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Blick zurück — ohne Zorn

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Das Haus Steingasse 25, im dritten Wiener Gemeindebezirk, steht ab kommendem Wochenende als Kulturzentrum der Volksdeutschen Heimatvertriebenen zur Verfügung.

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Das Haus Steingasse 25, im dritten Wiener Gemeindebezirk, steht ab kommendem Wochenende als Kulturzentrum der Volksdeutschen Heimatvertriebenen zur Verfügung.

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Sie kamen aus allen Gegenden des Reiches, gerufen von Kaisern, Königen, Fürsten. Sie zogen nach Osten und Südosten, in der Hoffnung, dort eine neue Heimat zu finden, ein besseres Leben als in der alten, oder auch freie Religionsausübung, die ihnen dort verwehrt worden war. Im hohen Mittelalter folgten Bauern, Handwerker, Kaufleute dem Ruf ungarischer Könige in die dünnbesiedelten Täler der Karpaten, dem dann die vom Deutschen Ritterorden erbauten Burgen den Namen „Siebenbürgen” einbrachten. Zur gleichen Zeit holten sich tschechische Herzöge deutsche Siedler nach Böhmen und Mähren, um vor allem die Randgebiete zu kultivieren. 400 Jahre später, gleich nach dem Ende der Türken-kriege, sorgten Kaiser Karl VI., Maria Theresia und Josef II. für die Wiederbesiedlung der kriegsverwüsteten Länder rechts und links der Donau, in Ungarn, dem Banat, der Bacska, in Sy-rmien. Ausläufer dieser Wanderbewegungen zogen sich bis nach Bessa-rabien (dem heutigen Moldawien), in die Bukowina, nach Galizien.

Überall dort lebten Deutsche durch Jahrhunderte in geschlossenen Siedlungen inmitten anderssprachiger Mehrheitsvölker - meist friedlich mit denen, die gemeinsam aufgewachsen waren, und immer wieder in mitunter blutigen Spannungen, wenn politische, nationalistische, ideologische Konflikte die Volksgruppen gegeneinander aufbrachten.

Abhängig von geographischen, sozialen, wirtschaftlichen Gegebenheiten wie vom ethnischen Umfeld entwickelten sich die deutschen Siedlungsgebiete des Habsburgerreiches in verschiedener Intensität und Richtung. Der böhmisch-mährische Raum wurde zum wichtigsten Industriegebiet der Monarchie und entsandte zahlreiche Staatsmänner, Kirchenfürsten, Künstler und Künstlerinnen, Wissenschaftler in den Gesamtstaat. Die Großbauern des Banat und der Bacska füllten die Korn- und Fleischkammer der übrigen Kronländer. Siebenbürgen wurde vielen Protestanten zur neuen Heimat, die die Gegenreformation aus der alten Heimat vertrieben hatte.

Die Gebiete an der Donau und in den Karpaten gehörten zur ungarischen Krone. Als 1848 die Ungarn gegen Habsburg revoltierten, blieben die Siebenbürger kaisertreu, die Menschen im Banat und der Bacska schlössen sich den Ungarn an und gerieten in den *. Jahrzehnten darauf umso mehr k unter den Assimilationsdruck ml. der Magyaren.

Bis 1918 die Österreichisch-Ungarische Monarchie zusammenbrach. Böhmen, Mähren, die westlichen Karpatengebie-le mit ihren deutschen Sied- . lungen in der Zips bildeten die neue Tschechoslowakei. Das Banat wurde geteilt, der Ostteil fiel an Rumamen, der Westen, die Bacska und Syrmien an Jugoslawien. Nun standen die Donauschwaben - erst jetzt % * entstand diese Bezeichnung, die sich rasch durchsetzte -Rumänen und Serben als Staatsvölkern gegenüber, die Sudetendeutschen Tschechen und Slowaken, die Siebenbürger Sachsen Rumänen. Und wieder gab es Spannungen.

Der Zweite Weltkrieg wurde zum Schicksal für die altösterreichischen Siedlungen. Die deutschbesiedelten Randgebiete Rohmens und Mährens waren schon im Münchner Abkommen vom September 1938 von der CSR abgetrennt und dem großdeutschen Reich angegliedert worden. Die Bacska und Nordsiebenbürgen „kehrten” nach Ungarn „heim”, die deutschen Städte und Dörfer der Vojvodina (des serbischen Banats) erhielten unter der deutschen Militärverwal- . tung Serbiens Autonomie. Die wehrfähigen Männer wurden zur Wehrmacht und zur Waffen-SS eingezogen. Kriegshandlungen, Repressalien gegen Untergrundkämpfer heizten den Haß der nun unterdrückten Mehrheitsvölker gegen die Volksdeutschen zu Exzessen auf.

Der Zusammenbruch des Groß-deutschen Reichs bedeutete auch das Ende des geschlossenen Sprachraums. In Potsdam beschlossen die Sieger die

Aussiedlung der Deutschen aus Polen, der CSR und Ungarn „in ordnungsgemäßer und humaner Weise”. Zu diesem Zeitpunkt war die Vertreibung der Schlesier, Ostpreußen, Sudetendeutschen, war auch die Vernichtung der Donauschwaben schon voll im Gang. Der Exodus hatte schon während des Kriegs mit der von Berlin befohlenen Aussiedlung der Deutschen aus Bessarabien und der Bukowina begonnen. Die Räumung der Bacska fiel in den Rückzug der Wehrmacht vom Balkan. Aus dem Westba-nat brachte ein letzter Zug die Schulkinder nach Deutschland, ' dann kamen die Partisanen. Die Alten, die Frauen mit Kleinkindern wanderten in die Todeslager. Die wenigen verbliebenen Männer wurden ermordet, arbeitsfähige Frauen landeten in den Bergwerken der Sowjetunion, um „Wiedergutmachung” zu leisten.

