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Bildung bricht Farbe

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Wenn man irgendwo den Vereinigten Staaten etwas am Zeug flicken will, so zieht man die Negerfrage heraus.

Gewiß, die Lage der Neger in den USA, besonders in deren südlichen Teil, ist durchaus nicht einwandfrei. Gesellschaftliche Berührung besteht kaum, aber Unfreundlichkeit ist selten; und wenn sie vorkommt, kommt sie häufiger von der farbigen Seite. Hotels und Gaststätten sind Farbigen verschlossen, dafür errichten sie sich ihre eigenen. Wo sich der Brauch gegen sie richtet, steht das Bundesgesetz an ihrer Seite und wird häufig gehandhabt. Politische Ansprüche werden im Süden mitunter mit wirtschaftlichem Boykott bekämpft, aber Gewaltakte aus Rassengründen sind viel seltener als dieselben Verbrechen ohne jeden Beweggrund der Farbe, anderseits buhlen weiße Kaufleute um die farbige Kundschaft. Lynchakte, diese Kreuzung von Grausamkeit und Feigheit, sind seit drei Jahren nicht mehr vorgekommen, obwohl es genug feige und grausame Verbrechen in den, USA gibt — aber nicht entfernt so viele, wie sie auf vier Fünftel der Erde begangen werden, mitunter mit politischem Mantel verhüllt, der sie nur gemeiner erscheinen läßt. Drei Dinge aber sind festzuhalten: Die Lage des amerikanischen Negers ist besser als die irgendeiner zurückgesetzten Minderheit in irgendeinem Lande; nirgends geht die Beseitigung der Diskriminierung in rascherem Tempo vor sich; nirgends werden so starke Anstrengungen dafür von Regierung, Gerichten, Kirchen und dem überwiegenden Teile des Volkes gemacht.

An die Stelle einseitiger Anschuldigungen und Generalisierungen sind Tatsachen und Ziffern zu setzen, und vor allem die psychologischen Ursachen der Abneigung zu untersuchen. Da kommt man darauf, daß es sich weniger um Rassen- als um Klassengegensätze — veraltete Klassengegensätze —, mehr um quantitative als um qualitative Fragen handelt. Solange der Neger arm und daher unrein und ungebildet war, saß man natürlich nicht gerne neben ihm, ließ seine Kinder nicht gerne neben seinen auf der Schulbank sitzen, trachtete eine physische Trennung aufzurichten — ebenso wie es überall gegen arme, ungepflegte, ungebildete Personen der gleichen Rasse geschieht. Wie viele Reisende zahlen gerne mehr dafür, um nicht in überfüllten Wartesälen neben ungepflegten, lärmenden Menschen sitzen zu müssen; wie viele Eltern scheuen sich, ihre Kinder auf dieselbe Schulbank mit ungezogenen Kindern aus Heimen zu schicken, in denen ganz andere Lebenssitten herrschen. Fünf solcher Kinder unter dreißig besser erzogenen, das ginge noch an; aber wenn das eigene Kind mit vier gleichen unter dreißig Kindern der untersten Schichte sitzen soll und durch sie, auch nur im Benehmen, verdorben werden kann — ja, das ist etwas anderes!

Nun ist dieser Unterschied auf den zwischen den Farben nicht mehr Zutreffend und wird es immer weniger — wir werden gleich sehen, wodurch; Das Vorurteil stammt aus Zeiten, die sich geändert haben, aber nicht lange zurückliegen. Wann werden aber schon Vorurteile vieler in- wenigen Jahrzehnten — die Emanzipation deri Neger als Massenerscheinung ist nicht älter — zerstreut?

