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Bismarck und Österreich

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Am 9. Februar 1880 empfing der Reichskanzler Fürst Bismarck in Berlin den durchreisenden österreichischen Botschafter in Petersburg, Grafen K ä 1 n o k y, zu einer Besprechung, deren Inhalt erst durch einen zufälligen Aktenfund dep jüngsten Zeit bekannt wurde und klar und deutlich die Stellung Bismarcks zur Aufgabe der Donaumonarchie in Europa erkennen läßt.

, In seiner Ausführung streifte der Reichskanzler in einer tour d’horizont die politische Lage, die eben auf den Versuch einer Wiederanbahnung der österreichisch-russischdeutschen Beziehungen hinauslief. Rückblickend umriß hier nun Bismarck auch die Grundlage seiner Politik gegenüber Österreich nach 1866 mit folgenden Worten:

„ Nicht weil Graf Andrdssy jener Staatsmann war, der mir persönlich näher stand wie irgendeiner, hat sich ein immer engeres Freundschaftsverhältnis zwischen Deutschland und Österreich herausgebildet; und so groß auch meine Sympathie für Österreich sein mag, ist auch diese nicht das Motiv, welches mich einen engen Anschluß an Österreich anstreben hieß, sondern vielmehr die Überzeugung, daß Österreich der natürliche und geeignetste Bundesgenosse für uns sei; deshalb trat ich gegenüber dem König und den Generälen in Nikolsburg für die Integrität der österreichischen Monarchie ein, deshalb war ich stets gegen die Schwächung des Reiches, in welchem ich unseren besten und sichersten Bundesgenossen für die Zukunft erblickte. Österreich ist absolut notwendig in Europa; fehlte Österreich als Großstaat im europäischen Staatskonseil, so würden die Interessen Deutschlands durch diese Lücke leiden In diesen Worten spiegelt sich deutlicher die politische Aufgabe, die Bismarck der Donaumonarchie in dem kunstvollen System seiner Außenpolitik zugedacht hatte, wieder, nämlich daß Österreich, staatlich getrennt von dem von Bismarck geschaffenen Deutschen Reich, ein Ordnungsfaktor und Kristallisationszentrum in der politischen Gefahrenzone des Südostens sein müsse.

Der harte Schnitt von 1866 hatte die Uhr des deutschen Dualismus, die nach Bismarcks Worten einmal in jedem Jahrhundert durch einen Krieg richtiggestellt werden mußte, endgültig ablaufen lassen und ein Zusammengehen Österreichs mit Preußen in Deutschland unmöglich gemacht, wie es noch Metternich in seinem berühmten Gespräch . mit Bismarck im Jahre 1851 zu Johannisberg vorschlug. Von nun an mußte die Monarchie nach der Meinung Bismarcks im südosteuropäischen Raum als politischer Faktor eine überragende Rolle gegenüber den anstürmenden Bewegungen des Nationalismus der jungen Balkanvölker und gegenüber dem russischen Vordringen gegen das türkische Reich und dessen Vorfelder spielen. „Die große Unbekannte“ in Bismarcks Orientpolitik, nämlich der russische Drang zur Balkanhalbinsel und die zunehmende Demokratisierung und Unabhängigkeitsbewegung der Balkanvölker, konnte nur durch den unversehrten Bestand seiner materiellen Stärke und durch die Verwaltung, welche Österreich seit Prinz Eugen und Maria Theresia zum Segen der kleinen Völker zwischen dem deutschen und dem russischen Lebensraum aufgebaut hatte, vernünftig gesteuert werden. Denn Bismarck hatte nach 1866 jeden Gedanken der Zertrümmerung oder inneren Aushöhlung der Monarchie ernstlich von sich gewiesen. Gegenüber dem ungarischen Dichter Jokai bemerkte er 1874: „Der deutsche Minister, dem es einfiele, von Österreich etwas erobern zu wollen, wäre reif, gehängt zu werde n." Nach Bismarcks Meinung mußte die Integrität Österreich-Ungarns aufrechterhalten bleiben, denn die Mission, die

Österreich-Ungarn erfüllte, „können benachbarte Staaten nicht erfüllen: Wien, Budapest haben die Mission, im Osten reiche Zentralen der Zivilisation und des Handels zu werden“. Wenn aber wirklich eine Neuordnung der Balkanverhältnisse einträte, so sollte eine solche Neugliederung nur „in historischen Staaten“ erfolgen und sich in Form einer politischen Autonomie in den österreichisch-ungarischen Raum einfügen.

