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Bluttransfusion im Heer

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Eine Umänderung wird es bereits in der allernächsten Zeit in den höchsten Kommandostellen des Bundesheeres geben; damit sollen die in der letzten Zeit besonders häufig auftretenden „Kreislaufstörungen“ in der militärischen Spitze unseres Bundesheeres beseitigt werden.

Dieses militärische Revirement wird nicht einmal vor dem ranghöchsten Offizier des Bundesheeres, dem Generaltruppeninspektor, haltmachen: General der Infanterie Erwin Fussenegger, der gemeinsam mit dem kürzlich verstorbenen Ferdinand Graf das Bundesheer der zweiten Republik aus der Taufe hob, wird voraussichtlich im Frühjahr 1970 seinen Abschied nehmen. Fussenegger möchte, so wird kolportiert, keinem neuen — und schon gar keinem eventuellen sozialistischen Minister mehr dienen. Tatsächlich dürften jedoch ein hartnäckiges Augenleiden und eine tiefe Enttäuschung über die langsame, aber sichere Krise des Aufbauwerks Grafs und Fusseneggers die wahren Ursachen dafür sein. Selbst eine so starke Persönlichkeit wie Fussenegger konnte sich dem in den letzten Jahren innerhalb des Bundesheeres immer breitere Kreise erfassenden Prozeß der Resignation nicht entziehen. In einem vor einiger Zeit bekanntgewordenen „Papier“ schrieb sich der Drei-Stern- General seinen Kummer von der Seele; er habe zehn Jahre seines Lebens umsonst geopfert. Deshalb zieht er nun auch die Konsequenzen und räumt voraussichtlich im kommenden Frühjahr sein Büro im letzten Stock des Hauses an der Dominikanerbastei.

Personalpolitische Probleme

Der Abgang Fusseneggers — in den 60er Jahren bei der Truppe noch ge-

fürchtet, heute als „Vatertyp“ geschätzt — wird allgemein bedauert. Ebenso erfolgt die Pensionierung des Leiters der Personalsektion im Verteidigungsministerium, des Generals der Panzertruppe, Rüling. Dem noch in der Tradition der Kavallerie verhafteten, obwohl von der Gicht ge plagten stets gemütlichen Panzergeneral werden Fehler in der Personalführung vorgeworfen. Dem begeisterten Reiter wird zwar bescheinigt, bei Pferderemontierungen für das Bundesheer stets die beste Wahl getroffen zu haben, seine personalpolitischen Entscheidungen wurden jedoch oft kritisiert. Etliche Offiziere des Bundesheeres fühlen sich durch Rülings Entscheidungen zurückgesetzt, manche zogen aus Protest sogar die Uniform aus und vertauschten sie mit dem Zivil.

Wer sind nun die Männer, die das Erbe Fusseneggers und Rülings antreten könnten?

Für den Posten des Generaltruppeninspektors galt lange Zeit der Befehlshaber für Kärnten und Steiermark, der General der Infanterie, Albert Bach, als Favorit. Man schätzte seine Truppenverbundenheit (Bach vertauschte so manchesmal die Generalsuniform mit Alpinkleidung und begleitete die Truppe bei anstrengenden Märschen), und die bei den vorletzten großen Manövem bewiesene Durchschlagskraft der Kärntner und der steirischen Truppen wurden nicht zuletzt auf seine Führungsqualitäten zurückgeführt. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich aber im Augenblick auf den Leiter der Landesverteidigungsakademie, der höchsten Führungsschule des Bundesheeres, auf Generalmajor Emil Spannocchi. Spanocchi, aus einer berühmten Offiziersfamilie stammend, hat es verstanden, sich in der letzten Zeit als einzige Alternative aufzubauen; Spannocchi erhält die konträrsten Zensuren: Zum Teil wird er als die größte militärische Begabung der letzten Zeit gefeiert, zum Teil schlechter qualifiziert. Nun, Spannocchi dürfte jedenfalls zur Zeit die besten Chancen haben, die höchste militärische Rangstufe zu erklimmen.

Zwischen „schwarz“ und „rot"

Eine dritte Version lautet Brigadier Freissler, sie würde nur im Falle eines sozialistischen Wahlsieges in Frage kommen. Für diesen Fall gilt als so gut wie sicher, daß der Leiter der Gruppe Operation und sozialistische Vertrauensmann Freissler zum Zug kommt. Freissler genießt nicht nur das Vertrauen der SPÖ, er genießt auch bei ausgesprochen bürgerlichen Offizieren höchstes Ansehen. So erzählt man sich, daß der seinerzeitige Verteidigungsminister Graf, auf Freisslers militärische Qualitäten aufmerksam geworden, diesen aufgefordert habe, doch zur ÖVP überzuwechseln. Freissler fühlte sich zwar geehrt, lehnte aber dennoch ab und besuchte weiterhin regelmäßig die Zusammenkünfte der sozialistischen Vertrauenspersonen im Veę- teidigungsministerium.

Was die Personalsektion anlangt, herrscht über die Rüling-Nachfolge am Franz-Josefs-Kai zur Zeit noch Verlegenheit und Ratlosigkeit. Es ist nämlich niemand so richtig da, der dieses heikle Geschäft zur Zufriedenheit führen könnte. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die beiden bisher genannten Namen zu verstehen: die Brigadiere Habermann und Weinkopf.

Habermann, zur Zeit für die gesamte Heeres-Organisation verantwortlich, genoß seit jeher das Vertrauen der „schwarzen“ Verteidigungsminister. Weinkopf wiederum, bereits jetzt Stellvertreter Rülings, gilt zwar als Vollzugsorgan Praders, aber selbst in hohen ÖAAB-Kreisen ist Weinkopf nicht unumstritten. Das Rennen scheint zur Zeit noch völlig offen zu sein, eine gründliche Überraschung ist jedenfalls noch durchaus „drinnen". Wie nun immer die Entscheidungen ausfallen werden, feststeht, daß dies eine dringend notwendige Bluttransfusion sein wird. Über kurz oder lang wird man sich jedoch zu einer Radikalkur, quasi einer militärischen Herztransplantation, entschließen müssen.

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