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Berlusconi mit falscher Frisur

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200 Tage Berlusconi als Ministerpräsident, die hochgesetzten Erwartungen hat er nicht erfüllt. Wann wird Italien eine reife Demokratie?

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200 Tage Berlusconi als Ministerpräsident, die hochgesetzten Erwartungen hat er nicht erfüllt. Wann wird Italien eine reife Demokratie?

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Auf den ersten Blick handelt es sich um ein Problem der Stimmenmehrheit, da der „Judas“ Umberto Bossi (Lega Nord), wie Berlusconi ihn öffentlich nannte, eifersüchtig über den Wahlerfolg des Cavaliere und in politischem Kontrast zu Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale), hauptberuflich jedwede Regierungs Verhandlung zu unterbinden versucht.

Es gibt aber auch andere Gründe für das angeschlagene Image dieser ersten Regierung der Zweiten Republik und die sind in den Fehlern des Nicht-Politikers Berlusconi zu suchen; zum Beispiel der Versuch im Juli, die Untersuchungshaft der Angeklagten, darunter auch jene des „Pools Saubere Hände“, in Hausarrest umzuwandeln, ein Dekret, das wegen dem Sturm, den es innerund außerhalb der Regierung auslöste, nach dem dramatischen Fernsehauftritt Di Pietros zurückgezogen wurde; ein Debakel für Berlusconi.

Auch die Umkrempe- lung bei den Spitzen des schwerverschuldeten staatlichen Rundfunks RAI, wo die Gewerkschaft USIG- RAI (kommunistisch und linkskatholisch) der einzige ansprechbare Partner innerhalb eines delegiti- mierten und schwachen Aufsichtsrats war, erhitzte die Gemüter. Leitende Angestellte und Spesen erhöhten sich, und für den Konsumenten gibt es keine wesentliche Änderung - weder in der Berichterstattung noch in den Programmen. Und das fehlende feeling des Cavaliere zu den medias besserte sich nicht. Auch seine unkluge Äußerung über den Auslandspresseklub in Rom, den er ein „Nest der Kommunisten“ nannte, wird ihm nicht verziehen.

Als er dann den - übrigens in Wien als Sohn des damaligen polnischen Botschafters geborenen Journalisten Jas Gawronski, bekannt durch sein Papst-Interview, zum Regierungssprecher im Palazzo Chigi machte, damit er die Beziehungen zur in- und ausländischen Presse verbessern solle, erschien sogleich ein Artikel des Starjournalisten Gi- anpaölo Pansa (Espresso), den die mitteleuropäische Abstammung Ga- wronskis störte und „seine Glatze, die, als er Fernsehsprecher war, durch ihr Leuchten zehn Bildschirme hätte durchlöchern können“. Auch die Art Gawronskis, sich elegant zu kleiden, störte Pansa. Es ist Mode jetzt, Kritik am „look“ zu betreiben.

Besonders mißfallen immer wieder die glattgestriegelten Haare Berlusconis, obwohl man in einer Demokratie doch das Recht haben söTL te, sich zu frisieren, wie man will. Uber die abenteuerliche Haartracht des früheren Außenministers De Michelis wurde eigentlich nie ein Wort verloren.

Die Benachrichtigung seitens der Mailänder Richter, daß sie gegen ihn wegen der Bestechungsaffäre von Finanzbeamten ermitteln, wurde dem Ministerpräsidenten inmitten der Weltkonferenz über das organisierte Verbrechen in Neapel überreicht. Da gab es allerdings Reaktionen prominenter Persönlichkeiten: Der sonst in Opposition zur Regierung stehende Ex-Staatspräsident Francesco Cossi- ga, der bekannte „Auspeitscher“ der Ersten Republik, zog sogleich sein Vorwort zu dem eben erschienenen Buch Di Pietros zurück aus Protest gegen die schwerwiegenden Abweichungen der Justizverwaltung. „Die Initiativen der Richter lassen sich in eine Logik des politischen Kampfes einreihen, der schon fast in eine institutionelle Guerilla ausartet“, meinte er.

Der bekannte Publizist und Priester Baget Bozzo verteidigt Berlusconi: man solle die Betriebsleiter der Fininvest verhören und nicht den Ministerpräsidenten persönlich. Bei der Bestechungsaffäre im Hause Fiat habe man ja auch nicht Gianni Agnelli persönlich gestört. Ein Richter hätte auch Verantwortung für das Land und sollte bedenken, was für eine verheerende Wirkung die Vorladung eines Ministerpräsidenten hätte - so Baget Bozzo.

Der bekannte Sänger und Schauspieler Adriano Celentano erklärte öffentlich, daß er das Vorgehen der Richter in diesem heiklen Moment als politische Aktion ansehe und daß er diesmal Berlusconi wählen würde. Auch Rocco Buttiglione, Vorsitzender der Volkspartei, kritisierte das Vorgehen der Richter.

Und schließlich die Rentenreform: Jeder weiß, daß es sich Italien nicht mehr leisten kann, ein Fürsorgeinstitut zu sein, da der Staatshaushalt am Kollabieren ist, die Steuerlasten an der Grenze des Tragbaren angelangt sind und die Absorbierung der privaten Ersparnisse in Staatsanleihen (Bot) Arbeitsplätze schaffende produktive Investitionen unterbinden. Die Großindustriellen aus dem Norden, Agnelli und de Benedetti, wollen, daß das Sparpaket ohne Ausklammerung der Rentenreform durchgeht. Die Lire muß wieder ins Europäische Währungssystem (EWS.

EIN POLIT-CHAMÄLEON

De Benedetti, sonst Erzfeind Berlusconis, spricht sogar vom Verdienst dieser Regierung, die jahrzehntealte unpopuläre Rentenfrage endlich anzugehen.

Auf katholischer Seite spielt Rocco Buttiglione Chamäleon, um das Bestehen des PPI zu retten. Vom Vatikan erhält er Zeichen, nicht weiter mit dem PDS zu flirten, läßt sich aber bei einem Geheimgespräch mit Tajani (Forza Italia) erwischen, erklärt dann, die wahre Gefahr käme von rechts und wendet sich wieder der Linken zu. Wird der PPI sich zweiteilen?

Gianfranco Fini, Anführer der je nach Einstellung sogenannten Postoder Neofaschisten, hält sich elegant im Regierungshintergrund. Er gilt vielen als der heute fähigste Politiker des Landes. Und er hat noch ein Plus zu buchen: Er gefällt. Trotzdem kann er nicht über den Schatten des MSI springen, die zu seiner Partei, Alleanza Nazionale, gehörende wichtige Fraktion mit faschistischer Ideologie, auch wenn er daran arbeitet, sie auf demokratisches Gebiet zu führen.

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