Wohl haben schon lange Ausnahmen, wie Booker T. Washington und George Washington Carver — die die USA auf ihren Briefmarken geehrt haben —, unter schwierigsten Verhältnissen geistige Glanzleistungen vollbracht und damit die Mär von der Minderwertigkeit der

Rasse widerlegt, aber Massenemanzipation ist an Verbreitung der Bildung und wirtschaftlichen Aufstieg gebunden. Die hat sich, nicht ohne starke weiße Hilfe, erst in der letzten Generation vollzogen. Der Stacheldraht des Vorurteils ist durch verschiedene Breschen durchbrochen worden: Sport — Arbeit — Militär — Schulen. Auf allen diesen Gebieten kam der Weiße zwangsläufig in nahe Berührung mit Farbigen und lernte, daß sie in körperlicher und geistiger Pflege nicht so verschieden seien, wie er glaubte.

Sportler sind demselben Training, derselben Körperpflege, denselben Ehrbegriffen unterworfen. In den USA braucht, sucht und schätzt man den guten Sportlei und fragt nicht nach seipem Weltbild und seiner Farbe, wie es degenerierter Sport in Europa und Asien gelegentlich tut. Geschieht es doch einmal, wird etwa ein Wettspiel zwischen verschiedenen Farben verhindert, so geschieht dies regelmäßig durch ..Einflüsse von außen und löst einen Sturm des Hohnes und der Entrüstung aus; Ein guter schwarzer Mittelstürmer ist mehr wert als ein schlechterer weißer. Gepaart mit einer Ueber-schätzung des Sports und seiner Jünger, bricht der Rekord die Farbe.

Als Verkäufer, Angestellte, Sekretäre sieht man immer mehr Farbige. In ihrem Auftreten unterscheiden sie sich in nichts von ihren weißen Kollegen, außer gelegentlich durch größere Zuvorkommenheit. Als Pflegerinnen sind sie beliebter als die weißen, weil sie sich ihrer Aufgabe, vielleicht wegen des Konkurrenzkampfes, mit mehr Hingebung widmen, Wenn Farbige neben Weißen arbeiten — und das ist jetzt überall der Fall, wo es nicht von Unions aus Brotneid verhindert wird — wäscht sich der Farbige so oft wie der Weiße, wechselt das Arbeitsgewand wie dieser, bedient dieselben Maschinen, zeigt dieselbe Vorbildung, Vorzüge und Fehler am Arbeitsplatz und in der Unionsversammlung. Ist er tüchtig, so avanciert er in der Stellung, und .der Weiße lernt, daß es ganz gleich ist, ob man einen weißen oder einen farbigen Vorgesetzten hat. Ist er tüchtig in dem, was die Union von hren Funktionären erwartet, so wird lieber ein tüchtigerer Farbiger als ein weniger tüchtiger Weißer gewählt. 1930 gab es nur 200.000 farbige Gewerkschaftsmitglieder, heute sind es zwei Millionen — 12,5 Prozent mehr, als dem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Viele farbige Gewerkschaftsfunktionäre, auch Präsidenten, sind von einer weißen Mehrheit gewählt. Auch der Bürgermeister der reichsten Gemeinde der Welt, Manhattan, ist ein Neger. Bedarf bricht Farbe.

Der letzte Weltkrieg und der koreanische Krieg haben Farbige und Weiße buchstäblich nähergebracht. Es gibt kaum eine größere Intimität als im Felde oder in der Enge der Schiffe und Flugzeuge. Versuche, eine Scheidung aufrechtzuerhalten, scheiterten nicht nur am Befehl aufgeklärter Heeresleiter, sondern vor allem an Zweckmäßigkeit und Not. Und war man einmal zusammen in Todesgefahr gewesen, hatte einen Mann anderer Farbe gerettet oder war von ihm gerettet worden, so war ein Band fürs Leben geschmiedet. Gefahr bricht Farbe.

