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Bis zum bitteren Siegfrieden
Die Militärs haben Österreich und Deutschland in den Weltkrieg hineingetrieben. Aus dem Versuch, Serbien auszuschalten, wurde ein Weltbrand.
Die Militärs haben Österreich und Deutschland in den Weltkrieg hineingetrieben. Aus dem Versuch, Serbien auszuschalten, wurde ein Weltbrand.
Kaiser Franz Joseph hatte nach der Ermordung des Thronfolgers sofort im Sinn, Serbien als politischen Faktor auf dem Balkan auszuschalten. Feldzeugmeister Poti-orek, für den - ohne vorliegende klare Beweise - Serbiens Mitschuld an der Verschwörung als erwiesen galt, entfachte eine Kriegspropaganda auf hoher Ebene. Er verfaßte Briefe mit gleichem Inhalt, die er an den Leiter der Feldkanzlei, Feldzeugmeister Arthur Freiherr von Bolfras, an Generalstabschef Conrad von Hötzendorf und Feldmarschalleutnant Alexander von Krobatin im Kriegsministerium sandte. Osterreich war sich der deutschen Unterstützung sicher. Conrad selbst und der deutsche Botschafter Baron Heinrich von Tschirschky drängten auf sofortige Invasion in Serbien. Osterreich dürfe keine Schwäche zeigen, glaubte der Deutsche noch mahnen zu müssen, es könnten sich sonst Veränderungen im Zweibundverhältnis ergeben.
Es vergingen jedoch Wochen, bis es zu einer Entscheidung kam. Der deutsche Kaiser trat sogar eine ausgedehntere Nordlandreise an, viele hohe Militärs waren auf Urlaub. Als die Wogen bereits geglättet schienen, erging jenes Ultimatum an Serbien, das den Krieg auslöste. Während Wien jedoch auf Serbien fixiert blieb, ventilierte Berlin schon Gedanken über den großen Krieg. Deutschland ging es um andere Ziele als um bloße Bestrafung. Es galt, in die große Weltpolitik entscheidend einzugreifen, auch Österreich-Ungarn spielte dabei nur eine in die
Machtpläne Deutschlands einbezogene, eigentlich untergeordnete Größe. Wenn schon Säbelrasseln, dann sollten mit entscheidenden Schlägen große Entscheidungen herbeigeführt werden. Der einzige vorhandene strategische Plan war der sogenannte Schlieffenplan, der von einer Offensive Deutschlands über Belgien nach Frankreich ausging.
Die deutschen Kriegsziele gingen von einer Hegemonie Deutschlands in Mitteleuropa aus. Von Frankreich wurde die Abtretung des Erzbeckens von Briey gefordert, Paris sollte in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland gebracht werden. Im Verlaufe des Krieges zeigte sich dann immer deutlicher, wie sehr die deut: sehe Führung Österreich-Ungarn in ihre militärisch-strategischen und politisch-wirtschaftlichen Überlegungen einbezog. Aus der von Deutschland geforderten unbedingten Nibelungentreue konnte sich -wie der Historiker Alfred Opitz in „Zeitenwende im Donauraum -Von der Doppelmonarchie zu den Nachfolgestaaten" (Styria 1983) einleuchtend darstellt, nicht mehr hinauswinden.
Der einmal begonnene Krieg, im Westen, im Nord-Osten und Osten sowie im Südosten, der (siehe Seite 10 Zeittafel) sofort den damaligen Bündemechanismus auslöste, wurde, da von Deutschland auf einen unbedingten „Siegfrieden" angelegt, bis zum bitteren Ende ausgefochten.
Keine Rücksicht wurde mehr auf die komplizierten inneren Verhältnisse der Donaumonarchie genommen. Die so dringend notwendige Verfassungsreform des Vielvölkerstaates, der unter dem dualistischen System ächzte, mußte unterbleiben. Der Tod des Doppeladlers kam von außen und von innen.
