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BESUCH BEI MIHAJ MIHAJLOV

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Während der vergangenen Woche wurde der jugoslawische Universitätsdozent und Schriftsteller Mihaj Mihajlov wieder vor Gericht zitiert, nachdem eine Hausdurchsuchung bei ihm vorgenommen worden war. Grund für diese erneute Belästigung des profilierten Autors dürfte sein Plan gewesen sein, eine neue unabhängige Zeitschrift zu gründen.

Um M. Mihajlov ist es wieder unruhig geworden. — War der einunddreißigjährige Dozent der Slawistik an der Universität von Zadar noch im Vorjahr mehrere Monate hindurch Anlaß zu Schlagzeilen auf der Titelseite aller westlichen Zeitungen, so war einige Zeit sein Name sogar aus den Berichten über die politische und külturelle Situation in Jugoslawien verschwunden. Gewiß ist der „Fall Mihajlov“ noch lin der Erinnerung aller: Der junge Dozent hatte in der Belgrader Zeitschrift „Dello“ Schilderungen einer Reise in die Sowjetunion veröffentlicht, deren Offenheit den russischen Botschafter in der jugoslawischen Metropole zu einem offiziellen Protest bei Tito veranlaßte. Milhajlw wurde verhaftet und vor Gericht gestellt. Günstige Umstände kamen ihm zu Hilfe, denn unmittelbar nach dem Prozeß fand gerade im selben Jahr der Weltkongreß des PEN-Clubs in Slowenien in dem kleinen Kurort Bled statt. Jugoslawien mußte sich beeilen. Mihajilov freiauiaprechen, sonst wäre der Skandal noch größer geworden; list doch in den Statuten des PEN-Clubs, zu denen sich auch Jugoslawien offiziell bekennt, das Recht der freien Meinungsäußerung verankert.

Wie steht es um Mihajlov heute? Vier Tage lang hatte ich Gelegenheit, mit ihm und seinen Freunden in Zadar beisammen zu sein. Wir führten stundenlange Gespräche in Meinen Cafės, romantischen Kneipen, auf Spaziergängen entlang der Riva, in der kleinen Wohnung, die ihm ein nach Frankreich verreister Freund überlassen hat. Wir sprachen über Politik, Religion, Litenaitar, über alles, was einen Intellektuellen, der die Ereignisse der Gegenwart beobachtet, nur interessieren kann. Und wir sprachen über ihn selbst. Nicht altes kann hier wieder gegeben werden, und ich wollte es auch nicht, selbst'wenn ich den Umfang eines Buches zur Verfügung hätte. Die Gespräche waren offen, sehr offen. Und in nächster Zeit ist kein PEN-Kongreß mehr in Jugoslawien in Aussicht. Zudem weiß man hier im Westen nicht, daß Mihajlov zwar die Freiheit wiedererhielt, alber nur bedingt. Er wurde zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt und entlassen auf Bewährung. Zwei Jahre lang müssen ohne neue Schwierigkeiten vergehen. Gibt’s bis dahin einen neuen Anlaß, dann tritt das Urteil sofort in Kraft.

Mihajlov läßt sich durch dieses über ihm schwebende Damoklesschwert jedoch nicht stören. Er spricht ohne Zurückhaltung. Aber was er sagt, reicht in seinem Land nur so weit wie seine Rede, denn publizieren darf er nicht. Gewiß gibt es kein ausdrückliches Verbot für ihn, so klug war man nach dem großen Aufsehen, das seine Affäre in der ganzen Welt erregt hat. Man schickt ihm bloß von allen jugoslawischen Redaktionen oder Rundfunkstationen die Manuskripte zurück. Freilich muß gesagt werden: Mihajlov änderte seine politische Meinung durch das Gerichtsverfahren, das ihm angehängt wurde, keineswegs. Und er denkt nicht daran, dies in seinen Arbeiten zu verbergen. Nein, Mihajlov ist kein bequemer Mann. Er klagte sogar die Universität, da sie ihm noch vor dem Urteil des Gerichts die Stellung kündigte. Wie könne man ihm jetzt, nach dem Freispruch, seinen Platz an der Universität vorenthalten? Zwar erhält Mihajlov trotz Arbeitsverbot bis Ende des Jahres sein (übrigens sehr kleines) Gehalt weiter, aber was dann? Seine Beschwerde läuft noch.

Betritt man Mihajlovs Wohnung, so überrascht die serbokroatische Aufschrift über der Tür: „Was vermögen die Winde über ein versunkenes Schff?“ Weist man fragend auf diese Worte, erwidert Mihajlov mit einem kleinen Lächeln: „Vergessen Sie nicht, das hat mein Freund, der Maler, dort oben angebracht.“ Tatsächlich trifft dieser Satz auf den überaus energisch wirkenden, blitzschnell reagierenden Mihajlov kaum zu. Im Nebenraum klappert eine Schreibmaschine: „Ja, meine Sekretärin tippt eben einen Artikel.“ Also werde er doch veröffentlicht? „Gewiß, alber im Westen. In New York, London, Paris, Wien.“ Und dies sei für ihn so ohne weiteres möglich? Nun, meint Mihajlov, er tue es einfach, und er sehe auch nicht ein, warum er damit Schwierigkeiten haben sollte. Bezeichnet sich nicht Jugoslawien immer wieder als ein freies Land? Also warum nicht? Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Mihajlov durch seinen Mut zu einem absolut freien Verhalten damit ein Faktum kreiert, das die offiziellen jugoslawischen Stellen nicht einfach beiseite schieben können. Er praktiziert Liberalität, und ein solches Beispiel hat Perspektive, ist von größter Wichtigkeit.

