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Bischöfe am Wegrand

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Es geschah vor wenigen Jahren. Die ungarische Volksrepublik verlangte von den Würdenträgern der Religionsgemeinschaften die Eidesleistung auf die Verfassung des Staates. Im alten Parlamentsgebäude und heutigen Regierungssitz in Budapest ist alles zum Empfang der Teilnehmer an diesem feierlichen Akt bereit. Die Zeit — aus irgendeinem, kaum erklärlichen Grund — eilt. Da fahren staatliche Limousinen bei den Ordinariaten vor, und die Bischöfe werden gebeten, ohne viel Umstände einzusteigen. Sie leisten der Aufforderung Folge. In schneller Fahrt bringt man sie nach Budapest, wo die Spitzen des Staates schon warten. Photographen, Kameraleute. Erfrischungen werden gereicht. Nach den obligaten Händedrücken im Scheinwerferlicht ist jedoch alles vorbei, und die Bischöfe stehen auf der Straße, der eine und andere von ihnen ohne einen Groschen Geld in der Tasche, denn in der Eile, als die schwarze Limousine vorfuhr, hat man darauf vergessen. Jetzt muß also das Fahrgeld für die Eisenbahn von irgend jemandem ausgeborgt werden. Ein grotesker Vorfall, aber niemand lacht. Die Bischöfe fahren im überfüllten Eisenbahnabteil heim und gehen ihren Obliegenheiten nach, als ob nichts geschehen wäre, bis die schwarze Limousine sie wieder holt…

Das Staatliche Kirchenamt muß über eine stattliche Anzahl solcher Luxusautomobile verfügen. Denn die Bischöfe werden rar, und es gilt, den kirchlichen „Betrieb” aufrechtzuerhalten. Bischöfe, die wegen „Unbotmäßigkeiten” in entlegene Dörfer relegiert wurden, werden von Zeit zu Zeit geholt, nicht zum Staatsakt, sondern um die Firmung in der verwaisten Diözese zu spenden, wo nur ein vom Staat eingesetzter oder „gewählter” Vikar regiert. Bischöfe am Wegrand … Die in den Äußerungen offizieller Sprecher oft betonte Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche schaut in der Wirklichkeit einem zynischen Spiel ähnlich. Mit diesen Gegebenheiten mußte der Yorstoende der ungarischen Bischofskerftcrenz, der am 3. Oktober verstorbene Erzbischof Jozsef Grösz, fertig werden.

Er betete und schwieg

Vor Jahren hat es die ungarische Bischofskonferenz versucht, in der von den Kommunisten als Mittel des ideologischen Kampfes forcierten „Friedensarbeit” zu einem ehrlichen Kompromiß zu gelangen. Es war nach dem gescheiterten Aufstand des Jahres 1956. Damals schworen die führenden Aktivisten der „Friedensbewegung der katholischen Priester” ihren Bischöfen und der Kirche Gehorsam und Treue. Dasselbe wiederholte sich, als aus dem Vatikan die Nachricht kam, diejenigen Priester, die im kommunistischen Staat Funktionen wie die eines Parlamentsabgeordneten übernehmen, würden exkommuniziert. Als diese wohl schärfste Maßnahme der Kirche dann doch nicht durchgeführt wurde, haben dieselben Männer ihre Treueschwüre bald vergessen. Nun schritt die Bischofskonferenz zu einem Kompromiß und übernahm die Führung einer neuen „Friedensbewegung”, die den Namen „Opus paeis” trug. Damit schien die Kluft zwischen den berüchtigten Aktivisten der Friedensbewegung und dem übrigen Klerus allmählich überbrückbar. Es kam anders. Die Gruppe der vom Staat mit allen Mitteln unterstützten „Friedens- priester” kam mit der alten Lautstärke wieder und verhinderte jeden ehrlichen Kompromiß. Der Erzbischof kam zu den immer seltener gewordenen Sitzungen des „Opus paeis”, sprach ein Gebet und schwieg dann. Die schwarze Limousine fuhr immer seltener vor …

Er erhob zuletzt die Stimme, als im letzten Frühjahr eine plötzlich einsetzende Verhaftungswelle im ganzen Land die tüchtigsten, intaktesten jungen Seelsorger und Kanzelredner aus ihrer Wirkungsstätte riß. Erzbischof Grösz unternahm damals zweierlei. Er bat seine Mitbrüder um äußerste Zurückhaltung in allen Fragen, die den kommunistischen Staat in seinem Argwohn bestärken könnten. Er bangte um das Schicksal seiner Priester und um die Gemeinde, die dann ohne Priester bleiben muß. In unmißverständlicher Weise stellte er sich aber . zur gleichen Zeit auch vor die Ver folgten und Eingekerkerten. Es hat nichts genützt.

Um den letzten Kontakt zu Rom

Sein Nachfolger im Amt des Vorsitzenden des Bischofskollegiums ist der nunmehr Rangälteste von der kleinen Schar der Bischöfe, der Di- özesanbischof von Csanäd (Szeged), Dr. Endre Hamvas. Einen Erzbischof im Amt — denn Kardinal Mindszenty befindet sich noch immer im selbstgewählten Gefängnis in der Budapester amerikanischen Botschaft — hat die Kirche in Ungarn gegenwärtig nicht. Bischof Hamvas ist 71 Jahre alt, er wurde, zwei Jahre später als Erzbischof Grösz, im Jahre 1913 in Wien, nach Absolvierung seiner Theologiestudien an der Wiener Universität — er war wie Grösz Alumnat des berühmten Pazmaneums —, zum Priester geweiht. Er war dann Religionslehrer in der Budapester Schule der „Notre- Dame de Sion”, später wurde er Theologieprofessor, dann erzbischöflicher Vikar von Budapest. Während des zweiten Weltkrieges ernannte ihn . Papst Pius XII. zum Bischof von Csanäd.

Wie wird Bischof Hamvas die Kirche in Ungarn führen? Außer ihm gibt es heute nur noch vier Diözesan- bischöfe in Ungarn. Diese sind der Bischof von Szekesfehervär (Stuhlweißenburg), der greise Lajos Shvoy, die Bischöfe von Györ (Raab) und Szombathely (Steinamanger). Kalman Papp und Sändor Kovdcs, und schließlich der griechisch-unierte Bischof Miklos Dudäs. Mit bischöflichen Vorrechten ausgestattet ist in Ungarn nach altem Brauch der Erzabt des Benediktinerklosters von Pannonhalma, Norbert Legänyi. Diesen sechs Männern gesellt sich die Gruppe der (von Rom bestätigten) Apostolischen Administratoren und Kapitelvikare. Es wäre falsch, diese als „regimehörige Friedenspriester” abzutun. In einigen Fällen mag vielleicht eine zu große Bereitschaft festzustellen sein, die Maßnahmen des Staatlichen Kirchen?, r amtes,’die dieses’mit Hilfe fef durdh- Į weg vori ihm eingesetzten General 1 vikare und bischöflichen Kanzleidirektoren ausübt, gutzuheißen; die Mehrzahl hat bisher den ärgsten Eingriffen jedoch mutig Widerstand geleistet.

Wie wird es aber weitergehen? Von den insgesamt elf Bischöfen, darunter drei Erzbischöfen, die Ungarn normalerweise besaß, befinden sich Kardinal Mindszenty, dann die relegierten Bischöfe von Väc (Waizen) und Vesz- prem, Jözsef Pėtery . und Bertalan Badalik, außerhalb ihres Amtes. Von den noch vorhandenen Weihbischöfen wurde Jänos Bärd, der Weihbischof von Kalocsa, nicht zum Kapitelvikar nach dem Tode Erzbischofs Grösz gewählt. Kapitelvikar und damit Leiter der Diözese wurde vielmehr der Direktor der Katholischen Aktion — die ja in Ungarn ein Schattendasein fristet —, Imre Värkonyi, dem man eine betonte Regimetreue nachsagt. Bischof Hamvas, der vor Jahren auch eine Rußlandreise absolvierte, soll, nach Ansicht vieler in Ungarn, zur Fortsetzung des Kurses des 1956 verstorbenen Erzbischofs von Eger, Gyula Czapik, neigen, und dieser Kurs führte Erzbischof Czapik zu den damals von den Kommunisten überall forcierten „Weltfriedenskongressen” …

Solche Kongresse gibt es heute nicht. Tatsache bleibt jedoch, daß die Bischofskonferenz in ihren Entschlüssen und Handlungen nach wie vor arg behindert wird und daher wohl Gefahr läuft, ihre Autorität einzubüßen. Das ist wohl auch der Grund, warum der Vatikan keine neuen Bischöfe ernennt. Eine solche Entwicklung würde jedoch über kurz oder lang zu ähnlichen Zuständen führen, wie sie etwa in der benachbarten Tschechoslowakei zu beobachten sind. Der Bruch in der kirchlichen Jurisdiktion wäre dann nicht aufzuhalten, und auch der spärliche Kontakt mit Rom käme zum Stillstand. Kann das Bischof Hamvas, werden es die immer mächtiger werdenden Exponenten der kommunistischen Allmacht zu verhindern wissen, verhindern wollen? Und schließlich, wo verläuft die Grenze in jedem einzelnen, noch so geringfügigen Fall? Schwere Sorgen verdunkeln den Blick der an der Bahre des toten Erzbischofs trauernden ungarischen Katholiken.

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