Nachdem Kaiser Franz Joseph 86jährig am 21. November 1916 gestorben war, er galt als letzte das Reichsgebilde noch notdürftig zusammenhaltende Klammer, versuchte sein Nachfolger Kaiser Karl Frieden im Inneren und mit den Feinden zu schaffen. Der Dreißig- jährige wurde aber von den Ungarn, die seine Konzeptionslosigkeit erkannten, beinhart überspielt. Sie setzten ihm die - symbolisch sehr aussagekräftig - viel zu große Stefanskrone (siehe Foto) auf und alle Fragen nach ei: nem neuen Wahlrecht, das den Völkern unter der Stefanskrone Erleichterungen -hätte verschaffen können, waren ad acta gelegt.
Auch in der Frage eines Separatfriedens kam Karl nicht weiter. Besonders stark auf Friedenskurs war die sogenannte Parma-Gruppe gegangen, Kaiserin Zita von Bourbon-Parma (mit der Karl seit 1911 verheiratet war) und deren Mutter, die sich bei den Staatsgeschäften überhaupt nicht zurückhielten und über Zitas Brüder Sixtus und Xavier, beide Offiziere in der belgischen Armee, eine Auflösung des französischdeutschen Knotens suchten. Karl konnte diesen Bestrebungen eine Zeitlang folgen, doch Italiens Gebietsabtrennungsforderungen 'an Österreich und Deutschlands Ablehnung, über Elsaß-Lothringen auch nur nachzudenken, ließen den letzten österreichischen Kaiser auf seine unbedingte Treue Deutschland gegenüber zurückfallen.
Alfred Opitz (siehe oben) dazu: „Die Situation nahm für die Donaumonarchie tragische Züge an. Was sollte als Leitprinzip weiterhin gelten? Nibelungen-sagenumwobene hehre Treue bis in den Tod oder der gesunde Sinn für Selbsterhaltung frei nach Bismarck, der einmal bemerkte: ,Keine große Nation wird je zu bewegen sein, ihr Bestehen auf •dem Altar der Vertragstreue zu opfern, wenn sie gezwungen ist, zwischen beiden zu wählen.' Aber war denn dieses Kaiserreich eine ,große Nation', war es nicht vielmehr ein Bündel vieler Nationen und Nationalitäten, ohne einheitliche Staatsgesinnung, ein in absolutistischen Zeiten zusammengefügtes dynastisches Besitzkonglomerat, das im 20. Jahrhundert nichts mehr zu suchen hatte?" Deutschland setzte noch auf die
Wunderwaffe U-Boot und forderte von Wien die Weiterführung des Krieges. Nach Anfangserfolgen im U-Boot-Krieg seit Februar 1917 kam mit dem Eingreifen der Vereinigten Staaten die Götterdämmerung für das alte Mitteleuropa.
Der österreichische Außenminister Ottokar Graf Czernin sah sich zur Abfassung einer Denkschrift veranlaßt, in der er ohne Beschönigungen, die innere Lage der Donaumonarchie darstellte. Er kam auf die Erschöpfung aller wirtschaftlichen und militärischen Reserven zu sprechen, stellte die von Hunger und Verzweiflung geprägte Lage der Völker dar und machte auf eine — vor allem im Blick auf Rußland - gefährliche vorrevolutionäre Situation aufmerksam. Czernin: „Wenn die Monarchie der Zentralmächte nicht imstande sind, in den nächsten Monaten Frieden zu schließen, dann werden ihn die Völker über ihre Köpfe hinweg machen, und dann werden die Wogen der revolutionären Vorgänge alles das wegschwemmen, wofür unsere Brüder und Söhne noch heute kämpfen und sterben."
Doch sie starben weiter bis zum „Siegfrieden" der Alliierten. Und die Völker Mitteleuropas gingen eigene Wege. Rauchensteiner (siehe Seite 9) dazu: „Daß man immer wieder verleitet war, den Verlust an europäischer Mitte zu bedauern, war keinesfalls1 späte Einsicht, sondern primär tagespolitischer Stoßseufzer, denn ebenso sicher gab es zu keiner Zeit die Bereitschaft, etwas rückgängig zu machen. Die Staatenrevolution im Donauraum, die mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie Hand in Hand ging, war ein irreversibler Akt."
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