Obwohl Mi'haj Mihajlov in Jugoslawien, in Pancevo und Zrenjanin, aufgewachsen ist, hat er eigentlich Russisch zur Muttersprache, denn beide Eltern stammen aus Rußland. Mütterlicherseits war ein Großvater General des Zaren in Petrograd, väterlicherseits gab es einen schwerreichen Konservenfabrikanten in Oherson als Großvater. Bis heute schreibt Mihajlov am liebsten russisch, und der russischen Kultur gehört auch sein größtes Interesse. Wie sollte man aber heute bei Arbeiten über die russische Kultur die Politik beiseite lassen können? Auch Mihajlovs neues Buch, das demnächst in Italien, in der Schweiz und in Frankreich erscheinen wird — es hat den Titel „Russische Themen1' —, muß notwendig politische Aspekte enthalten. Denn diese Themen lauten Dostojewski, Solschenizyn, Schestow und „Novy Mir“. Ein weiterer großer Essay ist abgeschlossen, „Abram Terz oder Die Flucht aus der Eprouvette“. Man kann sich vorstellen, daß Mihajlov damit nicht gerade die Sympathie des Kreml gewinnen wird. Vor allem argumentiert Mihajlov von einem Standpunkt her, der für die Moskauer offizielle Position am schwersten zu ertragen ist: er bezeichnet sich als Christ, schätzt vor allem die russische Mystik und sucht und findet auch in der heutigen russischen Literatur eben jene Züge orthodoxer Religiosität, die von der Partei der UdSSR schärfstens bekämpft wird. Abram Terz, also Sinjawski, ist für Mihajlov ein religiöser Schriftsteller, und überhaupt gebe es eine russische Literatur von deutlich mystischem Charakter, die freilich nur in hektographierten Abzügen von Hand zu Hand gehe. Außerdem habe es die russische Propaganda verstanden, alle mystische Tradition des vorrevolutionären Rußland in Vergessenheit zu bringen. Es sei an der Zeit, das eigentliche Bild der russischen Kultur wiederherzustellen.

Mihajlov ist in all seinem Denken und Tun Irrationalist, hat aber ein konkretes Ziel vor Augen, nämlich die Ver-

wirklichung der Liberalität in der Welt. So verbindet sich bei ihm die religiöse Haltung (er ist orthodox gläubig) mit einer sehr harten Philosophie der Aktion. Sein privater Erfolg, sein eigenes Wohlergehen bedeuten ihm nichts. Er versucht, seine Gedanken wirken zu lassen, und ist von ihrer Richtigkeit tief überzeugt. Mihajlov spricht nicht gern von Intellektualität, von Skepsis und Selbstkontrolle, lieber vom Gewissen. Er gehorcht der Stimme seines Gewissens, und ihr folgt er, durch welche Gefahren und Entbehrungen es auch sei. Viel vom Wesen der einstigen großen „russischen Intelligentsia“, von -ihrer Aufrichtigkeit, ihrem Mut, ihrer Seibstentäußerung und ihrer Kraft zum Leiden ist in diesem nach Zadar verschlagenen Dozenten und Schriftsteller lebendig.

Mihajlov, eher kleingewachsen, mit schwarzem Haar und schwarzen, intensiven Augen, die ungemein liebenswürdig blicken können, ist ein stiller, schweigsamer Mann, der jedoch in der Diskussion leidenschaftlich wird: er ist eine Persönlichkeit von messerscharfer Intelligenz, außerordentlicher Sensibilität, die in der Position des Gesprächspartners sofort den schwachen Punkt entdeckt, aber dann selbst ganz von der Emotion herkommt. Man hat einen jener seltenen Menschen vor sich, die in äußerster Aufrichtigkeit aus ihrer Überzeugung leben und Furcht vor Gegnern nicht kennen. Es wäre aber unmöglich, von Mihajlov zu sagen, er sei ein Fanatiker. Läßt man dieses Wort hören, erwidert er sogleich: „Fanatiker zweifeln. Die Gläubigen sind souverän.“ Mihajlov ist von Glauben, von religiösem Glauben, und einer ihm entsprechenden Deutung der Kultur und der Welt durchdrungen. Und so sehr er die heutigen Übelstände erkennt und anprangert (davon geben seine Berichte „Moskauer Sommer“ deutlich genug Zeugnis), geht von ihm doch starker Optimismus aus. Mihajlov wirkt aus der Übereinstimmung mit sich selbst, aus dem Tun und Denken im Sinn einer Wahrheit, in deren Namen er auf sich zu nehmen bereit ist, was immer kommt. Diese Wahrheit besteht aus zwei Begriffen, deren Verschmelzung höchste Bedeutung für Europa und für die Welt haben kann: Religion und Liberalität.

Zweifellos ist Mihajlov, der täglich unzählige Berichte und Zeitschriften, vor allem über Rußland, studiert und sich über alle kulturellen und politischen Ereignisse in Ost und West genauestens informiert zeigt, heute einer der besten Kenner der Entwicklung in Rußland. Die Energie und Begabung, die in diesem stark profilierten Charakter wirksam sind, lassen von Mihajlov noch viel erwarten. Man wagt wohl keine zu kühne Prophezeiung, wenn man meint: dieser Dozent aus Zadar hat eine bedeutende Zukunft vor sich.

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