlich, daß mehr als 200 Prominente der Bühne nach dem Kriege Berlin ferngeb’liaben sind. Sie hatten den Ruf der Theaterstadt an der Spree zum guten Teil durch ihre hervorragende künstlerische Arbeit Jahrzehnte hindurch mitgestaltet. Berlin tut alles, um auch unter den schwierigsten Bedingungen seiner Geschichte den Glanz der Bühne eines Otto Brahm, Max Reinhardt, der Jessner und Piscator fortzusetzen, ohne Gründgens, ohne Fehling, ohne den zu früh verstorbenen Karlheinz Martin, ohne die große Schar der großen Darsteller.
“Wird die Bühne nun zum politischen Forum? Manche Anzeichen sprechen dafür. Das „Deutsche Theater“ unter russischer Protektion hatte neben anderen östlichen Bühnen längst in den Tageskampf eingegriffen. „Die russische Frage“ führte zu Auseinandersetzungen zwischen den Alliierten. „Oberst Kusmin“ und einige russische Stücke verschärften die Tendenz. Selbst deutsche Stücke, wie Friedrich “Wolfs „Matrosen von Gattaro“, bekamen eine parteipolitische Färbung, die ihnen ursprünglich nicht anhaftete. Sie vertrieben das theaterfrohe Publikum, und Uja Ehrenburg erlebte einen schweren Mißerfolg mit dem „Löwen auf dem Marktplatz“. In Westberlin verficht die Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ eine Irredentapolitik. Sie fordert zum Boykott aller östlichen Theater auf, veröffentlicht keine Besprechungen ihrer Aufführungen, bringt keine Ankündigungen und Inserate, predigt Kampf jedem östlichen Einfluß. Die übrigen westlichen Zeitungen folgen dieser für die kulturelle Entwicklung Berlins folgenschweren Parole nicht.
Nun hat das westliche Renaissancetheater den kommunistischen Fehdehandschuh aufgenommen. Es zeigte die ;„Schmutzigen Hände“ von Jean Paul Sartre. Die tiefenpsychologische Auseinandersetzung des Exi- stentialphilosophen wird von dem als Schauspieler genialen O. C. Hasse so zusammengestrichen, daß die politische Tendenz schärfer hervorleuchtet, nicht zum Nutzen der Absichten des Dichters.
Berlin lebt im Mittelpunkt einer politisch völlig zum Platzen geladenen Atmosphäre. Alles drängt zur Entscheidung. Die vermittelnden Diskussionen haben aufgehört. Man schließt sich ab, auch in den kulturellen Sektoren. Die letzte Brücke ist gesprengt. In Charlottenburg gibt es keine Ostzeitungen. unter den Linden ist es gefährlich, den „Telegraf“ ‘ oder den „Tagesspiegel“ zu lesen. Kein Film überschreitet mehr die Sektorengrenze, über Bücher werden wieder schwarze Listen aufgestellt, und die Büchereien erleben eine erneute „Säuberung“. Geteilte Kultur.
Deutschlands Schicksal! Deutschlands Zukunft: — „West- und östliches Gelände, ruht im Frieden deiner Hände.“
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