6646817-1958_29_01.jpg
Digital In Arbeit

Besuch in Moskau

Werbung
Werbung
Werbung

Der Besuch des österreichischen Bundeskanzlers in Moskau, der in eben diesen Tagen Wirklichkeit wird, steht seit geraumer Zeit im Kreuzfeuer von Gerüchten und Mutmaßungen in der Weltpresse.

Am hartnäckigsten wurden, zumal im Westen, Nachrichten lanciert, die von einer österreichischen Absicht, bei der UdSSR eine größere Anleihe aufzunehmen, wissen wollten. Dann sind es Spekulationen um „weltpolitische“ Pläne, zumal im Zusammenhang mit Deutschland und dem bereits bekanntgewordenen „Raab-Plan“ einer Viermächtekommission zur langsamen Entflechtung des Deutschlandproblems, die da dem Moskaubesuch des Wiener Kanzlers unterstellt werden. Zum dritten sind es, geschickt hier und dort verbreitet, Anmutungen, die auf ein „Unpassendes“ des österreichischen Staats-, besuches im gegenwärtigen weltpolitischen Zeit-Eiomcct hinweisen wollen.

Hinter diesen drei Momenten und noch einigen anderen, die hier und dort ins Gespräch und in Druck gebracht werden, steht ein gemeinsames Interesse. Schlicht und einfach sei dieses hier festgehalten: Man will, aus verschiedenen Gründen, den Moskaubesuch des österreichischen Kanzlers von vornherein mit einigen schweren Hypotheken belasten, um nachher sagen zu können: seht, wie wenig ist erreicht worden, seht, wie sinnlos es ist, nach Moskau zu gehen.

Der Sinn dieser recht beachtenswerten, durchaus negativistischen Vorpropaganda besteht darin, Oesterreichs politische Mobilität und Aktivität möglichst einzuschränken, um Staat und Volk nach und nach in eine gewisse Linie zu steuern und zu drängen, die unvereinbar ist mit der Neutralität und Unabhängigkeit unseres Landes. Demgegenüber muß klar herausgestellt werden: Oesterreich geht mit keinerlei Hypotheken, keinerlei Schulden, keinerlei Belastungen nach Moskau. Unbefangen, so wie jederzeit Unbefangenheit, Nüchternheit und das Vermögen, objektiv zu sehen, die stärkste Seite unseres Kanzlers war. Ein Vermögen, das uns nicht zuletzt den Staatsvertrag eingebracht hat, in einem durchaus kritischen Zeitpunkt, in dem die Atmosphäre ähnlich vergiftet war wie jetzt.

Oesterreich hat seine Verpflichtungen, die es durch den Staatsvertrag der UdSSR gegenüber übernommen hat, auf das genaueste und pünktlichste erfüllt. Eben hier, in dieser sehenswerten Leistung Oesterreichs, ist der erste und wichtigste Ansatzpunkt der gegenwärtigen Moskauer Verhandlungen. Es sollte an sich möglich sein, in Moskau ein gewisses Entgegenkommen hinsichtlich einer Kürzung der noch zu leistenden Lieferungen zu erreichen. Die dadurch frei werdenden Mittel könnten zu einem eigenständigen Ausbau der niederösterreichischen Erdölgebiete verwendet werden. Die Verhandlungen in Moskau sind in diesem Sinne in erster Linie wirtschaftliche Verhandlungen.

Diese aber wollen von verschiedenen Gesichtspunkten her gesehen werden. Wirtschaftliche Verhandlungen, gerade mit Großstaaten, sind immer auch eminent politische Verhandlungen. Und, so seltsam es auf den ersten Blick scheinen mag, gerade Großstaaten fällt es bisweilen nicht leicht, wirtschaftlich großzügig zu sein, da sie eine Fülle von politischen und wirtschaftspolitischen Momenten mit jedem gegebenen Fall verflechten. Das konnte Ing.-Raab sehr deutlich bei seinem letzten Besuch in

Washington erfahren und hat es auch sehr deutlich in seiner nachher abgegebenen Erklärung über die Starrheit der wirtschaftspolitischen Haltung des amerikanischen Staatssekretärs für die äußeren Angelegenheiten ausgesprochen. Soeben erst haben unsere deutschen Freunde, ebenfalls in Washington, eine schmerzliche Enttäuschung erlebt, als sie erfahren mußten, daß die USA nicht nur nicht bereit sind, das im Krieg beschlagnahmte deutsche Eigentum freizugeben, sondern sogar an Reparationsforderungen an die Bundesrepublik denken.

