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Bonn im Feuer

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Bonn segelt zur Zeit zwischen vielen Klippen. Niemand wagt vorherzusagen, wann es an irgendeiner Stelle das freie Meer erreicht.

Zwei entscheidende Gespräche haben kürzlich nichts als einen schalen Geschmack hinterlassen. In beiden Fällen hatte man sich zwar in Bonn nicht viele Hoffnungen gemacht. Aber man wäre doch froh gewesen, wenn man den berühmten Zipfel gesehen hätte, den man nach Bismarcks Worten packen soll, wenn Gottes Schicksalsmantel durch die Weltgeschichte rauscht.

Bei de Gaulles Besuch ist vielleicht noch ein Rest gemeinsamer Basis zu erkennen. Der General hat die Versicherung abgegeben, falls die Katastrophe eines Angriffs auf die Bundesrepublik eintreten sollte, dann stünde Frankreich an ihrer Seite. Das ist zwar zwingend im französischen Interesse, denn de Gaulle möchte nicht eines Tages die Rote Armee am Rhein vor sich haben. Dennoch hat man in Bonn diese Erklärung mit ausgesprochener Befriedigung entgegengenommen.

Auch das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten bietet im Grunde eine Plattform, auf die sowohl Bonn wie Paris treten können. Der General führt wohl einen ständigen Kreuzzug gegen die USA wie gegen England. Als er aber kürzlich gefragt wurde, wer Europa bei einem Angriff aus dem Osten schützen sollte, erwiderte er mit größter Selbstverständlichkeit: „Die USA.“ Als er weiter gefragt wurde, ob das nötig sei, da Frankreich doch die „Force de frappe“ besitze, antwortete er mit einer Bewegung, die erkennen ließ, wieviel der General selbst von dieser seiner Streitmacht hält.

Ein Spalt in der Tür

Bonn könnte sich demnach mit Paris über einen Kurs gegenüber den USA verständigen, der zwar eine sehr schmale Basis hätte, jedoch gemeinsam wäre. Auch wird angesichts, des Spektakulums, das der General in bezug auf die USA aufführt, meist übersehen, wie eng die wirtschaftliche und industrielle Zusammenarbeit Frankreichs mit den USA und mit England ist. Der britische Außenminister hat sich kürzlich beim französischen Geschäftsträger bitter darüber beklagt, daß Frankreich ein britisch-französisches Flugzeugprojekt plötzlich auf gab, um es mit den USA durchzuführen.

Gegenüber England hat sich freilich nur ein Spalt in der Tür geöffnet, der allenfalls einen dünnen Lichtstrahl durchläßt. Bonn nimmt Frankreich beim Wort, daß es bereit sei, über Abbau von Handelshemmnissen zwischen EWG und England zu verhandeln. Die Bundesregierung hat deshalb einen jährlichen Abbau der Zölle von zehn Prozent bis Ende 1971, insgesamt 30 Prozent, vorgeschlagen, zu denen noch 50 Prozent aus der Kennedy-Runde kommen würden. Dies war den Franzosen zwar zuviel, aber Bonn wird nicht lockerlassen. Es erwartet nun französische Vorschläge.

Die Quadratur des Kreises

Allerdings hat sich ein neues Fragezeichen auf getan. Es heißt: die britische Regierung. Offensichtlich faßt sie immer wieder Mut zu neuem Anlauf, um über die Hürden zur EWG zu springen, aber mitten im Anlauf hält sie plötzlich an. Sie weiß genau, daß de Gaulle aus rein politischen Gründen diesem generellen Zugeständnis nie zustimmen wird. Praktisch ist damit die Aufgabe einer Quadratur des Kreises ‘gegeben.

Die Engländer verhalten sich dabei in erstaunlicher Weise anders, als man es von ihnen gewöhnt ist. Sie sind ganz und gar nicht pragmatisch, sondern ausgesprochen dogmatisch.

Bonn gerät dadurch in eine schwierige Lage. Es will den Franzosen helfen, über ihren Schatten zu springen, und den Engländern, über die Hürden zu kommen. Aber beide wollen nicht. Beide erklären auch, so grotesk es klingt, übereinstimmend, erst müßten die sechs sich über ihr Verhältnis zu England geeinigt haben. Damit verbauen die Engländer im Grunde auch noch denen den Weg, die bereit wären, Verhandlungen mit England ohne Frankreich aufzunehmen. Bonn scheint aus dieser vertrackten Lage einen Ausweg zu suchen. Es sollte nicht wundernehmen, wenn er darin bestünde, daß Bonn zwar in jedem Fall Frankreich die Vorhand für eine Zusammenarbeit bietet, aber in den Fällen, wo Paris sich versagt, ohne Rücksicht auf Paris, zur Zusammenarbeit mit jedem anderen offen ist.

Hornberger Schießen

Auch die andere große Klippe vor der deutschen Politik hat sich nicht umschiffen lassen. Brandts Gespräch mit Gromyko ist wie das Hornberger Schießen ausgegangen. In Brandts Umgebung legt man Wert darauf, daß der „Dialog“ fortgesetzt werden soll, aber man kann auch nicht verhehlen, daß jegliche Hoffnung oder Illusion, wie man selbst sagt, fehl am Platze wäre. Moskau bleibt dabei, daß über Gewaltverzicht erst verhandelt werden kann, wenn Bonn die DDR, die Oder-Neiße- Linie, kurzum den Status quo, anerkennt, wenn es auf Atomwaffen verzichtet, das Münchener Abkommen als nichtbestehend-erklärt und so fort. Daß dies das Ergebnis sein würde( hatte -man. in »Bonn gewußt, bevor Brandt mit Gromyko zusammentraf.

Jedoch unabhängig von dieser Begegnung spinnt sich in der Bundesrepublik eine Diskussion an, die der Bundesregierung zunehmend Schwierigkeiten bereiten kann. Kie- singer wird vorgeworfen, er spreche mit de Gaulle nicht deutlich und entschieden genug, obgleich er selbsl meint, er sei der einzige, der mit de Gaulle „sprechen“ könne. Diese Kritik kommt nicht nur aus dei SPD, sondern auch aus der Union Sie fordert zum Teil, Frankreich ir seiner neutralen Ecke stehen zu lassen und England in die EWG her- einzuholen, obgleich de Gaulle danr mit dem Austritt droht. Aber niemand glaubt, daß er tatsächlich austreten wird, weil der Gemeinsame Markt für Frankreich zu viele Vorteile bringe.

Auf der anderen Seite wird mehl und mehr gefragt, wie lange die schier aussichtslose Politik gegenüber Moskau noch fortgesetzt werden kann und soll. De Gaulle hat nicht gezögert, den Deutschen vorzuhalten, ihre Ostpolitik habe zu dei CSSR-Krise mit beigetragen, wer sich Moskau nämlich durch die politische Aktivität Bonns gefährdet gesehen habe. Kiesinger hat daraufhir zwar bemerkt, de Gaulle gehe gegenüber den kommunistischen Staater viel weiter als Bonn, aber gleichwohl , sitzt dieser Stachel. nun in -Fleischt’SA ‘bfcrt - man denn jetzi immer wieder Stimmen, die eine: Flurbereinigung mit Moskau in den Sinne das Wort reden, daß man abschreiben solle, was man ohnehir nur noch juristisch halten könne.

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