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Bischof für den Frieden

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Bischof Samuel Ruiz Garcia verkörpert heute nach über 30 Jahren im Amt alle Widersprüche Mexikos. Viele verehren ihn, andere hassen ihn.

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Bischof Samuel Ruiz Garcia verkörpert heute nach über 30 Jahren im Amt alle Widersprüche Mexikos. Viele verehren ihn, andere hassen ihn.

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Mit bitterer Feindschaft verfolgen den Bischof, seit seiner . Berufung durch Papst Johannes XXIII. verantwortlich für die überwiegend indianische Bevölkerung der Diözese San Cristobal de la Casas, vor allem die Kaufleute, Viehzüchter, modernen Landwirte und Mahagoni-Händler im Bundesstaat Chiapas (die auch „coletos” heißen, weil sie sich nie mit den lokalen Indianern vermischt haben), deren Geschäfte vom Aufstand der EZLN-Guerilla (Ejercito Zapatista de Libe-racion Nacional) unter Führung des legendären „Subcomandante Marcos” lahmgelegt worden sind. Ende Februar organisierten sie, unterstützt von ihren Ehefrauen, einen Protestmarsch gegen Don Samuel, der zum Sturm auf die Kathedrale wurde. Vielleicht wäre der Bischof - die Polizei griff erst nach einigen Stunden ein - gelyncht worden, hätten nicht tapfere Indianerfrauen, die sich gegen das Bombardement von Tomaten, Eiern und Mehlsäcken mit Decken und Tischplatten schützten, die Kirchentüre blockiert.

Feindschaft auch anderswo: Mexikos greiser Gewerkschaftsboß Fidel Velasquez, kaum noch redefähig, nuschelt häßliche Invektive gegen den Kirchenfürsten; für die PRI-Staats-partei gilt Don Samuel als Unperson; Mexikos Freimaurer melden sich mit einer Presse-Aussendung, in der sie vorbeugend gegen eine Nominierung des Rischofs für den Nobelpreis wettern; Mexikos Evangelikaie (fälschlich als Sekten angesprochen), die unter den Indianern in Chiapas stark missionieren, halten es auch in diesem Fall mit der gegebenen staatlichen Ordnung und kritisieren den Bischof, indem sie Zweifel an seiner Friedensfähigkeit anmelden.

Doch Don Samuel wird auch viel geliebt: Die Armen, und Chiapas ist voller entrechteter, landloser, hungernder Armer, verehren ihn; die Indianer betrachten ihn als Beschützer; Mexikos Intellektuelle, ansonsten eher antiklerikal, vertrauen der Intelligenz und Triftigkeit seiner Botschaften; und für „Subcomandante Marcos” ist Don Samuel die entscheidende Stimme in den Verhandlungen mit der Regierung für einen fairen Frieden in Chiapas.

Für Mexikos Regierung, die sich immer noch auf die Inhalte der Revolution von 1910 beruft, stellt die moralisch starke Stellung des Bischofs einen unangenehmen Stolperstein dar. Mexikos Revolution stand und steht in der Tradition des Antiklerikalismus der Liberalen, die Mitte des 19. Jahrhunderts die kirchenfreundlichen Konservativen ausbooteten. In den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts verschärfte sich der traditionelle Antiklerikalismus zu einem offenen Kirchenkampf.

Seit den fünfziger Jahren wuchs wieder ein vorsichtiges Nebeneinander, das 1992, unter Präsident Carlos Sahnas de Gortari (der begriff, daß in der Nafta-Integration mit den USA und Kanada Antiklerikalismus keinen Stellenwert hat) zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem- Heiligen Stuhl führte. Mexiko war somit nie ein Ort für eine radikale Theologie der Befreiung. Auch Don Samuel gehört dieser Gruppe nicht an, obschon seine Feinde dies immer behaupten.

Was jedoch in Mexikos katholischer Kirche aufblühte, war ein starkes pastorales und soziales Engagement einzelner Priestergruppen zugunsten von Armen, Slumbewoh-nern, Bauernproletariern und Indianern. Dabei verkörpert Bischof Ruiz die Avantgarde: während dreier Dekaden unermüdlicher Seel- und Leibsorge unter den Indianern von Chiapas reifte er zur Vaterfigur, die heute alle - in Liebe oder in Haß -berührt. Als diese Vaterfigur wurde Bischof Ruiz zum Präsidenten der regierungsunabhängigen Conai-Ver-handlungskommission (Comision Nacional de Intermediacion) für den Chiapas-Konflikt gewählt.

In Chiapas haben bekanntlich mexikanische Intellektuelle aus der Protestgeneration von 1968 in engem Kontakt mit der indianischen Urbevölkerung eine Front gegen die Zentralregierung - die sich nie um die brennenden Anliegen dieser und anderer Urbevölkerungen des Landes gekümmert hat - aufgebaut. In der Neujahrsnacht 1994, zugleich mit dem Inkrafttreten der Nafta-Integration, begannen sie als EZLN-Guerilla den bewaffneten Aufstand, der bereits am 12. Jänner 1994 zu einem vom damaligen Präsidenten Sahnas ausgerufenen Waffenstillstand führte. Während des monatelangen militärischen Patts versuchte die Co-nai-Kommission unter Don Samuel zu vermitteln. Bis Anfang Februar 1995 hielt diese diffuse Situation an.

Doch dann versuchte der wirtschaftlich arg bedrängte neue Staatschef Ernesto Zedillo einen Militärschlag.

Am 9. Februar 1995, in einer dramatischen Fernsehansprache, enttarnte Zedillo den „Subcomandante Marcos” als den ehemaligen Jesuitenschüler und Universitätslektor Rafael Sebastian Guillen, verlas gegen ihn und andere Guerilleros Haftbefehle'und ließ die Armee, die seit Monaten in Chiapas Gewehr bei Fuß stand, losmarschieren. Allerdings gab es keine Schlacht, denn die EZLN-Guerilleros - es dürften nicht mehr als 600 sein - sowie Teile der indianischen Bevölkerung zogen sich kampflos in den unwegsamen Lacandona-Dschungel zurück.

Womit Präsident Zedillo nicht gerechnet hatte, war der massive Protest der Bevölkerung, die in Mexiko-Stadt zu Hunderttausenden auf die Straße ging, um erneut Friedensverhandlungen zu verlangen. Bischof Samuel Ruiz gehörte dabei zu den häufigsten Referenzfiguren, auf die mit Plakaten und Sprechchören verwiesen wurde. Deswegen prallten in den Februar- und Märzwochen alle Anschwärzungen an ihm ab.

Bischof Javier Lozano im März im Fernsehen auf, um seinen Amtsbruder Ruiz zu bezichtigen, er hätte Gelder des deutschen Hilfswerkes „Misereor” verwendet, um die Guerilla mit modernem Funkgerät auszustatten. Solche Denunziationen (wie die auf „Kommunismus” und „Subversion”) wirken im Moment nicht, denn Präsident Zedillo machte nach den Demonstrationen zwei Schritte zurück und beauftragte den Kongreß mit dem Verfassen eines neuen Friedens- und Amnestiegesetzes für Chiapas.

Der Text liegt seit 9. März, von beiden Kammern bestätigt, vor. Entscheidend ist, daß die Intrige des Präsidenten, Bischof Ruiz von dieser neuen Initiative fernzuhalten, nicht griff. Denn die Opposition im Kongreß sorgte dafür, daß die Conai-Kommission und damit Don Samuel als zentrale Dialoginstitution angeführt wird. Womit für Bischof Samuel Ruiz Garcia der entscheidende Test für die friedliche Lösung des Chiapas-Konfliktes läuft. Der Gesetzestext, der umfassende Amnestieklauseln enthält, gibt ihm in seiner jetzigen Form nur wenige Wochen Zeit dafür.

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