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Bischofsmesse in Ost-Berlin

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Introibo ad altare Dei.

Langsam steigt der Bischof die Stufen des Altars hinan. Zu Hunderten stehen sie dichtgedrängt in der Kirche und sehen zum erstenmal ihren Bischof, angetan mit den Kleidern seines heiligen Amtes, mit Mitra und Hirtenstab. Als er vor wenigen Minuten durch die Mitte der Kirche geschritten war, hatten sie ,kniend seinen Segen empfangen. Nun strecken sie die Hälse, nun heben sie die Köpfe, nun halten sie ihre kleinen Kinder hoch. Ihr Bischof ist zum erstenmal bei ihnen, zum erstenmal, seitdem er vor wenigen Wochen erst sein Amt angetreten hat, das Hirtenamt des Bischofs von Berlin.

Der Altar, dessen Stufen der Bischof hinanschreitet, ist ebensowenig ein Kunstwerk wie die Kirche. Sie hat nichts von der Wucht eines romanischen Domes, nichts von der Weihe einer gotischen Kathedrale, nichts vom Ueberschwang und Jubel des Barocks. Vor fünfzig Jahren ist diese Kirche gebaut worden, und sie sieht auch so aus, wie man eben vor fünfzig Jahren Kirchen baute. Den zehntausenden Katholiken aber hier im Osten der gewaltigen Stadt, wenige Kilometer von einer Grenze, deren Vorhandensein man nicht spürt, wenn man im Zug durch die Stadt fährt, die aber als Riß, als tiefer Graben zwei Welten trennt, den Katholiken im Osten der Stadt ist diese Kirche seelische Heimat, Quellborn der Gnade, geistiges Zentrum. Die Kirche hat diese Grenze nicht geschaffen, sie kennt keine Grenzen, wo es um ihr Wirken als Kirche geht, sie kann eine Grenze, die ein Volk,

ja, die eine Stadt auseinanderreißt, nicht als trennenden Schranken achten und respektieren. Die vielen Hunderte von Gläubigen, die heute dieses Gotteshaus füllen, das zu seinem fünfzigjährigen Jubiläum den Besuch des Bischofs empfängt, die vielen zehntausende Katholiken im Osten der Stadt sind in ihrem Glauben und in ihrem Wollen, in Andacht und Gebet deutsche Katholiken, Berliner Katholiken. Die Kirchen Ostdeutschlands sind immer gefüllt, sind voller als manche Kirchen im Westen. Das religiöse Leben in den Pfarren und Gemeinden ist stark und kräftig, nicht weil sie in einem Staate leben, der sich jedweder religiösen Bindung entkleidet hat, sondern trotzdem, gerade deswegen.

Ad Deum qui laetificat iuventutem meam.

Wo ist die Jugend? Kommt sie noch zu Gott, auf daß Er ihre Jugend erfreue? Wenn es um die Seele des Volkes geht, geht es zuerst um die Seele der Jugend. Als der Bischof in die Kirche eingezogen war, da war ihm die Jugend vorangezogen, Burschen und Mädel mit den Fahnen und Bannern der katholischen Jugend. Katholische Jugend mit Fahnen in Ostdeutschland? In ihren Gesichtern war nichts Verkrampftes, sie freuten sich, daß sie den Bischof in die Kirche führen durften, daß sie die Fahnen tragen durften. Aber es war auch in ihren Gesichtern nichts zu spüren von der kindlichen Begeisterung der Schaustellung. Jugendfahnen zu tragen in Ostdeutschland und in Ost- Berlin mag nicht nur eine. Freude und ein Stolz sein, es ist ein so eindeutiges Bekenntnis, daß jeder, der dies tut, wissen muß, was er damit auf sich nimmt.

Nachdem der Diakon das Evangelium gesungen hatte, besteigt der Bischof die Kanzel, in vollem Ornat mit Mitra und Hirtenstab, und er beginnt ein Schreiben zu verlesen, ein Hirtenwort der Bischöfe Ostdeutschlands, das am gleichen Tag, zur gleichen Stunde in allen katholischen Kirchen der Deutschen Demokratischen Republik, wie sich dieser Staat nennt, verlesen wird. Der Sorge um die Jugend gilt dieses Hirtenwort, der Jugend, die gläubig und voll Vertrauen zu ihrem Bischof auf sieht. Groß ist der Druck, der auf der Jugend lastet, übergroß die Verantwortung der Eltern. Es gibt keine katholischen Schulen in Ostdeutschland, an den staatlichen aber ist der Materialismus Grundlage der Erziehung. Wer kann den Gewissenszwang ermessen, der auf den Eltern lastet, wenn sie sehen, wie ihre Kinder in einem System aufwachsen, das keinen Platz mehr hat für den Glauben, für die Religion, den Gewissenszwang der Lehrer, der katholischn Lehrer, die verhalten sind, gegen ihre Ueberzeugung. gegen ihren Glauben, gegen ihr besseres Wissen den Kindern eine Schau des Lebens zu vermitteln, an die sie nicht glauben, deren Hohlheit und Falschheit, deren Schädlichkeit und deren Gefährlichkeit für die Seelen der Kinder sie kennen. Aber nicht nur,, daß an den Schulen die Seelen der Kinder ihrem Glauben und dem Glauben der Eltern entfremdet werden, daß der Religionsunterricht immer mehr an den Rand gedrängt wird, der Staat fordert gerade von der Jugend immer stärker ein offenes atheistisches Bekenntnis. Die Jugendweihe, bewußt als atheistische Gegenweihe zur Firmung und Konfirmation geplant, wird der Jugend immer mehr als ein verpflichtender Akt abgefordert. Ohne Jugendweihe keine Aufnahme in die staatliche Jugendorganisation, ohne Teilnahme an dieser kein höheres Studium.

