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Bidault, Soustelle, OAS

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Die Verhaftung des früheren Minitterpräsidenten Georges Bidault in der „Villa Eugenie Bonaparte“, deren Besitzer der in Lüttich lebende Prinz Louis Napoleon Bonaparte ist, dürfte in naher Zukunft den Schleier des Geheimnisses um die wirkliche Rolle des Chefs des Comite National de la Resistance lüften. Die im italienischen Ort Civitanova durchgeführte Beschlagnahme wichtiger Dokumente soll vor allem das Rätsel lösen, ob die politischen Verschwörer Bidault und Soustelle in Verbindung mit den militärischen OAS-Aktivisten, Exgeneral Gardy und den früheren Obersten Godard, Gardes, Argoud und Cha-teau-Jobert, standen, die ihr Hauptquartier in Spanien aufgeschlagen haben. Es ist nach den bisher nur spärlich vorliegenden Informationen anzunehmen, daß zwischen dem italienischen und französischen Sicherheitsdienst bereits seit geraumer Zeit ein Kpntakt bestand, um die Aktivität Bidaults und seiner Freunde zu überwachen, und daß die wochenlange Behauptung verschiedener Polizeistellen, sie wüßten nichts Genaues über die Reisen und den Aufenthalt Georges Bidaults, eine der ungestörten Untersuchung dienende Fiktion gewesen sein dürfte.

Auf Grund unserer persönlichen Begegnungen mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Meinungsäußerungen von qualifizierter französischer Seite kann vor einer Überschätzung der aktiven Rolle Bidaults gewarnt werden. Er ist ein Mann, dessen Nerven und physische Widerstandskraft während seines Untergrundkampfes in der deutschen Besatzungszeit über die Maßen strapaziert wurden und der sich heute vornehmlich durch den unüberwindlichen Haß gegenüber dem Staatschef de Gaulle aufrechtzuerhalten vermag, Wir glauben auch nicht, daß der versierte Politiker — bei aller Sympathie gegenüber allen subversiven Elementen auf der Rechten — bereit sein könnte, sich zu weit mit den „zu allem“ bereiten militärischen Aktivisten der Geheimarmee zu liieren und damit zu kompromittieren. Bei einem Gespräch im Sommer des vergangenen Jahres deutete er an, daß er allein Challe und Salan ein gewisses Persön-' lichkeitsformat einräume und die übrigen führenden OAS-EIemente militärischer Prägung ziemlich verachte. Wörtlich sagte er damals: „Ich war lange genug Kriegsminister, um ermessen zu können, aus welch ausgemachten Idioten sich die Generalität, die Militärstäbe und die erdrückende Mehrheit aller politisierenden und ^entpolitisierenden Offiziere zusammensetzen. Die Putschisten unter ihnen haben des öfteren versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Aber ich denke nicht daran, darauf einzugehen.“

Mit Ausnahme der faktischen Nachfolge des Generals Salan, die Bidault nach dessen Ausschaltung angetreten hatte, ist bisher kein Tatbestand bekanntgeworden, aus dem man schließen könnte, daß tc seinen Standpunkt nach der Gründung des CNR geändert habe. Wenn er sich auch heute hüten wird, seine Verachtung gegenüber den Militärs öffentlich auszusprechen, so muß man doch anderseits feststellen, daß er es bisher zu vermeiden verstanden hat, sich im Sinne einer allzu deutlichen Solidarität mit ihnen zu exponieren.

Das schließt natürlich nicht aus, daß Bidault — ebenso wie Soustelle — keineswegs abgeneigt sein dürfte, sich der Militärs zu bedienen, um den Sturz des Regimes zu erreichen. Beide sind fraglos auf Grund ihrer politischen Erfahrungen davon überzeugt, daß die politische Konstellation die erstrebte Änderung auf „legalem“ Weg ausschließt. Deshalb liegt es nahe, daß beide auf ein erfolgreiches Attentat gegen de Gaulle setzen, wenn sie auch nach seinem Gelingen versichern werden, daß sie einen Mord niemals gewollt hätten. Wie sollte man sonst die kürzliche Erklärung des ehemaligen Ministerpräsidenten deute* daß er trotz der scheinbaren Apathie des Volkes niemals so zuversichtlich gewesen sei wie heute. Im übrigen hat Bidault bereits.Zukunftsvisionen. „Wir denken nicht an Rache, sondern an Versöhnung“, schrieb er kürzlich in einem seiner Untergrundbewegung nahestehenden Organ. „Wir wollen die Grundrechte“

Auch Soustelle bereitet sein Comeback vor, wobei er sich um den Weg, wieder in den Vordergrund der französischen Politik zu treten, scheinbar wenig Gedanken macht. Offensichtlich versucht er, sich durch die fast in allen Erklärungen anklingende Kampfansage gegenüber dem Kommunismus internationale Geltung und Anerkennung zu erwerben. Im Inneren bemüht er sich, alle diejenigen zu beruhigen,denen die Perspektive eines Rückfalls in die Zeit der Dritten und Vierten Republik ein unbehagliches Gefühl auslöst: „Wir wollen keinen übertriebenen Parlamentarismus wiedersehen“, schreibt er, und fügt programmatisch hinzu: „Wir wollen die Grundrechte, das Gleichgewicht zwischen den Gewalten und die Unabhängigkeit der Justiz wiederherstellen ...“ Die politischen Verschwörer Bidault und Soustelle sammeln ihre Freunde und planen mit ihnen die politische Zukunft. Offensichtlich glauben sie, daß ihnen unbestritten das Erbe nach dem Sturz der Fünften Republik zukommt. Dieser Traum dürfte aber eine Illusion sein. Denn das letzte Attentat gegen de Gaulle hat den ziemlich eindeutigen Beweis erbracht, daß die Mordkommandos autonom operieren und auf Bidault und Soustelle keine Rücksicht nehmen. Sie setzen sich — wie bereits bei früheren Attentatsversuchen — aus aktivistischen Militärs, rechtsextremen Elementen und „pieds noirs“ zusammen. Alle sind Draufgänger, die sich allein von einer destruktiven, kalten Rache leiten lassen. Der Chef des Kommandos von Petit-Clamart, Bougrenet de la Toc-naye, erklärte nach seiner Verhaftung: „Andere werden kommen, und denen wird gelingen, was uns nicht gelang.“ Dabei dachte er bestimmt nicht an die Politiker, die auf ihre Rückkehr und den Antritt des Erbes de Gaulles hoffen. Er dachte auch nicht daran, daß manche in ihm und seinesgleichen nur ein willkommenes Werkzeug sehen. Eher lassen sich die aktiven Kommandos von den Grundsätzen des Exobersten Argoud leiten, der es versteht, vom Ausland her zugkräftige Parolen auszugeben. Sie denken nicht an die Weiterungen und scheinen logische Überlegungen, die Zweifel auslösen könnten, bewußt auszuschalten. Und so wird ein kürzlich ausgesprochener Satz zur Richtschnur ihres Handelns: „Unsere Rolle hängt von unserem Glauben, unserer Disziplin und unserer Unerschütterlichkeit ab, und nicht von der Stärke unserer Effektive. Wir suchen nicht die zahlenmäßige Verstärkung unserer Mitkämpfer, sondern denken eher an die Eliminierung derjenigen, deren Entschlossenheit uns nicht ausreichend erscheint.“

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