Wer mit Großmächten wirtschaftspolitisch verhandeln will, muß sich also immer auf allerlei gefaßt machen. Nur echte innere Freiheit, Geduld und Zähigkeit können hier zu einem Erfolg führen. Zum anderen aber gilt auch: Da die Wirtschaft, nicht nur die Weltwirtschaft, ein Politikum ersten Ranges ist, bedeutet eine Normalisierung und Intensivierung wirtschaftlicher Beziehungen einen der wichtigsten Beiträge zur politischen Normalisierung. Wirtschaftlichkeit ist in diesem Sinne Friedensarbeit. Darauf hat nicht zuletzt der Generalbevollmächtigte des Krupp-Konzerns bei seinem letzten Moskauer Besuch vor kurzer Zeit hingewiesen.

Oesterreich kann heute seine Funktion, als neutraler Staat mitzuarbeiten an der Minderung des Spannungsgefälles zwischen Ost und West in Europa, vor allem dadurch erfüllen, daß es als ein Träger einer wahrhaft freien Wirtschaft erkannt, anerkannt und in diesem Sinne als Partner angenommen wird. Nun ließ bereits der Besuch des sowjetischen Ministers für Elektrizitätswirtschaft vor knapp einem Monat in Oesterreich erkennen, wie aufmerksam Moskau die Entwicklung und den Ausbau der österreichischen Industrie und Wirtschaft verfolgt. Hier ist der erste und wesentliche Ansatzpunkt für die Ausgestaltung freundlicher Beziehungen zwischen Oesterreich und der UdSSR. Eine wirklich freie österreichische Wirtschaft vermag, als ein leistungsfähiger Partner, dem Osten sehr viel' zu geben. Wie groß aber hier die praktischen Hemmungen und Hindernisse für eine Ausweitung des Handels sind, wissen beide Partner.

Neben der Absprache der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der UdSSR und Oesterreich, in der kommenden Aera nach der Ableistung der Verpflichtungen durch den Staatsvertrag, stehen einige andere Punkte auf der Traktandenliste, wie etwa die Rückführung von Kriegsgefangenen bzw. die Ermittlung eben solcher, deren österreichische Herkunft nicht erkannt oder nicht anerkannt ist. Alle diese Punkte betreffen spezifisch österreichische Fragen.

Der Wiener Bundeskanzler kommt nicht als Commis voyageur nach Moskau, als Weltreisender und Beschwichtigungshofrat in Allerweltsachen, sondern als fahrender österreichischer Staatsmann, der eine der wichtigsten Funktionen eines neutralen Staates wahrnimmt: steten, ständigen Kontakt zu pflegen mit allen seinen Nachbarn und Partnern.

Auf die Kontinuität dieser persönlichen, lebendigen Kontaktnahme kommt es vor allem anderen an. Sehr mißverständlich ist eine gewisse Auffassung des Staatsvertrages und auch unserer Neutralität: so, als wäre, nach endlichem leidigem Abschluß der .vieljährigen Verhandlungen, Oesterreich irra- endlich der ständigen Konfrontation mit seinen großen Vertragsgenossen entschlüpft und sollte sich, am besten auf Nimmerwiedersehen, empfehlen ...

So geht es nicht“. Die gerade Oesterreich überaus schmerzlich treffenden Folgen der ungarischen Tragödie, in den Schreckensurteilen in Budapest in eben diesen Tagen immer noch auseiternd, zeigen, wie schwer es ist, ein Unheil zu steuern, das unter anderem auch aus einem katastrophalen Kontaktmangel entstanden ist. Die um Ungarns Freiheit kämpfenden Männer hatten weder Kontakt mit dem Westen noch mit dem Osten, und wurden auch deshalb, freilich in sehr verschiedener Weise, von beiden preisgegeben.

In einem weltpolitischen Zeitmoment, in dem — mit Ausnahme der Tschechoslowakei — Ungarn, Polen und Jugoslawien in innerlich und äußerlich gespannten Beziehungen zu dem sowjetischen Riesenreich stehen, das seinerseits in schweren Spannungen sein Wachstum vorwärtszutreiben und abzusichern sucht, ist es schlechthin gut, gut für alle, in Ost und West, daß hier, durch den Moskauer Staatsbesuch des österreichischen Bundeskanzlers, ein Staat und ein Volk im Zentrum des Ostblocks seine Visitenkarte abgibt, direkten Kontakt sucht und findet, dem heute alle Welt den Sinn für Freiheit, die tiefe Verwurzelung in der freien Welt und staatspolitischen Wirklichkeitssinn zuerkennen.

Mehr ist im gegenwärtigen Augenblick nicht zu sagen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung