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BISCHOF PHILARET / VATER DER WIENER ORTHODOXEN

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Für die nicht unmittelbar Beteiligten ist ein wichtiges Ereignis in der Russisch-Orthodoxen Kirche Wiens unbemerkt geblieben. Im Sommer schon traf in Wien der neuernannte Bischof Philaret ein und übernahm die ihm vom Patriarchat in Moskau anvertraute Eparchie.

Seit der Abreise (und dem bald darnach erfolgten Tod) des Erz-bischofs Sergius, der 24 Jahre sein hohes Amt in Prag bekleidete und 1946 bis 1948 in Wien weilte, war der Bischofsthron in Wien vakant. Die spärliche Kirchengemeinde mußte sich schweren Herzens an die traurigen Zustände in ihrer früher so lebendigen und oft überfüllten Kirche gewöhnen. Während des Krieges, zur Zeit als die sogenannten Ostarbeiter in Wien waren, war der große Bau kaum fähig gewesen, die Menge der Betenden zu fassen. Jetzt stand die Kirche leer. Das schöne Gebäude, das zu den Sehenswürdigkelten Wiens gehört, ist reparaturbedürftig; das Dach ist undicht; viele Teile der Kirche sind vollkommen verwahrlost; seit dem Tode des stellvertretenden Chordirigenten sang der Chor seit Jahren ohne Führung. Die Zahl der den Gottesdienst regelmäßig besuchenden Menschen war deprimierend gering. Wenn ein Besucher heute die Kirche betritt, bietet sich ihm ein ganz anderes .Bild. Die jugendliche, ganz in Weiß und Silberornat gekleidete Gestalt des hohen Würdenträgers dominiert die um ihn versammelte, fetzt zahlreiche Gemeinde der Glgubigen. Unter Assistenz von drei Geistlichen und sechs Ministranten zelebriert er die herrliche und feierliche Handlung der Liturgie mit einer so innigen Frömmigkeit und Erhabenheit, daß die zwei Stunden, die der Gottesdienst dauert, den Anwesenden gar nicht lang vorkommen. Der Chor, geleitet von seinem früheren, sehr bekannten Dirigenten, trägt sein bestes bei, um die Schönheit und Feierlichkeit des bischöflichen Hochamtes zu unterstreichen. „Es weht ein neuer Wind“, sagt man sich. Wem ist dieser Wandel zu verdanken?

Bischof Philaret (Michail Antonowitsch Denissenko) ist am 28. Jänner 1929 im Dorf Blagodat-noje, Donezgeblet, als Sohn eines Grubenarbeiters geboren. Nach Beendigung der Mittelschule trat er im Jahre 1946 in die dritte Klasse des Seminars in Odessa ein, das er im Jahre 1948 beendete, und ging im selben Jahr nach Moskau in die Geistliche Akademie. Am 1. Jänner 1950 wurde er als Mönch eingekleidet und erhielt den Namen Philaret. Zunächst wurde ihm die Aufsicht über die Räume des Patriarchen im weltberühmten Kloster Trojizko-Sergejewskaja Lawra (Sagorsk) anvertraut. Am 15. Jänner 1950 wurde der Mönch Philaret vom Patriarchen Alexe] zum Diakon und am Tag der Heiligen Dreifaltigkeit zum Priester geweiht. Im Jahre 1952 absolvierte er die Moskauer Akademie als Kandidat der Theologie, nachdem er eine Dissertation über die Erlösung nach der Lehre der heiligen Väter des vierten Jahrhunderts geschrieben hatte. Er wurde zum Lehrer für das Neue Testament am Moskauer Seminar und gleichzeitig zum Prior im Kloster Sagorsk ernannt. Seit 1953 unterrichtete er auch an der Geistlichen Akademie in Moskau. Im Jahre 1956 wurde ihn vom Wissenschaftlichen Rat der Moskauer Akademie die Würde eines Dozenten zuerkannt. 1956 wurde er Abt (Igumen) und zum Inspektor des Geistlichen Seminars in Saratow, 1957 zum Inspektor des Seminars in Kiew ernannt. Im Jahre 195S wurde ihm die Würde eines Archi-mandriten verliehen. Am 4. Februar 7 962 wurde er in Leningrad zum Bischof von Luga und Vikar der Leningrader Eparchie gewählt und beauftragt, die Geschäfte der Rigaer und lettischen Eparchien zu führen.

Vor der Bischofsweihe wurde er von den höchsten kirchlichen Behörden mit wichtigen Aufgaben betraut. So fuhr er im Sommer 1955 nach England, um den Metropoliten Pitirim während eines Besuches beim Erzblschof von Canterbury zu begleiten. 1962 fuhr er erneut als Mitglied einer russischen Delegation nach England. Ende 1960 fuhr er mtt dem Patriarchen Alexe] in das Heilige Land, In die östlichen Patriarchate und nach Griechenland. 1961 reiste er im Auftrag des Erzbischofs Ntkodtm nach Nord-, West- und Ostafrika.

Dies ist, in kurzer, fast nur aus Jahreszahlen bestehender Fassung, die ungewöhnliche Geschichte eines jungen Mittelschülers aus dem fernen Donezgeblet, welche ihn als hohen kirchlichen Würdenträger zu uns nach Wien gebracht hat. Für jeden, der Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen, wird dieser Werdegang begreiflich und verständlich. Es strömt so viel Herzlichkeit, Güte, Menschenfreundlichkeit und Elfer für sein hohes Amt aus diesem noch so jungen Kirchenfürsten, daß jeder, der ihm mit offenem Herzen entgegentritt, in ihm nicht nur den guten, klugen Menschen, sondern auch den guten, klugen Priester sehen wird. Sein Zelebrieren der Liturgie führt die Gedanken des Allernüchternsten zu Gott. Aber auch das Praktische liegt Ihm sehr nahe. So widmet er sich mit größtem Eifer und viel Freude der Restaurierung der schönen St. Nikolaus-Kirche in der Jauresgasse. Der Bischof kontrolliert die gründliche Durchführung der Restaurierung und legt ohne Scheu selbst Hand an.

Die Worte Christi: „Tue ledern nur das an, was du willst, daß auch dir angetan wird“, ist die milde und kluge Weisheit, die er seiner Gemeinde einprägen möchte.

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