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Blick auf die neue Führung

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Der 4. Bundeskongreß des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes ist vorüber. Von der Stirnwand des Kongreßsaales leuchtete während der Tagung das Motto „Fortschritt in Frieden und Freiheit“ und „Der Mensch im Mittelpunkt“. Alles, was Rang und Namen in unserem Staate hat, war bei der Eröffnung des Kongresses anwesend. Erstmals, wie der Vorsitzende betonte, konnte auch der höchste Würdenträger der katholischen Kirche begrüßt werden. Im großen gesehen, stand die Tagung auch wirklich unter dem angeführten Motto, wenn es auch, besonders bei den Begrüßungsansprachen, vereinzelt Mißklänge gab.

Das Thema „Die zweite industrielle Revolution“, in dem besonders die Gefahren einer Machtkonzentration zum Ausdruck kamen, warf die Frage auf, ob es in der Epoche der zweiten industriellen Revolution, besonders der Automation, überhaupt noch möglich sein werde,

den „Menschen im Mittelpunkt" des Geschehens zu halten. Das Referat über die Zukunft der österreichischen Wirtschaft war offen und mutig. In diesem Referat wurde besonders die Versachlichung unserer Wirtschaftspolitik als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Bewältigung der Aufgaben zum Ausdruck gebracht und auf die Notwendigkeit eines langfristigen, sachkundig fundierten gesamtwirtschaftlichen Konzeptes hingewiesen, denn „auch in einer Marktwirtschaft muß sich die Wirtschaftspolitik konkrete Vorstellungen über die langfristige Entwicklungstendenzen und, Aufgaben bilden". Gerade weil die wirtschaftlichen Interessenverbände so stark geworden sind, müßten sie aus staatspolitischer Räson mit gesamtwirtschaftspolitischer Verantwortung belastet werden — im anderen Falle könnten sie leicht Wirtschaft und Staat gefährden. Diese Worte sollten allen Maßgebenden zu denken geben. Der Vortragende schloß mit der Feststellung, daß es tragisch wäre, wenn unsere beiden großen Parteien, die sich in den vergangenen 14 Jahren so große Verdienste um den Wiederaufbau unseres Landes erworben haben, ihre Kräfte im Kampf um ein paar Mandate mehr oder weniger vergeuden würden; in dieser Zeit komme es mehr denn je darauf an, alle positiven Kräfte in unserem Lande zu einer großen nationalen Anstrengung zusammenzufassen, um die Aufgaben zu meistern, die uns im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution und der europäischen Integration gestellt sind.

Das letzte Referat des Präsidenten Franz Olah, der als Nachfolger Johann Böhms zum Präsidenten des OeGB gewählt wurde, „Gewerkschaftliche Probleme unserer Zeit", war von einer Ehrlichkeit und einem Weitblick, wie es nicht jedem Gewerkschaftsfunktionär von Haus aus zuzumuten ist. Olah stellte fest, daß sich heute der Kampf der Gewerkschaften nicht mehr gegen die staatliche Ordnung richte, „weil wir selber in diesem Staate mitzureden haben und weil wir uns zu diesem Staate bekennen". — „Die österreichische Sozialpolitik ist keine Politik für eine Klasse!“ Demnach ist auch der Gewerkschaftsbund nicht die Interessenvertretung einer Klasse, sondern der Allgemeinheit. Olahs Referat gipfelte in einem Bekenntnis zur Demokratie, die dem arbeitenden Menschen Freiheit, Mitverantwortung, Gleichberechtigung und Anerkennung’gibt.

Dem ist kein Wort hinzuzufügen. Die Frage ist nur: Wird das dort Gesagte auch in der Praxis verwirklicht werden? Die christlichen Arbeitnehmer, die einmal in den christlichen Gewerkschaften standen, haben sich 1945 ohne jeden Zwang, durch eigenen Entschluß zur Einheitsgewerkschaft bekannt. Haben sie heute wirklich jene Stellung innerhalb des mächtigen Gewerkschaftsbundes, die ihnen zukommt? Der Gewerkschaftsbund hat sich bald nach seiner Gründung in Fraktionen aufgespalten. Es war gut so. Leider aber mußten die christlichen Gewerkschafter bald erkennen, daß sie ihre Eigenständigkeit für etwas eingetauscht hatten, däs nicht immer ihren Zielen und Auffassungen entsprach. Wo blieb bisher die Pflege christlichen Gedankengutes, das in der christlichen Soziallehre verankert ist? Wo blieb die Familienpolitik, die ihnen so sehr am Herzen liegt? Wo blieb die neue Betriebsgestaltung, die nichtkollektivistische Ordnung nach dem christlichen Subsidiaritätsprinzip? Wo blieb die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Ertrag der Arbeit? Wo blieb damit der gerechte Anteil des arbeitenden Menschen am Erfolg des Betriebes? Wo wurde versucht, die Ideen des Sozialhirtenbriefes der österreichischen Bischöfe auch nur zu untersuchen?

Die christlichen Gewerkschafter hoffen, in ihrem neuen Präsidenten den Mann zu haben, der Verständnis für diese Anliegen zeigt und bereit ist, ihnen hierin Gehör zu schenken. So müßte auch endlich einmal eine Urwahl über die eigentlichen Kräfteverhältnisse im Oesterreichischen Gewerkschaftsbund entscheiden. Die Arbeiterkammerwahlen vermitteln zwar ein gewisses Bild, aber sie können nur beschränkt und unter Vorbehalt als Maßstab für das politische Kräfteverhältnis innerhalb der Arbeiterschaft aufgefaßt werden. Mit der Urwahl aber wäre der letzte Rest von Mißtrauen beseitigt und der Weg frei für offene, gemeinsame Arbeit.