Ein solches Konzept, wiewohl überschattet von der ständigen Sorge um die Stellung Rußlands, forderte von dem Deutschtum der Donaumonarchie nach den Gedanken Bismarcks ein hohes Maß Einsicht und Selbstaufopferung. Die Worte Sdiuselkas,

daß die Deutschen in Österreich dem politischen Vaterlande ihr natürliches opfern müßten, erhielten eine höhere Bedeutung durch die eindringlichen Mahnungen des Reichskanzlers, die er immer wieder, namentlich in seinen Altersjahren, angesichts der Fehler der politischen Führung der Deutschen in Österreich, im besonderen aber der Alldeutschen und Schönerianer, aussprach. In einer interessanten Gesprächsnotiz, die Radowitz im Jahre 1879 aufzeichnete und dem österreichischen Botschafter Grafen Szichinyi zur Kenntnis brachte, geißelte dieser vertraute Mitarbeiter des Reichskanzlers vor allem diese Tendenzen:

„Deutschland habe keinen gefährlicheren Feind als den Pan- germanismus. Fürst Bismarck baue fest auf den Bestand seines Werkes, doch wenn es etwas ernstlich zu gefährden imstande wäre, so ist es gewiß jene Politik, die durch das Geschrei einiger Fanatiker nach Ausdehnung soweit die deutsche Zunge klingt, sich würde ins Schlepptau nehmen lassen. Man müßte bei einer Beurteilung des Lebenswerkes des Fürsten Bismarck dereinst auch schildern, was er verhinderte.“

Die Sorge des Leiters der deutschen Außenpolitik galt dabei nicht nur der aufgabenschweren Stellung der Deutschen in der Monarchie für den Gesamtstaat, sondern auch ihrem Verhältnis zur Dynastie und zu den übrigen Völkern. Schärfer konnte der Bruch zwischen den Deutschen und dem Herrscherhaus nicht kritisiert werden, als in der berühmten Rede vor der Huldigungs abordnung der deutschen Österreicher In Friedrichsruh am 15. April 1895: „Die Basis dieses Dreibundes, der den Frieden Europas erhält, ist ja unsere Beziehung und unsere Intimität zum österreichisch-ungarischen Kaiserstaat. Und da habe ich schon früher an unsere Stammesgenossen in Österreich das Verlangen gerichtet, diese Einheit, diese Freundschaft zwischen beiden großen und historisch miteinander eingelebten Nachbarreichen zu pflegen nach ihren Kräften. Je stärker der Einfluß der Deutschen in Österreich sein wird, desto sicherer werden die Beziehungen des Deutschen Reiches zu Österreich sein, und deshalb können Sie, die Deutschen Österreichs, es nicht über Ihr Gewissen und Ihr Gefühl bringen, zu treiben zum Kampfe gegen das deutsche Westreich, und ich hoffe, Sie werden es auch zum Teil über Ihr Gefühl vermögen, den

Frieden zwi ien dem alten Österreich und dem deutschen Westreich dadurch zu pflegen, daß Sie sich in möglichst engen und einflußreichen Beziehungen zu Ihrer ursprünglich deutschen Dynastie halten. Die Dynastie ist schließlich doch für die auswärtigen Beziehungen eines jeden Reiches der einflußreichste Faktor in der Wahl der auswärtigen Beziehungen, Also, meine Herren, Sie können Ihr Wohlwollen für Ihre Stammesgenossen im deutschen Westreich nicht wirksamer bestätigen, als indem Sie Ihre Beziehungen zur eigenen Dynastie pflegen Ich habe in Seiner Majestät Ihrem Kaiser immer noch ein deutsches Herz und Spuren der deutschen Abstammung gefunden. Man kann ja in Österreich sich nicht einer Nationalität, namentlich wenn man Ungarn mitrechnet, ausschließlich widmen Ich will damit — ich weiß nicht, ob mit geschickten Worten oder nicht — für ihre nichtdeutschen Nachbarn eine gewisse Versöhnlichkeit, eine Nachsicht empfehlen Nur möchte ich dringend empfehlen: pflegen Sie die Beziehungen zur Dynastie in höherem Maße, als es mitunter in der Vergangenheit geschehen ist , und ich bitte Sie, mit mir einzustimmen in ein Hoch auf Ihren erhabenen Landesherrn, meinen gnädigen Herrn, den Kaiser Franz Joseph .“

