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Bonn ist nicht Berchtesgaden

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„Es ist gelungen, viele Mißverständnisse aus dem Wege zu räumen.“

Diese Worte sprach der österreichische Außenminister am letzten Abend seines Besuches in Bonn. Das von der westdeutschen Bundesregierung über die ersten Nachkriegsbesprechungen zwischen Deutschland und Oesterreich ausgegebene Kommunique schließt mit den Worten: „Der Besuch bildete einen guten Ausgangspunkt für eine von freundschaftlichem Geiste getragene Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern.“

Die Beziehungen Oesterreichs zu Deutschland bilden heute das heikelste und schwierigste Problem unter allen auswärtigen Beziehungen unseres jungen Staates. Wie eindeutig und relativ einfach sind im Vergleich damit unsere Beziehungen zu Frankreich, England, Amerika, ja selbst zu Rußland! — Wer dagegen unser Verhältnis zu Deutschland simplifiziert oder verfälscht, der verharmlost oder überlastet es in einer für beide Partner in Europa nicht ungefährlichen Weise. Das gilt ebenso für unsere „Rechte“, die durch den Mund eines ihrer führenden Köpfe erklärte, Oesterreich habe sich in der Außenpolitik strikte in allem und jedem an die deutsche Linie zu halten, wie für unsere extreme Linke, die in denkwürdiger Ueberein-stimmung mit der Rechten, nur mit anderem Akzent, behauptet, Oesterreich habe den Anschluß an Deutschland, an die Aufrüstung und „Kriegspolitik“ des Westens bereits gefunden.

Eine ersprießliche Entwicklung der Beziehungen Bonn—Wien setzt ihre behutsame Pflege voraus. Oesterreich hat demonstrativ seinen Willen zu dieser Pflege bekundet, indem es seinen besten Diplomaten, über den es gegenwärtig im aktiven auswärtigen Dienst verfügt, zum Leiter unserer diplomatischen Vertretung in Bonn ernannt hat. Wer aus eigener Erfahrung weiß, wie schwierig der Bonner Boden ist, wie ungünstig für Oesterreich im allgemeinen und besonderen das Bonner Klima sich bis in allerletzte Zeit erwies, wird unserem neuen Vertreter für seine hohe und anspruchsvolle Mission nur Glück wünschen können.

Clara pacta, clara amicitia: auf gut deutsch heißt das in Oesterreich: gute Freundschaft beruht auf klaren, begrenzten Abmachungen. Solche konnten gegenwärtig in Bonn zwischen Deutschland und Oesterreich noch nicht getroffen werden, da einer der wichtigsten Verhandlungspunkte, die Frage des deutschen Eigentums in Oesterreich, nicht nur die beiden Partner, sondern die Weltmächte befaßt und in möglichen kommenden Europaverhandlungen einen Hauptpunkt der Kontroversen bilden dürfte. Immerhin: gerade dieser Punkt hat in österreichischen Kreisen eine nicht geringe Beunruhigung ausgelöst. Es sind nicht nur die 1,5 Milliarden DM, ein Betrag, der ungefähr einem halben Staatsbudget Oesterreichs entspricht, die von deutschen Blättern als erster Betrag der deutschen Forderungen genannt wurden, denen sich noch andere anschließen sollen. Es ist vielmehr die Erinnerung an die Tatsache, daß Deutschland vor 1938 als mächtigster Wirtschaftspartn e r einen innenpolitischen Einfluß auf Oesterreich geltend machen konnte, der lange vor der 1000-Mark-Sperre des Reiseverkehrs seine Wirkungen ausübte. Und nun ist Westdeutschland wieder als stärkste Wirtschaftsmacht an die Seite Oesterreichs getreten. Der österreichische Außenminister betonte in seiner erscen Erklärung über die Bonner Besprechungen denn auch ganz richtig: „Das Schwergewicht hat auf wirtschaftlichen Fragen gelegen.“ Da über das deutsche Eigentum noch keine Beschlüsse gefaßt werden können, standen die Errichtung einer deutschen Handelsvertretung in Wien, die Verstärkung des gegenseitigen Austausches von Wirtschaftsgütern, die Sicherung der Kohlencinfuhr aus Deutschland nach Oesterreich und die Ankurbelung des deutschen Fremdenverkehrs nach Oesterreich im Vordergrund. Das sind eminent wichtige wirtschaftliche Fragen, und das sind lebenswichtige, entscheidungsschwere politische Fragen. Politik und Wirtschaft stehen nicht nur in der Volksdemokratie, sondern auch in der westlichen Demokratie in engstem Zusammenhang. Wer die Macht über die Wirtschaft eines Landes besitzt, hat auch die Politik dieses Landes in seiner Gewalt. Das wissen nicht zuletzt jene zweihundert deutschen industriellen Unternehmungen, die zur Beeinflussung, zur durchaus erlaubten Beeinflussung der Abgeordneten des Bundestages in Bonn Vertreter unterhalten.

Oesterreich, als der weitaus schwächere wirtschaftliche Partner, steht also hier einer wiedererstandenen Weltmacht gegenüber. Wer die Bedeutung dieser Tatsache verschweigt oder nicht sehen will, treibt Vogel-Strauß-Politik oder Hochverrat. Es waren nicht die schlechtesten Oesterreicher, die in diesen Tagen uns und sich die Frage vorlegten: Ist das nicht ein neues Berchtesgaden?

Da wir die Ueberzeugung vertreten, daß Bonn nicht Berchtesgaden ist, da wir des Glaubens sind, daß eine positive Entwicklung der deutsch-österreichischen Beziehungen nicht nur das Gebot irgendeiner politischen Stunde, sondern eine europäische Aufgabe ist, allen Demokraten, Christen, Humanisten, Sozialisten ans Herz gelegt, wissen wir uns verpflichtet, unsere Betrachtung über diese Kernfrage unserer Existenz noch einen Schritt weiter vorzutreiben.

Es ist also so: Oesterreich tritt zu Deutschland wieder in wirtschaftliche Beziehungen, die von Stunde zu Stunde enger werden. Diese können sich nur dann im Rahmen eines Maßes halten, das mit dem innerpolitischen Eigenstand Oesterreichs vereinbar ist, wenn die innere Demokratisierung Deutschlands kontinuierliche Fortschritte macht und wenn beide, Deutschland und Oesterreich, immer stärker in Europa hineinwachsen. Von hier aus versteht sich die sehr große Bedeutung des Faktums, daß die erste offizielle Aussprache zwischen Deutschland und Oesterreich nicht, wie ursprünglich vorgesehen, im vergangenen Herbst, sondern eben jetzt stattfand. Nach den Wahlen in Oesterreich, nach dem Staatsbesuch Dr. Adenauers in Washington und London: Nicht zuletzt: nach dem Abschluß der Montanunion. Die Position des deutschen Kanzlers erscheint durch diese Tatsachen ungemein verstärkt gegenüber dem vergangenen Herbst: aber es ist eine europäische Position, eine deutsche Position in Europa, die er nun vertritt, für die er repräsentativ steht. Der deutsche Stahl und die deutsche Kohle gehören nicht mehr Hermann Göring, und die . deutsche Politik steht im Rahmen eines Allianzsystems, das den ganzen Westen umfaßt. Oesterreich verhandelt also von nun an immer, wenn es mit Deutschland verhandelt, mit ganz Westeuropa. Das ein Interesse daran besitzt, Oesterreich als Partner und Mitarbeiter zu haben. Als friedlichen Partner in friedsamen Aktionen. „Ich persönlich glaube“, sagte Minister Gruber, „daß sich Oesterreich nicht an der westlichen Verteidigung beteiligen wird.“

Eine heikle, ernste Sache ist es also, mit dem Verhältnis Deutschland —Oesterreich. Dem nur mit guten, klaren Worten gedient ist, in offener Aussprache, zu der sich unser Blatt seit seinem Entstehen bekannt hat. Es verhält sich dabei nicht so einfach, wie ein uns bereundet.es konservatives deutsches Blatt vor kui .m in einem vielbeachteten Aufsatz „Oesterreich im toten Winkel?“ feststellen zu können vermeint: „Zwei tiefe Gräben wurden zwischen den Oesterreichern und den Deutschen aus dem Reiche aufgerissen: der erste durch die tollpatschige Machtpolitik des Dritten Reiches in Oesterreich, und später der zweite nicht weniger tiefe durch eine verkrampfte, haßgeladene Revanchepolitik in Wien. Man kann über solche Gräben nicht mehr mit einer aufgewärmten nationalen Romantik hinweghüpfen.“ Das heißt denn doch Dimensionen verwechseln, denn zwischen den Realitäten, die in und an Oesterreich 1938 bis 1945 gesetzt wurden, und den unfreundlichen Redensarten in Wien 1945/46 bestehen denn doch nicht nur stimmungsmäßige, sondern qualitative und quantitative Unterschiede, die einen Vergleich nicht zulassen. Warum dieser Vermerk hier? Aus einem einfachen Grunde: immer noch klingt uns Oesterreichern in nicht wenigen Kreisen in Deutschland der Vorwurf entgegen: Nun, wie steht es jetzt mit euch? Bereut ihr es nicht schon längst, Deutschland verraten zu haben?

Das ist nicht die Sprache, die zu einer Begegnung führt. Um so bedauernswerter, wenn sie selbst in achtbare Publikationen achtbarer deutscher Verlage Aufnahme findet, wo immer noch die alten nationalsozialistischen Thesen vom Verrat Oesterreichs an Deutschland vertreten werden. — Warum dies hier? In Bonn wurde auch von einer stärkeren kulturellen Beziehung zwischen Deutschland und Oesterreich gesprochen. In Westdeutschland fanden in den letzten beiden Jahren Tagungen und Aussprachen mit Historikern und Geschichtslehrern aus Frankreich, Italien, dem Westen statt, mit dem Zweck, die nationalen Lehrbücher von den nationalistischen Ressentiments zu reinigen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn in diesem Sinne einmal und nicht allzu spät eine offene Atissprache deutscher 'und österreichischer Kulturschaffender über Grundfragen deutscher und österreichischer Mentalität, über die Ursachen der inneren Spannungen und Differenzen stattfinden würden. In einer ruhigen, abgeklärten, leidenschaftslosen Atmosphäre, fern von diesen und jenen Publikümern. Damit ist nämlich noch nichts getan für das wahre Heil und die echte Selbstfindung und Selbstbesinnung beider Partner, wenn unter dem tosenden Jubel an tausend Biertischen ins Reich „heimkehrende“ Oesterreicherr (einer entzückten Menge versichern, daß die „Meute in Wien“ bereits wieder klein beigeben mußte, und somit einer Verbrüderung nichts mehr im Wege stehe . .. Bei den Bonner Besprechungen fiel ein ernstes Wort: „Seite an Seite für ein neues Europa.“ Dieses Wort kann nur einen guten Sinn haben, wenn es von beiden Seiten mit demselben Akzent ausgesprochen wird: in der Sprache Europas; in jener Sprache, dieFranzGrillparzersprach, a 1 s er, bescheiden und ganz seines Wertes b ew u ß.t, In Weima runden Geheimrat Goethe herantrat. Hoffen wir, daß in diesem Sinne die Aussprache zwischen Deutschland und Oester r-;ch begonnen hat. Die beiden Partner werden sich viel zu sagen, und viel zu geben haben, wenn sie sich an einem Tische finden, unter einem größeren Dache: Europa. h.

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