6671992-1961_03_06.jpg
Digital In Arbeit

Bonn und der Friedensvertrag

Werbung
Werbung
Werbung

Seit dem Spätherbst mehren sich die Anzeichen, daß im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion (oder dieser zu jener) eine leichte Änderung eingetreten ist. Noch ist es kein Klimawechsel, aber es sind Anzeichen einer Wetterbesserung. Es ist nicht schwer, ihre Ursachen zu ergründen. Auf deutscher Seite ist es zweifellos der Regierungs- und Generationenwechsel in den USA, der den hellhörigen und beinahe mit einem sechsten Sinn begabten Adenauer zur Vorsicht veranlaßt und es ihm geraten erscheinen läßt, ein zweites Eisen, mag es auch nur ein kleines sein, ins Feuer zu schieben. Vielleicht kommt dazu, daß er die Lage der UdSSR und vor allem die persönliche Stellung Chruschtschows ins Kalkül zieht. Beide lassen darauf schließen, daß Moskau an einer weicheren Politik interessiert sein könnte, als es jene war, die der Kreml seit dem Berlin-Ultimatum vom Herbst 1958 betrieb. Auf russischer Seite dürften ebenfalls zwei Momente für die Annäherung bestimmend sein. Einmal kann Chruschtschow nicht wissen, wie weit sich seine Hoffnungen auf einen Kurswechsel im Weißen Haus erfüllen, so daß er daran interessiert sein mag, die Auflockerung des westlichen Bündnissystems auch von der europäischen Seite her zu betreiben. Zweitens dürfte er die bedeutsamen Anzeichen einer Stärkung der deutschen Position nicht übersehen haben, die sich aus der Wirtschaftsmacht der Bundesrepublik und aus dem Ausbau der Bundeswehr ergibt. Zweifellos überschätzt Moskau die deutsche Macht. Man ist in der Bundesrepublik davon überzeugt, daß der Kreml Bonn für viel stärker hält, als es — tatsächlich und potentiell — ist. Aber man hält die Furcht der Russen vor Deutschland nicht mehr für reine Komödie, sondern nimmt sie als eine — wenn auch skurrile — Tatsache zur Kenntnis.

Kennedys Schatten über Bonn

Gepaart«mit dem Respekt des Kremls vor der Pölaris-Rakete und der amgrjkanisp n U-Boot-Waffe,, die es den USA ermöglicht, auch ohne Landstützpunkte den Ring um die kom- munistisch-eurasischen Mächte zu erhalten, kann die Sorge um das militärische Gleichgewicht in Mitteleuropa die Sowjets vielleicht zu Zugeständnissen bewegen — wenn Bonn etwas dafür bietet. Das Gerücht, die Bundeswehr solle auf 800.000 Mann erhöht und mit Atomwaffen ausgerüstet werden, während die USA sich langsam aus Europa zurückziehen würden, scheint in Moskau zu der Erwägung geführt zu haben, den Rapacki- Plan in irgendeiner Form auszugraben und diesmal nicht über Deutschland hinweg mit dem Westen, sondern zuerst mit Bonn selbst zu sprechen. Noch ist es nicht so weit. Aber die verklausuliert ausgesprochene Einladung Adenauers an Chruschtschow, seinen längst fälligen Besuch in Bonn nachzuholen, der Austausch von Höflichkeiten zum Jahreswechsel und die rasche Einigung über die Mantelnote zum Handelsvertrag, die in einem einstündigen Gespräch zwischen Smir- now und dem Kanzler erzielt wurde, dürfen als Symptome der erwähnten Wetterbesserung verstanden werden.

Chruschtschow hat in seinem Gespräch mit dem deutschen Botschafter bei dem Neujahrsempfang im Kreml angedeutet, daß er bessere Beziehungen wünsche, um im Jahre 1961 endlich zu einem Friedensvertrag mit Deutschland zu kommen. Er hält also an dem seit Jahren angesprochenen Ziel zähe fest. Daß er so großen Wert auf den Friedensvertrag legt, mag sonderbar erscheinen, da doch die Bundesrepublik mit ihren westlichen Verbündeten auch keinen Friedensvertrag hat und dies die Integration Europas und der NATO in keiner Weise behindert. Für Chruschtschow spielen hier aber andere Erwägungen mit, die zum großen Teil innerpolitischer, vielleicht sogar innerparteilicher Natur sind. In Bonn hat man es bisher rundweg abgelehnt, über den Friedensvertrag zu reden, solange nicht die „Wiedervereinigung“ vollzogen sei. Nur mit einer „gesamtdeutschen Regierung“ könne ein Friedensvertrag geschlossen werden. Demgegenüber traten die strittigen Grenz- und Gebietsfragen zurück. Anerkennt die Bundesrepublik die sogenannte DDR als souveränen Staat, dann würden die Grenzfragen überhaupt an Bedeutung verlieren, weil es ja keine direkte Grenze zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik oder zwischen dieser und Polen gibt. Man glaubte in Bonn, zwei Trümpfe in der Hand zu haben, wenn man so operierte: Lag den Sowjets so viel an dem Friedensvertrag, dann müßten sie die deutsche Bedingung erfüllen und der Wiedervereinigung zustimmen, stimmten sie der Wiedervereinigung zu, dann mußten sie auch über die Grenzfrage mit Bonn sprechen und dieses konnte seine Zugeständnisse gegen sowjetische (oder polnische) verkaufen. Solange Bonn an dieser These festhält, ist eine Einigung unmöglich. Es kann aber an ihr nur festhalten, solange die Verbündeten, insbesondere die USA, die deutsche These zu der ihren machten.

Es ist nun doch sehr fraglich geworden, ob Washington die deutsche Doktrin noch auf unbegrenzt lange Zeit hin zur Grundlage seiner Politik machen wird und machen kann. Die „normenbildende Kraft der vollzogenen Tatsachen" wirkt sich immer stärker aus. Amerika hat in Ostasien, im Nahen Osten und nun auch im karibischen Raum so viele Interessen zu verteidigen, daß es früher oder später gezwungen sein wird, an änderet Stelle Feld zu geben. Es wird die Freiheit West-Berlins nicht wissentlich preisgeben, es wird aber, wie die Formulierungen Kennedys erkennen lassen, nicht für die Bonner Formel von der „Reichshauptstadt Berlin" einen bewaffneten Konflikt riskieren. Es wird die DDR nicht ohne vorherige Verhandlungen mit Bonn anerkennen, es wird Bonn aber vielleicht schon sehr bald fragen, ob denn die „Hallstein- Doktrin" nur für andere Länder und nicht für die Bundesrepublik selbst gelte, die seit Wochen mit Pankow diplomatische Verhandlungen über den „Interzonen-Handelsvertrag“ führt und deren Vertreter sich in Genf 1959 am Ende doch an den gleichen Tisch mit den Pankower Delegierten gesetzt haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung