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Bilanz nach 140 Jahren

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Der erste Priester, der Australien als freier Mann betrat — im Jahre 1810 —, war Father OFlynn, wie der Name verrät, ein Irländer. Sein Seelsorgerevier umfaßte den ganzen, weiten australischen Kontinent, ein zu diesem Zeitpunkt nahezu noch unerschlossenes Gebiet. Es erscheint heute wie ein Wunder, daß in den 140 Jahren, die seit der Landung des ersten bevollmächtigten Priesters verstrichen sind, Sich auf der Erde, auf der Father O'Flynn die erste kleine, hölzerne Kapelle baute, 2 3 99 katholische Kathedralen und Kirchen, 3084 Schulen, 63 S p i täler, 53 Waisenhäuser sowie 91 verschiedene Institutionen der Fürsorge erhoben. (Diese Zahlen sind dem Jahrbuch der katholischen Kirche Australiens entnommen, herausgegeben Sydney 1952.)

Wie konnten solche außerordentlichen Erfolge errungen werden? Dem Beispiel Father OTlynns waren mehrere Präester gefolgt, 'die die neuen Siedler nach Australien begleiteten und den Neuankömmlingen mit Rat und Tat zur Seite standen und ihnen halfen, das rauhe, dürre Land zu kultivieren und Siedlungen zu gründen. Endlieh nahm auch das kirchliche Leben organische Formen an. Diözesen und Erzdiözesen wurden gegründet, man unterteilte das Gebiet in sechs Kirchenprovinzen, die mit den staatlichen Grenzen korrespondierten. Infolge der raschen Ausdehnung der Siedlungen ergab sich die Notwendigkeit einer weiteren Unterteilung, so daß wir heute in Australien 7 Erzdiözesen und 16 Diözesen zählen, ein Apostolisches Vikariat und eine Abtei Nullius.

Die ersten katholischen Siedler, die sich ihrer in konfessioneller Hinsicht ungünstigen Stellung bewußt waren — handelte es sich doch um eine Minorität, deren Rechte zu wahren es stets großer Anstrengungen bedarf ■—, waren entschlossen, kein Opfer zu scheuen, um ihren Glauben rein und lebendig zu erhalten. Dieser Wille lief Gefahr, nicht an der Standfestigkeit der Katholiken, aber an den geographischen Verhältnissen des Landes zu scheitern. Eine zwei- bis dreihundert Kilometer lange Entfernung von der nächsten Pfarrkirche machte nicht selten den Besuch des Gottesdienstes zur Unmöglichkeit. Geringere Entfernungen, die dem Europäer immerhin noch kaum überwindbar erscheinen würden; wurden aber tapfer überwunden. In einem geradezu wörtlichen Sinn versetzte in diesem Land der Glaube Berge, oder geologisch genauer: er versetzte Sanddünen. Gotteshäuser wuchsen mit den Dörfern und Städten, aber auch heute noch finden wir in Queensland und Victoria Pfarren, die an Ausmaß den Flächeninhalt Österreichs übertreffen. In den Diözesen Wilcannia Forbes, Darwin, Port Augusta, Townsville und Geraldtown gehört“ es nicht zu den Ausnahmen, daß ein Geistlicher 400 Kilometer straßenlose Wüste in seinem Jeep bewältigt, um einem Kranken die letzten Sakramente zu spenden. Es gibt Pfarren in diesem Kontinent, die größer sind als ausgedehnte Staaten der Alten Welt,

In diesen schwierigen seelsorgerlichen

Verhältnissen war für priesterlichen bodenständigen Nachwuchs zu sorgen. Wiederum war es Kardinal Moran, der die Führung ergriff und 1885 das erste australische Priesterseminar ins Leben rief. Bei der damaligen kleinen Zahl von Katholiken — heute sind 25 Prozent der Gesamtbevölkerung Australiens katholisch — wurde die Errichtung des Seminars selbst in kirchlichen Kreisen als Risiko angesehen. Das Vertrauen des Kardinals erwies sich aber als gerechtfertigt; 900 junge australische Geistliche sind seither aus diesem Seminar hervorgegangen.

Daß die großen Errungenschaften der katholischen Kirche in Australien Opfer kosteten, ist selbstverständlich. Wer tieferen Einblick in das Ausmaß der Opferbereitschaft der katholischen Bevölkerung gewinnt, wird tiefes Erstaunen, Bewunderung — und vielleicht Beschämung — empfinden. Die katholische Kirche hat es hier nicht notwendig, den Gläubigen eine Kirchensteuer aufzuerlegen, da die freiwilligen Spenden (ich muß ehrlich gestehen, daß ich dieser Behauptung zuerst skeptisch gegenüberstand und sie erst nach eingehender Erkundigung hier in der „Furche“ als Tatsache wiedergebe) genügen, um für die Erhaltung der Kirchen, Erziehungszentren, Klöster, Spitäler, Waisenhäuser usw. die notwendigen Mittel zu beschaffen, eine Leistung, für die es in der Welt nicht viele Beispiele geben dürfte. Der Staat legt der Kirche keine Steine in den Weg, aber er unterstützt sie auch nicht, auch nicht in der Erhaltung von Einrichtungen, die der Allgemeinheit zugute kommen. Vor dem Erlaß des „Public Instruction Act“ von 1872 war die Situation noch anders. Der Staat subventionierte damals katholische Schulen, stellte aber mit einem Gesetz seine Zuschüsse ein. Von diesem Zeitpunkt an war es ausschließlich die katholische Bevölkerung, die durch ihre finanziellen Opfer den Weiterbestand der katholischen Schulen ermöglichte. Das System der „School-churches“ — jede Pfarre soll ihre eigenen Volks- und wenn möglich Mittelschulen errichten, deren Aufsicht Ordensleuten obliegt — hat sich in Australien rascher und besser durchgesetzt als in Nordamerika. Die Kirche führte den erfolgreichsten Kampf gegen den Materialismus unserer Zeit in ihren Schulen. Schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde die Erziehung der Kinder in den Städten von irischen Ordensschwestern übernommen, aber die Errichtung von Schulen draußen in den australischen Buschsteppen, zu denen keine Straße führt und die nur die von den Eingeborenen ausgetretenen Pfade durchkreuzen, war noch ein bisher unlösbares Problem!

Und doch wurde es von christlicher Nächstenliebe überwunden. Im Jahre 1866 legte Mary McKillop den Grundstein zu einer Kongregation zur Erziehung der Buschkinder in Penolo, Südaustralien. Die kleine Gruppe tapferer Frauen, die Mary McKillop um sich versammelte, war das Senfkorn des Evangeliums. Die Kongregation umfaßt heute 2000 Mitglieder, die größte des Landes. In vielen Fällen waren Schulen und Klöster Hunderte von Kilometern von ihren Pfarren entfernt zu errichten; selbst heute noch ist es vielen Schwestern nur möglich, ein- bis zweimal monatlich die heilige Messe zu hören. Die unter so harten Verhältnissen geleistete Erziehungsarbeit trug viel bei zu dem Ansehen der Kirche in weiten Kreisen.

Mit Ausnahme vereinzelter Gsblefe, deren totale Weglosigkeit und Entlegenheit selbst staatliche 'Schulprojekte zum. Scheitern brachten, gibt die Kirche in Australien überall jedem katholischen Kind Gelegenheit, Unterricht zu genießen. Das Niveau der Klosterschulen und Jesuitenkollegien ist ein anerkannt hohes. Grundsätzlich ist der Besuch dieser Schulen auch Kindern anderer Religionsgemeinschaften gestattet. Die Kirche hat sich in diesem jungen Kontinent wahrhaftig der hödrsten Erwartungen würdig erwiesen. Die erstklassige Fürsorge, die den Kranken in den Spitälern, den bemitleidenswerten Kindern in den Waisenhäusern, den Tauben, Stummen, Blinden durch fürsorgliche Ordensschwestern oder -brüder zuteil wird, nötigt zu uneingeschränkter Anerkennung.

Noch ein Wort über die staatlich-kirchlichen Beziehungen. Australien hat im Gegensatz zu der Tradition des englischen Mutterlandes keine Staatskirche.

Die machtvolle anglikanische Hochkirche Englands findet keinen Counterpart in Australien. Die protestantische Kirche in ihren zahlreichen Untergliederungen stellt dank der bevölkerüngsmäßigen Mehrheit, auf die sie sich stützt, eine öffentliche Macht dar, die die Politik des Landes sowie das Leben der Staatsbürger in weitem Sinn beeinflußt. Es wäre aber unfair, würde man behaupten, daß dieses Spiel der Kräfte im öffentlichen Leben den Katholiken in seinen staatsbürgerlichen Rechten beschränkt. Es mag in manchen Fällen zu Gegensätzen zwischen Vertretern beider Konfessionen kommen, diese Fälle aber zu^ verallgemeinern wäre ungerecht. Daß die Diözese Sydney allein jährlich durchschnittlich 1500 Konvertiten zu verbuchen vermag, beweist, daß gute Seelsorge und das Beispiel christlicher Nächstenliebe in Unserer Zeit mehr für die Stärkung des Glaubens beizutragen vermögen als grausame Kriege vergangener Jahrhunderte.

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