Schließlich: die Schulen, von der Volks- bis zur Hochschule. In den niederen Schulen macht sich noch die Verschiedenheit des Heims stärker geltend. Aber schon vor zehn Jahren war der Analphabetismus der Farbigen auf elf, der ihrer Kinder auf fünf Prozent gesunken. Der Rosenwald-Fonds hat 5000 Landschulen für Negerkinder errichten geholfen. Und die Schule beeinflußt das Heim, wenn auch am kürzeren Hebel. Der Hebel Schule ist in den USA im Vergleich zum Heim länger als anderswo, und Kameradschaft wird stärker gepflegt.

Das breiteste Tor durch den Stacheldraht schlägt die Hochschule, besonders die gemischte. In Studium und Diskussion lernt man Gesinnungsgenossen und Gegner schätzen, verschwinden alle Unterschiede außer denen des Geistes. Studentenorganisationen, die Farbige ausschließen, werden bekämpft und selbst ausgeschlossen. Es fällt kaum noch auf, wenn eine Studentengruppe überwiegend weißer Farbe einen oder eine Farbige zum Präsidenten, zum“ Vertreter, zum „beliebtesten Mitglied“ („most populär girl“) wählen. An den gemischten Hochschulen, wie zum Beispiel der New York University mit ihren 60.000 Hörern, gibt es im Hörsaal und Laboratorium, im Speisesaal und beim Spiel keinen Linterschied, keine Trennung der Farben.

Das mag im Auslande befremdRch klingen, wo man von den skandalösen Vorgängen an der Universität Alabama tausendmal mehr hört als von den zehntausendmal häufigeren Vorfällen idealer Zusammenarbeit zwischen Rassen und Religionen an hunderten von Hochschulen. Kennzeichnend für die Ausschreitungen in Alabama ist aber nicht so sehr das Auftreten einer Pöbelgruppe, unter der sich auch Studenten befanden, als die einmütige Verurteilung durch die Mehrheit weißer Studenten, und die Empörung im ganzen Lande, die sich nicht nur gegen die Uebeltäter, sondern auch gegen die Hochschulleitung wegen ihrer energielosen Haltung kehrt.

Der Drang nach Bildung ist unter den Farbigen mindestens so stark wie unter den Weißen, stellt er doch den besten Weg zum sozialen Aufstieg dar. Vor 20 Jahren gab es nur 7000 Farbige an schwarzen und 2000 an gemischten, vor allem katholischen Hochschulen; vor fünf Jahren waren es 100.000, heute schon über 120.000. Das sind %% des Volksteils, ein Anwachsen um 1100% in weniger als einer Generation. Dem stehen allerdings 3,5 Millionen weißer Studenten, 2%% des Volksteiles, gegenüber, sie haben sich in den letzten zehn Jahren aber nur um 130% ver-rrfehrt (1900 waren es noch 120.000 unter 51 Millionen, also weniger als %%; heute macht in Oesterreich die Zahl der Hochschulstudenten V % der Bevölkerung aus). Die Werber der Industrieunternehmen machen in ihrer Jagd nach dem Talent keinen Unterschied zwi-, sehen Farbigen und Weißen, ziehen einen wesentlich mehr versprechenden Neger dem minder versprechenden Weißen vor. Bildung bricht Farbe.

So vollzieht sich ein Angleichungsprozeß, dessen Fortschritte geradezu mit der Uhr in der Hand verfolgt werden können. Er wird von allen Bundesbehörden, gleichgültig, welche Partei am Ruder ist, von den Gerichten und den Behörden der meisten Staaten mit aller Kraft gefördert. Eine Entscheidung und Verfügung nach der anderen räumt mit Zurücksetzung auf. Vielleicht noch wichtiger ist es, daß der weitaus größte Teil der weißen Bevölkerung, große Gruppen mit beinahe fanatischer Begeisterung, für die Beseitigung aller Schranken eintreten. Im Auslande aber hört man nur den Lärm der immer mehr schwindenden Gegner.

IN UNSEREM SCHAUFENSTER

(in der Passage) finden Sie:

Hans Slapak

Wo fahr' ich hin — wo bleib' ich stehn!

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