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Blick in den Rückspiegel

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„Alle diejenigen, die ihrer Uberzeugung gemäß glaubten, der heutigen Politik der Südtiroler Volkspartei nicht ihre uneingeschränkte Zustimmung geben zu können, wurden in zielbewußter Flüsterpropaganda beim Volke diskreditiert, als Schwächlinge ..., ja als Verräter am Volke hingestellt.“ Diesen Satz, der mehr Anklage als Klage sein wollte, schrieb Dr. Otto von Guggenberg im Frühjahr 1963 in einem offenen Brief an den Obmann der Südtiroler Volkspartei, Sylvius Magnago. Er verwies darin auf den immer enger werdenden Kreis an Mitarbeitern; auf die innerhalb der SVP sich regenden Stände und Berufsgruppen, die ihre Interessen anmeldeten und vertreten sehen wollten; auf die Notwendigkeit, eine demokratische Artikulierung in Partei und Führung zu bewerkstelligen, da anders weder die Einheit gewahrt noch neue Kräfte für die Mitarbeit gewonnen werden könnten.

Dies war vor vier Jahren. Südtirol stand damals, 18 Monate nach dem Auftreten der wirtschaftlich akzentuierten „Richtung Aufbau“, vor einer schwierigen Parlamentswahl, in der sich zum ersten Mal seit 1921 eine Südtiroler Gegenliste präsentierte, Josef Raffeiners „Tiroler Heimatpartei“. Indessen hat sich auch eine Spaltung nach links ergeben und geht Südtirol einer neuen Parlamentswahl entgegen. Obschon sich die Strahlungskraft von Jennys sozialdemokratischer Fortschrittspartei nicht berechnen läßt, wird ihr Vorhandensein die Situation der SVP als Sammelpartei nicht erleichtern; zugleich aber signalisiert diese Dreiteilung ebenso wie die „Kulturrebellion“ der akademischen Jugend, daß jene Demokratisierung, welche die SVP-Führung nur in ungenügendem Ausmaß gewähren wollte, sich eben auf natürlichem Wege einstellt. Zu welchem Ende dies führen wird, läßt sich nicht absehen. Gewiß ist nur, daß die politische Artikulierung der tirolischen Volksgruppe nicht zu ihrer Schwächung führen muß, sondern vielmehr neue Kräfte aktivieren kann, Kräfte, die anders vielleicht brach blieben.

Die „Männer der ersten Stunde“

Daß die Rebellion der Jungen möglich ist; daß Stände und Berufsgruppen wieder Interessen anzumelden haben, die nicht mehr der Aufschrei der zu nationalem und wirtschaftlichem Untergang Verurteilten sind; daß die SVP-Führung, ohne deswegen das Lard zu ruinieren, sich seit Jahren die „Halb-Opposition“ in der Region sowie das innere und äußere Ringen um die Auffettung der Autonomie leisten kann: dies alles hat Südtirol einer Gruppe von Männern zu danken, denen zu danken leider aus der Mode gekommen ist, Kanonikus Michael Gamper, Erich Amonn, Karl Tinzl, Otto von Guggenberg, Paul von Sternbach, Karl Erckert, auch Josef Raff einer, der mit Amonn Mitbegründer und erster Generalsekretär der Partei war. Einige dieser Männer sind tot (Gamper, Tinzl, Sternbach, Erckert), andere leben — unbedankt — fern der Politik. Zu ihnen gehört Dr. Otto von Guggenberg, der am 28. August das 80. Lebensjahr vollendet; er lebt, still und zurückgezogen, in Brixen, nach vielen Jahren intensiver politischer Aktivität nur noch als Zuschauer, der jungen Generation kaum noch dem Namen nach bekannt.

Und dennoch ist sein Name aus Südtirols Geschichte seit 1919 nicht fortzudenken. Einer christlichsozialen PolitikerfamUie entstammend (sein Vater war Präsident des Lan-deskulturrats) ging Otto von Guggenberg 1919, nachdem er den Krieg als Leutnant der Artillerie hinter sich gebracht hatte, nach Bern, um dort den Vertretern der Entente gegenüber die Sache Südtirols zu verfechten; 1920 bis 1929 Direktor der Alpenländischen Vereinsbank in Innsbruck; 1929 Rückkehr nach Brixen, um die Leitung der der Familie gehörenden Wasserheilanstalt zu übernehmen; 1939 Option für Italien ohne direkte Stimmabgabe;

1946 mit dem heutigen SVP-Vizeob-mann Friedi Volgger und Hans Schöfl Delegierter Südtirols bei den Friedensverhandlungen in Paris;

1947 bis 1952 Generalsekretär, 1952 bis 1954 Obmann der SVP;

1948 bis 1958 Abgeordneter zur Deputiertenkammer in Rom und dort ständiges Mitglied des Finanzausschusses.

Ein erfülltes Leben in trockenen Daten. In der Rückschau „frisches und fröhliches Arbeiten“. Im Urteil anderer: Versagen, weil Rom nicht zu halten bereit war, was der Pariser Vertrag versprochen hatte; weil die Autonomie nicht so wurde, wie Buchstabe und Atmosphäre des Statuts hatten erwarten lassen. Versagen? Ich entsinne mich des ersten öffentlichen Auftretens Otto von Guggenbergs nach dem zweiten Weltkrieg als Redner auf einer Großkundgebung in Bruneck im Frühjahr 1946, der ersten in Südtirol nach Kriegsende. Die Kundgebung war einberufen (offiziell als Protest gegen die Rückkehr Tolomeis nach Südtirol), aber die Parteiführung konnte keinen Redner stellen. Guggenberg erklärte sich bereit. „Aber dann“, sagte er, „lasse ich das Selbstbestimmungsrecht aus!“ Er war der erste, der in einer öffentlichen Kundgebung das Selbstbestimniungsrecht reklamierte, dessen Erreichung — so wollte es ein Genitlemen's Agreement mit der Besatzungsmacht — ohne jede Form von Agitation angestrebt werden sollte. Von da an folgte Kundgebung auf Kundgebung, die größte und mächtigste in Sigmundskran. Vergeblich. Aus Paris aber brachten Guggenberg und Volgger den Pariser Vertrag heim: „Eineisernes Bettgestell“, meinte Guggenberg. „Ums Bettzeug werden wir uns mit den Italienern raufen müssen.“ Das Raufen um das Bettzeug hat bis heute nicht aufgehört; es wird auch nicht aufhören.

Herrschaftlich, tolerant, offen

Man wird einmal die frühen Unterlassungen Österreichs aufhellen müssen, welche die Position der Südtiroler sehr geschwächt haben; heute fehlt dazu die nötige Akteneinsicht. Eines aber kann man heute schon sagen: die erste Führungs-garnitur der SVP hat nicht versagt und nicht verraten, sie hat ihr Bestes gegeben, sie hat das Mögliche erreicht. Ihr politischer Stil entsprach ihrer Vergangenheit: herrschaftlich, tolerant, offen; sie dachte in altösterreichischen Kategorien und wurden von einem überspielt, der gleichfalls alle altösterreichdschen Register beherrschte: Alcide de Gasperi, der den Südtirolern soviel Autonomie wie nur möglich verhieß, um möglichst viel Autonomie für sein Trentino und möglichst viel Macht für seine Democra-zia Cristiana zu erreichen. Für die Südtiroler das Um und Auf, für de Gasperi Mittel zu anderen Zwek-ken: dies waren die Positionen; es gelang immerhin, das von Rom Oktroyierte zu verbessern; das Autonomiestatut wurde selbst von de Gasperi als Provisorium gewertet; und das Provisorium hat sich immerhin als Grundlage für den „Wiederaufbau“ der Minderheit bewährt. Ist dies wenig?

„Schauen Sie doch“, empfahl Guggenberg in dem schon zitierten offenen Brief an Magnago, „bei der Berg- und Talfahrt Ihres Parteiwagens recht oft in den Rückspiegel!“ Der Rat ist noch gültig. Soll das Paket angenommen oder abgelehnt werden? Es gibt viele Gründe, die gegegen das Ja sprechen, doch lassen sich viele Hemmungen auch davon herleiten, daß man selber die ersten Unterhändler in Rom so wenig bedankt hat; man fürchtet, von Rom (und Wien) verheizt zu werden wie Amonn, Raffeiner, Guggenberg, Tinzl. Guggenbergs Rückspiegelmahnung gilt aber auch für Wien und Rom, denen es obliegt, zur Sicherung des Pakets eine Formel zu finden, die nicht jede Meinungsverschiedenheit über die Auslegung eines Artikels zwangsläufig auf die gefährliche Bahn des bilateralen Konflikts und des internationalen Prozesses abdrängt.

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