Wie anders liegen dagegen die Verhältnisse im Deutschen Gewerkschaftsbund! Das erst jüngst von Otto Stolz, „Die Gewerkschaften in der Sackgasse“, als kritisches Porträt im Isar-Verlag, München, veröffentlichte Werk zeichnet ein düsteres Bild der Verhältnisse im Deutschen Gewerkschaftsbund. Stolz war jahrelang stellvertretender Chefredakteur der „Welt der Arbeit", muß also die Verhältnisse im DGB genau gekannt haben. Besondere Kritik übt er an der Haltung des DGB zu politischen Fragen, darunter dem Verhältnis zum Osten. Vielleicht verallgemeinert er zu sehr, was nur für einzelne Gewerkschaften zutrifft. Trotzdem ist das Buch das Dokument eines Mannes, der aus bitterer Erfahrung spricht — und sprechen mußte.

Sein Buch reizt geradezu zu einem Vergleich mit unseren Verhältnissen. Hier springt vor allem die gänzlich anders geartete Organisation in die Augen. Während es dem OeGB möglich ist, seine Fachgewerkschaften als Untergliederungen einheitlich auszurichten, ist dies dem DGB, wie die Erfahrung zeigte, nicht möglich, da er nur eine Dachorganisation darstellt und die Industriegewerkschaften fast absolute Selbständigkeit besitzen. Auch das Problem der Industriegewerkschaft, in der Arbeiter und Angestellte gemeinsam organisiert sind, wurde bei uns anders gelöst. Wir haben eine starke Angestelltengewerkschaft, in der gerade die christliche Fraktion bedeutenden Einfluß nehmen kann. Daher ist es begreiflich, daß sich in Deutschland neben dem DGB auch eine selbständige deutsche Angestelltengewerkschaft DAG bilden konnte.

Dank der klugen Politik des verstorbenen Präsidenten Böhm hat sich in Oesterreich der Gewerkschaftsbund weitgehend aus politischen Fragen in der Oeffentlichkeit herausgehalten. Weise war auch die von Böhm gelenkte Lohnpolitik, der es zu danken ist, daß wir — im Gegensatz zu Deutschland — so gut wie keine größeren Streiks gehabt haben. Der Gewerkschaftsführung ist es 1951 auch gelungen, den von der äußersten Linken angezettelten „Generalstreik“ einzudämmen. Der Erfolg dieser Entwicklung spiegelt sich unter anderem darin, daß fast drei Viertel der in Oesterreich beschäftigten Dienstnehmer im Gewerkschaftsbund organisiert sind, während der DGB nicht einmal die Hälfte-an. sich vereinigen kann..Dieser, verfehlten Politik des DGB ist es .auch zuzuschreiben, daß sich in der letzten Zeit wieder — und man muß von unserer Warte aus sagen verständlicherweise — christliche Gewerkschaften gebildet haben, die, wie Meldungen bezeugen, ständig im Wachsen sind und sich im Juni dieses Jahres zu einem 14 Gewerkschaften umfassenden Verband zusammengeschlossen haben.

An diesem Beispiel ist zu erkennen, wie eine Einheitsgewerkschaft nicht geführt werden darf, j wenn ihre Einheit gewahrt bleiben soll. Noch sind auch bei uns nicht alle Forderungen an r eine echte überparteiliche und überkonfessionelle Einheitsgewerkschaft erfüllt. Vieles ist . noch zu ändern und vor allem noch manches aus der Zeit der Richtungsgewerkschaft überkommene Gedankengut über Bord zu werfen. n Unsere Gewerkschaft muß auch die Grenzen ihrer Wirkungsmöglichkeit erkennen: Es kann nicht die Aufgabe einer modernen Gewerkschaft sein, den „ganzen Menschen" zu „erfassen“ — solche Bestrebungen riechen immer nach Totalitarismus. Wir leben, wie Bischof Rusch’ in der Kundgebung der christlichen Gewerkschafts- 11 fraktion sagte, in einer pluralistischen Gesell- r schäft, also in einer Vielheit, in der jeder Ge- n meinschaftsform ihre bestimmte Aufgabe zufällt. ‘ Der kulturelle Bereich liegt nämlich sehr eng an der Grenze des Weltanschaulichen — und 11 davon sollte sich jede Gewerkschaftsbewegung e fernhalten.

Möge dies die neue Führung des OeGB be-denken und im Sinne und im Andenken an 5 Johann Böhm Weiterarbeiten und weiter-wirken, damit tatsächlich aus diesem OeGB eine Einheit wird, zu der sich auch die christ- l liehen Gewerkschafter ohne Vorbehalt be- , kennen können. Gingen wir den Weg der deut-sehen Gewerkschaften, so wäre auch bei uns eine Spaltung unabwendbar. Das wollen aber unsere christlichen Gewerkschafter nicht. Sie 1 wollen nur, daß ihre Belange mehr berücksich- , tigt, daß auch ihre Anliegen zur Kenntnis ge- i nommen und respektiert werden. Das, und nicht mehr und nicht weniger, erwarten sie von der . neuen Führung.

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