Eine Mahnung, die allerdings ungehört blieb und schon zwei Jahr später, anläßlich der Badeni-Unruhtn, die „Hamburger Nachrichten“, das Sprachrohr Bismarcks, zu der noch schärferen Äußerung veranlaßte: „Österreich hat im Jahre 1866 seine deutsche Stellung aufgegeben und den Schwerpunkt

In ‘die Gesamtheit 3er Volksstämme, die es bilden, verlegen müssen. Mit dieser geschichtlichen Tatsache und ihren politischen Konsequenzen müssen die Deutschen in Österreich ebenso rechnen, wie die guten Menschen, aber schlechten Politiker, die sich jetzt i la Mommsen über die Sprachverord- nungen entrüsten und am liebsten sähen, wenn wir unter Preisgabe unserer Bündnisses und unserer guten Beziehungen zu Österreich diesen Staat womöglich manu militari zwängen, den Willen der Obstruktion und des Alldeutschen Verbandes auszuführen. Tatsächlich sind sie (die Deutschen), wenn sie nicht auswandern wollen oder sich nicht gewaltsam von Österreich losreißen können, darauf angewiesen, sich mit den übrigen Nationalitäten zu verständigen Nationalitätskämpfe wird es in Österreich immer geben; aber sie so zu führen, daß das Staatswohl und die Beziehungen zum Auslande nicht darunter leiden, ist Pflicht namentlich desjenigen Volksstammes, der das Recht in Anspruch nehmen will, der superiore zu sein ."

So kehrte die Sorge Bismarcks um die Stärkung Österreichs im europäischen Kräftespiel immer wieder auf den Ausgangspunkt der Bejahung und Erhaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie als eines entscheidenden Faktors in Europa zurück. Wenn auch das System des Zweibundes militärisch und politisch Wien nidit ganz befriedigte und Bismarck Balkanpolitik, auf die Dauer gesehen, keine Demarkationslinie zwischen den russischen und österreichischen Interessen zu ziehen vermochte, so sind die vorliegenden Gedankengänge zu Österreichs Staatsidee gerade aus dem Munde Bismarcks von hoher Wichtigkeit. Beinhalten sie doch konstruktive Ideen, die eine Fortentwicklung der Monarchie über ihren ursprünglichen Bau zu einem Bund autonomer Staaten (wie sie etwa später im Kreise um Franz Ferdinand wieder auftauchen) anzielen, Ideen, die in der entsagungsvollen und sooft unbe- dankten Arbeit der Beamten und Offiziere des dahingesunkenen Donaureiches ihre Manifestation fanden, deren Leistungen auch heute noch nicht aus den Wesenszügen des durch die Springfluten zweier Kriege zerstörten Donauraumes auszulöschen sind. Bismarcks Mahnungen an die Deutschöster-reicher, die in einer billigen Glorifizierung und Verzeichnung des „Deutschen Reiches“ und in einer kleinmütigen Zerstörungspolitik des kunstvollen Baues ihres Heimatstaates mehr sahen, als in der Aufgabe, die ihnen durch die Geschichte gestellt wurde, fielen auf unfruchtbaren Boden. Man verstand in Österreich ebensowenig die Erwägungen

Bismarcks, die um diesen Staat, der „aus dem europäischen Bild nicht wegzudenken“ war, wie auch jene Nachfolger des Reichskanzlers, die sein kunstvolles Werk der Verträge zerrissen und damit den Beginn des europäischen Chaos heraufbeschworen, nichts vom Wesen und der europäischen Mission Österreichs wußten.

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