Vier Millionen Deutsche aus den Gebieten der einstigen Donaumonarchie strebten in den späten Vierzigerjahren nach Westen, auf der Flucht, vertrieben, ausgesiedelt. Sie sollten, nach der Absicht der Sieger, auf die vier Besatzungszonen des kriegszerstörten, geteilten Deutschland aufgeteilt werden. Sie kamen über die jeweils nächstgelegenen Grenzen, die Südmährer, Ungarn-, Jugoslawien-, Rumänien-Deutschen nach Österreich. Nach einer Statistik des Innenministeriums rund eine halbe Million.

„In Österreich dachte man vorerst gar nicht an eine Eingliederung der

Volksdeutschen”, erinnert sich Eduard Stanek, damals Finanzreferent in der neugeschaffenen Flüchtlingsstelle des Innenministeriums, später Geschäftsführer des Flüchtlingsfonds der UN in Wien. Man hoffte, daß sie bald weitergeschoben würden, wie in Potsdam beschlossen worden war. 160.000 Volksdeutsche wurden auch 1946 nach Deutschland abtransportiert, aber der Zuzug aus dem Südosten hielt zu der Zeit noch an. „Der überwiegende Teil der Österreicher nahm die Anwesenheit der Volksdeutschen als Kriegsfolge, als gegebene Tatsache hin...

Nur einige Linksextremisten verlangten den Austausch von Volksdeutschen gegen in Rußland gefangene Österreicher... Die meisten Österreicher schätzten aber schon damals den Arbeitseifer und Fleiß der Volksdeutschen, die ... den Schutt aus den Ruinen räumten oder als Landarbeiter hart arbeiteten” (Stanek). 1952 zählte der US-Hochkommissar rund 345.000 Volksdeutsche Flüchtlinge und Heimatvertriebene in Österreich. Nun erst begannen die systematischen Bemühungen mit Zahlungsabkommen mit Bonn, den Gleichstellungsgesetzen, der Möglichkeit zur Option für Österreich, mit Wohnungsbau und Eingliederungsaktionen.

Heute, 51 Jahre nach Kriegsende, sind die „Heimkehrer” aus den Weiten der Monarchie im kleinen Österreich fest integriert. Ihre Landsmannschaften pflegen die Erinnerung an die alte Heimat, den Zusammenhalt der Altgewordenen, die Hinführung der Jungen zum Erbe der Ahnen. Und nun soll das „Haus der Heimat” in der Wiener Steingasse als Kulturzentrum des Verbandes der „Volksdeutschen Landsmannschaften in Österreich” (VLÖ) als gemeinsamer Stützpunkt dienen. Seit 1954hatder VLÖ als Vertretung der heimatvertriebenen Volksdeutschen für die arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung der „Altösterreicher” gearbeitet, hat eine Beteiligung am bundesdeutschen Lastenausgleich erreicht. Heute steht die Erhaltung der kulturellen Eigenart der Mitgliedsgruppen im Vordergrund.

Nach dem Krieg waren Vermögensbestände nicht mehr feststellbarer Eigentümer aus den Nachfolgestaaten dem Bund anheimgefallen. Daraus wurden 1990 die Mittel für den Ankauf des Hauses zur Verfügung gestellt. Die Ausgestaltung erfolgte in Eigenregie. Ab 15. Dezember steht das Haus den acht im VLÖ zusammengeschlossenen Landsmannschaften als Kultur-, Begegnungsund Informationsstätte zur Verfügung. Die großen Gruppen der Sudetendeutschen, der Donauschwaben und der Siebenbürger Sachsen verfügen über je ein Stockwerk, die kleineren der Karpatendeutschen, Bukowi-ner, Unter-Steirer, Beskiden-Deut-schen und Banater Schwaben sind jeweils bei den größeren mitbeteiligt. Die einstigen deutschen Minderheiten in Galizien, Wolhynien, Bessarabien, aber auch die Gottscheer sind nicht mehr stark genug, um sich am gemeinsamen Werk zu beteiligen.

Und die „großen”? Wie lange werden sie das Bewußtsein um die Zugehörigkeit zum alten, großen Österreich noch aufrecht erhalten können? wann wird auch für sie die Integration in der Assimilation münden? Die jährliche Totengedenkfeier der Donauschwaben in der Wiener Kaas-grabenkirche im November versammelte fast ausschließlich alte Menschen. Wer die Ver-ts treibung noch selbst bewußt ■L erlebt hat, muß heute über 60 sein. Die hier geborenen und JWk aufgewachsenen Kinder hall ben andere Interessen. Wo es * noch Jugendgruppen gibt, werden sie von Folklore geprägt. Werden die Enkel wieder mehr Interesse am Schicksal der Großeltern aufweisen? f)as „Haus der Heimat” soll dabei mithelfen - nicht nur mit. dem Blick zurück in pfc die Vergangenheit, auch in Brückenfunktion zur alten Heimat, zu den dort verbliebenen Resten der deutschen Minderheiten wie zu den jungen Generationen der Mehrheitsvölker, nachdem mit den älteren Generationen bisher ein Gespräch kaum möglich war.

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