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Blick zurück mit Stolz

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Im Bewußtsein der heutigen Österreicher lebt die Zeit zwischen 1932 und 1938 nur dunkel und widersprüchlich. Soll man am besten vergessen?

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Im Bewußtsein der heutigen Österreicher lebt die Zeit zwischen 1932 und 1938 nur dunkel und widersprüchlich. Soll man am besten vergessen?

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Dem Dollfuß-Regime, ist vieles vorzuwerfen: die Zwangstaufe der Gemeinde- und Bundesangestellten unter Androhung des Stellenverlustes war ein Dummheit, welche allerdings die Kirche hätte verhindern müssen; der schleichende Antisemitismus, die Weigerung, junge jüdische Ärzte und Lehrer anzustellen, war ein würde- und wirkungsloser Versuch, den Nazis etwas Wind aus den Segeln zu nehmen; die Hinrichtungen waren Verbrechen.

Aber merkwürdigerweise tauchen diese Dinge in der Diskussion wenig auf, und die Hauptanklage geht auf „Verfassungsbruch“. Wie hätte eine unter ganz anderen Umständen konzipierte Verfassung auf die gänzlich veränderte Lage angewendet werden können, die durch Hitlers Machtergreifung und die damit verbundene Bedrohung Österreichs entstanden war? Was hätten zum Beispiel Neuwahlen ergeben? Hätten die Nationalsozialisten unter irgend einer Tarnung mitgewählt, dann wäre ein Parlament entstanden, das genau dem Reichstag des sterbenden Deutschland geglichen hätte: zwei radikale Flügel, die das regierungsfähige Zentrum erdrückten. Hätte man die Nationalsozialisten am Wählen gehindert, hätten die Sozialdemokraten eine überwältigende Mehrheit erhalten, mit der sie allerdings nichts hätten anfangen können. Oder wollten sie zwischen Hitler und Mussolini eine „Diktatur des Proletariats “ errichten?

Einer der ihren, Koloman Wal- lisch, rief tatsächlich während der Februarkämpfe eine Räterepublik in der Steiermark aus. Das rechtfertigt nicht seine spätere Hinrichtung, aber seine Aktion ist symptomatisch für den sogenannten „Austromarxismus“: ein Verbalradikalismus, entfernt von jeder politischen Realität. Es ist klar, daß dieser Weg zwangsläufig zur Katastrophe führen mußte, denn jede Klasse, die sich in ihren Privilegien bedroht fühlt, wehrt sich wie ein wildes Tier. Nun zur Vergangenheitsbewältigung. Während der Französischen Revolution wurden Menschen karrenweise enthauptet, wurden im Krieg in der Vendeė von den Regierungstruppen Scheußlichkeiten begangen, die dem, was wir gegenwärtig mit Entsetzen auf dem Balkan miterleben müssen, durchaus vergleichbar sind. Und doch hat Danton ein Denkmal im lateinischen Viertel, und doch wird am 14. Juli in Paris auf den’ Straßen getanzt , und doch werden die meisten Franzosen, gefragt, wer die drei größten Söhne ihrer Nation seien, Robespierre nicht verschweigen.

Was uns von den Franzosen unterscheidet, hat der Dichter Jean Paul auf seine einzigartige Weise gesagt: „Ganz als Gegenfüßler der Franzosen und Sems, der den Mantel auf den entblößten Vater warf, ziehen wir ihn noch ein wenig weiter vom Väterlande hinweg und rufen wie Cham die Spötter herzu.“ Die Franzosen haben einen nationalen Instinkt und wissen, daß eine Nation nicht von Produktion und Handelsbilanzen allein lebt. Es braucht den Mythos, den Traum.

Ein anderer Franzose, Montalem- bert, hat gesagt, die Vergangenheit dürfe nur der verurteilen, der ihr nichts zu verdanken habe. Er fühlte, daß man nicht „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auf alle Fahnen schreiben und zugleich Robespierre,

Danton und Marat nur als blutrünstige Verbrecher betrachten kann. Ebenso kann man sich nicht zu dem freien und unabhängigen Österreich bekennen und die Männer, denen man es zu verdanken hat, systematisch verteufeln.

Ohne Dollfuß und sein Regime hätte es dieses Österreich nie gegeben. Vorher bestand Österreich nur auf der Landkarte, die Bevölkerung hatte nicht den Schatten eines Nationalgefühls (nicht zu verwechseln mit Heimathebe) und der Staat hatte seine „Unabhängigkeit“ 1918 nur widerwillig auf sich genommen. Der Parlamentsbeschluß, der besagte, daß „Deutsch-Österreich“ ein Teil des deutschen Reiches sei, mußte auf Befehl der Siegermächte zurückgezogen werden.

Wenn Österreich Parteirankünen überwinden könnte, könnte es in der Zeit zwischen 1933 und 1945 groß dastehen. Man muß es miterlebt haben, um zu ermessen, was es damals bedeutete, wenn Dollfuß, Kanzler dieses kleinen, wirtschaftlich schwer geschädigten, vom latenten Bürgerkrieg zerfressenen Landes einem Abgesandten Hitlers am Flugfeld sagen ließ, sein Besuch sei „unerwünscht“, während die großen Demokratien vor ihm auf den Knien lagen.

Schuschnigg hat sich kein Wort und keine Geste zuschulden kom men lassen, die dem „Anschluß“ auch nur einen Schatten von Legitimität verliehen hätten. Was würde man von Schuschnigg denken, wenn er eine Erklärung unterschrieben hätte, wonach der Anschluß von der österreichischen Regierung gewünscht würde, und wenn er dann noch einige Zeit „Gauleiter“ geblieben wäre? Das ist aber genau das, was seine Zeitgenossen in ähnlicher Lage taten; der Tscheche Hacha in Berlin, der Slowake Dubček in Moskau. Dubček wurde - berechtigterweise - mit Ehren begraben; auf Schuschnigg wird gespuckt und herumgetrampelt: Schizophrenie, verschärft durch Masochismus.

In Wien gibt es einen Seipel-Platz zu Ehren dessen, der den Bürgerkrieg organisierte, und einen Renner-Ring, zu Ehren dessen, der Hitlers Einmarsch freudig begrüßte. Ein typisches Krankheitsbild: man ist stolz auf das, wofür man sich schämen müßte. In einem künftigen gesunden Österreich müßte es einen Dollfuß-Ring und einen Seitz-Ring geben, in gegenseitiger ehrender Anerkennung des Widerstandes gegen Hitler einerseits und des großartigen sozialen Aufbauwerks des „Roten Wien“ andererseits. Und einen dritten Ring zu Ehren aller Widerstandskämpfer und Märtyrer. Das wäre Vergangenheitsbewältigung.

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