Die Stimme des Bischofs ist ruhig und sachlich, als er das Schreiben der ostdeutschen Bischöfe verliest. Hier ist nicht der Platz für große Rhetorik und große Gesten - Zu ernst, zu schwer ist die Verantwortung. Nochmals wiederholen die. Bischöfe die eindringliche Warnung an die Gläubigen: ..Wer freiwillig an der Jugendweihe und ihren Vorbereitungen teilnimmt oder seine Kinder dazu schickt, sündigt gegen den Glauben, bringt seinen Glauben in ernste Gefahr und gibt der Gemeinde schwerstes Aerger- nis durch schlechtes Beispiel "

Die Katholiken Berlins, die Katholiken Ostdeutschlands sind keine Taiifscheinchristen. Die Hunderttausende, die heute von den Kanzeln ihrer Kirche dieses Hirtenwort hören, verstreut in viele hunderte kleiner Gemeinden, vom Oderbruch bis in den Thüringer Wald, von Mecklenburg bis ins Wendenland und an die Nordhänge des Erzgebirges, sie wissen, worum es geht Aber wo ist hier ein Ausweg? Wer immer vom Staat und der ihn verkörpernden Partei abhängt — und wer würde das nicht in einem totalitären Regime, das seine Bürger an tausenden Fäden hält —, spürt den wachsenden Druck Und immer wieder geht es um die Jugend Alles für die lugend! Du willst doch, daß dein Kind es leichter hat, daß es aufsteigt? Wer Talent hat, wird gesucht und gefördert. Schick dein Kind zu uns, in der Jugendweihe soll dein Kind nicht nur dem Staat, sondern auch dessen Idee verpflichtet werden. Dieser Staat und diese Idee haben keinen Platz für den Glauben und für die Rejigion außerhalb der vier Wände der Kirche. Willst du der Zukunft deiner Kinder im Wege stehen?

Wo ist hier ein Ausweg? Flucht nach dem Westen? Zu vielen Hunderten ziehen täglich die Menschen aus Ostdeutschland in die West- Berliner Auffanglager, sie konnten dem Druck nicht mehr standhalten. Aber ist es nicht doch eine Flucht? Was soll aus dem Land werden, was soll aus dem christlichen Erbe dieses Landes werden, wenn gläubige Menschen, wenn Eltern aus der Sorge um das Heil, das zeitliche und ewige Heil ihrer Kinder, keinen Ausweg mehr sehen als die Flucht? Wer kann ihnen zurufen: Laßt alles im Stich und geht? Wer kann sie verpflichten, auszuharren, bis sie zerbrechen?

Es geht nicht um den Staat, und es geht vor allem nicht gegen den Staat. Wenn die ostdeutschen Bischöfe gegen materialistische Schul- eržiehung, gegen den Zwang zur Teilnahme an der Jugendweihe Stellung nehmen, dann berufen sie sich ausdrücklich auf die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, deren Bürger sie sind und deren Bürger die Katholiken sind, an die sie ihr Wort richten. Der Artikel 41 der Verfassung der DDR garantiert allen Bürgern volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und stellt die ungestörte Religionsausübung unter den Schutz der Republik. Dieselbe Verfassung der DDR verbürgt der Kirche ausdrücklich das Recht, Zu Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, Und gibt es eine Frage, die für ein Volk lebenswichtiger wäre als der Weg, den seine Jugend nimmt? Wird der Staat, der taub ist für eine Berufung auf göttliches Recht, einer Berufung auf das von ihm selbst gesetzte Recht Gehör geben? Was hilft hier noch, wenn nicht der Glaube? '

Credo in UHUIM Demi...

Der Bischof hat geendet, den Hirtenbrief, der unterschieben ist von den Bischöfen, Administratoren und bischöflichen Kommissären Ostdeutschlands, zusammengefaltet und ist die Stufen der Kanzel herabgeschritten. Das Credo, das er anstimmt, nimmt das Volk auf. Hunderte von Stimmeri, alte und junge, helle und dunkle, feste und zitternde Stimmen, vereinigen sich,- verschieden in der Klangfarbe, verschieden im Laut, kommen sie doch von überall her, die Katholiken Ost-Berlins, die große Flutwelle hat sie hier ans Land gespült, vom Ermland und von Tilsit, aus Oberschlesien und vom Egerland, vom Wartebogen und aus dem Erzgebirge. Und daneben die „Urberlinei", die schon fast eine Generation hier wohnen. Hunderte von Stimmen vereinigen sich in dem großen Credo „Ich glaube an Gott den allmächtigen Vater .. Ich glaube an die heilige, katholische Kirche ..

Die Kirche ist nicht im Westen und ist nicht im Osten, sie ist hier und sie ist dort, wo gläubige Menschen in Gebet und Opfer sich um den Altar versammeln, sie ist hier, in einer gar nicht schönen, gar nicht bedeutenden, historisch vollkommen uninteressanten Ost-Berliner Kirche, wo nun, durch eine halbe Stunde fast, der Bischof und mit ihm vier Priester die Kommunion austeilen.

Agnus Dei, ąui tollis peccata Mundi.. . Dona nobis pace™.

Gib uns den Frieden, gib uns den Frieden der Seele, gib uns den Frieden der Welt. Von Karls- horst sind wir südwärts gegangen über die Spree nach Niederschöneweide in die Kirche. Hinter den Herbstnebeln war die Sonne mehr zu ahnen als zu schauen. Still und ruhig war es an diesem frühen Sonntagmorgen gewesen

Was denken die russischen Offiziere, wenn sie vor ihren Augen, in ihrem Herrschaftsbereich, katholische Jugend mit Fahnen und Wimpeln dem Bischof entgegenziehen sehen? Was denkt die Jugend, die hier aufwächst? Wenige Kilometer drüben, im Westen, beginnt nicht nur ein anderer Staat, ein anderes Land, es beginnt auch ein anderes Leben. Wer von draußen nach Berlin kommt, spürt den Unterschied wie Tag und Nacht. Es ist wie ein Sprung über ein Jahrzehnt hinweg. Spürt die Jugend hier, die katholische Jugend im Osten, diesen Unterschied ebenso? Sollte sie ihn nicht noch stärker spüren, wenn sie aus der grauen Oede ihres Alltags, aus düsteren Straßen, verfallenen Vierteln, mit Brettern verschlagenen Läden in den strahlenden Glanz West-Berliner Geschäftsviertel kommt, in den Rausch des Lichtes, des Kurfürstendammes? Sieht sie den materiellen Unterschied oder sieht sie mehr? Ist für sie, die im Materialismus des Elends und der Not im Osten aufgewachsen ist, der Glanz und der Reichtum des Westens ein Land der Sehnsucht und der Verheißung, oder sieht sie in ihm nicht doch auch nur einen Materialismus, den Materialismus des Luxus? Hat diese Jugend, die sich hier nur behaupten kann, wenn sie zu all den Doktrinen, die ihr täglich von hunderten Plakatwänden, von Häusern und Mauern, von Brettörzäunen, aus den Lautsprechern und den Zeitungen entgegenschreien, Distanz hält, wenn sie sie prüft und mißt an ihrem Wollen und ihrem Glauben, kann diese Jugend auch Distanz halten gegenüber den Lockungen der gleißenden Fassaden des Westens? Viele gehen fort, mehr aber noch bleiben hier. Sie bleiben hier, wohl wissend, was sie hier zu erwarten haben.

Ire, ntissa est!

Mit einem Segen entläßt der Bischof die Gläubigen. Und nun tauscht zum letztenmal die

Orgel auf und die Stimmen fallen ein: Te Deum Laudamus, Großer Gott, wir loben Dich, Herr, wir preisen Deine Stärke . .. Der Bischof zieht mit seinem Gefolge wieder aus der Kirche aus, und vor ihm geht wieder gemessenen Schrittes die Jugend mit Wimpeln und Fahnen. Die Hunderte, die draußen vor dem Portal der Kirche den Auszug des Bischofs mit ansehen, kennen sie alle, und morgen werden es ihre Mitschüler und ihre Lehrer wissen, der Hausvertrauensmann wird es wissen und der Parteifunktionär wird es ihren Vätern zu wissen geben. Sie aber tragen die Fahnen vor dem Bischof, in einem Land, in einer Stadt, die nur eine Fahne kennt.. Auf ihren Schultern liegen heute die Fahnen — auf ihren Schultern liegt heute und morgen das Schicksal dieses Landes.

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