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Brasiliens 100 Stunden

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„Großartiger als der Aufschwung des freien Europas selbst ist das Hochkommen des kommunistischen Ostens, vor allem der Sowjetunion, die gar bald die amerikanische Wirtschaftsmacht überschatten und mit sichtbar umfangreicheren Hilfsmitteln den unterentwickelten Zonen unter die Arme greifen kann, als es den Nordamerikanern und Westeuropäern überhaupt möglich ist, wie es jetzt auch das Beispiel Rotchinas an den Tag legt.“

Es sind jetzt fünf Jahre her, da gelangte ein Geheimdokument an das Tageslicht, das 1958 dem Vertreter des Itamarati (Auswärtiges Amt in Rio de Janeiro) als Unterlage für die Konferenz der amerikanischen Außenminister mitgegeben wurde. Das gleiche Dokument diente zwei Monate später dem Brasil-Delegierten bei den Verhandlungen der „Operacao Americana“ in Washington. Damals schrieb der „Correio“ von einer roten Katze, die Brasiliens Wortführer im Sack hatte. Die Drohung, sich unter Umständen dem sowjetischen Wirtschaftsblock anzuschließen, nahmen die Amerikaner von ihren Freunden lächelnd zur Kenntnis. Genauso lächelte auch der damalige Präsident Juscelino Kubitschek. Heute, nach der Revolution, erfuhren die Brasilianer von den Hintergründen dieses Geheimdokuments.

Nach den Akten der Staatspolizei hatte die brasilianische Regierung die Kommunisierung Brasiliens schon vor der Machtergreifung Fidel Castros vorbereitet. Am 7. April 1958 empfing der damalige Vizepräsident Joao Coulart in seiner Wohnung den Chef der (verbotenen) Kommunistischen Partei (KP). Sie einigten sich auf eine Reihe von Leitsätzen zwecks Umwandlung der Republik in eine „Volksdemokratie“. Angesichts der damals bevorstehenden Bundeswahlen war das Hauptthema das Bündnis der „nationalen“ von den kommunistischen Gewerkschaften gesteuerten Bewegung mit dem Heer. Für dieses Bündnis sollte in den Garnisonen der zwanzig Staaten Stimmung gemacht werden.

Das Programm deckt sich genau mit den Plänen des Präsidenten Goulart: Freundschaft mit dem Sowjetblock, Streikrecht, Agrarreform, Nationalisierung der Banken, Verbot der internationalen Trusts, Wahlrecht für die Analphabeten, Generalkommando der Arbeiterschaft unter kommunistischer Kontrolle und, selbstverständlich, sofortige Aufhebung des Verbots der KP.

Mit genau diesen Richtlinien überraschte bereits vor drei Jahren der neugewählte Bundespräsident, Janio Quadros, der nach einigen Monaten über Nacht Brasilia entfloh und den Präsideritenstuhl dem gerade in Peking gefeierten Vizepräsidenten Goulart überließ. Ob der Wechsel ein abgekartetes Spiel der beiden war? Jedenfalls hat der Geschichtsprofessor Janio Quadros, der mit den Stimmen der „Demokratischen Union“ und der „Christlich-Demokratischen Partei“ ans Ruder kam, insofern selbst Geschichte gemacht, als er Brasiliens Sowjetisierung einleitete. Der sich vor dem Volke wie ein Proletarier, immer unrasiert, in Hemd und Hose, zeigte, war für Fortschritt.

Juni 1961. Das Düsenflugzeug „Iljuschin 18“ brachte aus Moskau eine strahlende Wintersonne. Im schneeweißen „Slack“, frisch rasiert, empfing Quadros vor dem Palast der Morgenröte Herrn Georgadze. Gegen alles Protokoll spielte die Kapelle auch die Sowjethymne. Der Präsident nahm mit feuchten Augen den Dank entgegen für die „stete Hilfsbereitschaft Brasiliens im Kampf der Sowjetunion für die Freiheit der Völker“.

Der skandalöse Präzedenzfall alarmierte die Generalität, er rief aber auch den Weltkommunismus für seinen „Freiheitskrieg“ zu den letzten Anstrengungen auf. Über Kuba kamen die Waffen für Juliaos Freischärler in das Hungergebiet des Nordostens. In allen zwanzig Republiken Lateinamerikas erhob sich eine Welle der Aggressivität. Kuba war das Vorbild. Die heißen Punkte des kalten Krieges verwandelten sich vor allem in Venezuela, Peru, Panama und Bolivien in Vulkane. Fidel Castros bärtiges Gesicht erhob sich über den Anden, in Rundfunk und Fernsehen spie er seinen Haß gegen die Imperialisten.

September 1961. Joao Goulart besetzt den verlassenen Präsidentenstuhl. Die Revolution begann.

In der Schule des Diktators Getulio Vargas groß geworden, geistig (und leiblich!) dessen Sohn, zeigte „Jango“, wie ihn das Volk nennt, nur ein Interesse, den Parlamentarismus schachmatt zu setzen. Da sich aber das Militär traditionell als Hüter der Verfassung betrachtet, kam es bald zu Spannungen, besonders nach dem für ihn erfolgreichen Plebiszit zugunsten des Prä-sidenzialismus. Nicht umsonst sträubte sich die Generalität gegen eine Rückkehr Goularts von seiner Pekingreise.

Wer regierte Brasilien, „Jango“ oder das „Generalkommando der (kommunistischen) Arbeiterschaft“? Das war keine Frage. Der Sowjet-kpmmunismus wiegte sich nach dem 13. März in der Hoffnung, endlich wieder einmal nach einer Serie von massiven Rückschlägen und Mißerfolgen eine gute Ernte in seine Scheunen einbringen zu können. Der Gauleiter Chruschtschows in Brasilien, Carlos Prestes, bekannte einen Monat zuvor, die Lorbeeren schon auf dem Kopf, dem „Neuen Deutschland“ in Ost-Berlin: „Wir sind an der Macht“. Fidel Castro sandte Flugzeuge voll „Spezialisten“ und Handwaffen.

Goulart nahm dank seiner, nach bekannten Vorbildern durchgeführten „Reform“ der Kommandostellen an, die neuen Generäle als williges Werkzeug benützen zu können. Der Präsident des Direktoriums der „Freiheitsbewegung“ konnte nach dem 13. März Carlos Prestes ein Glückwunschtelegramm schicken für die „komplette Zerschlagung der militärischen Hierarchie, den entscheidenden Schritt für die Herrschaft der KP“. Sie wäre ohne Zweifel entscheidend gewesen.

An Karfredtag spielte sich im Hafen von Rio ungestraft die bekannte Meuterei der 2000 Füsiliere der Marine ab. Grund: Sie hatten Goularts Rede am 13. März nicht mithören dürfen.

Sao Paulo mit seinen fünf Millionen Einwohnern, das größte Industriezentrum Lateinamerikas, beantwortete Goularts Kriegserklärung mit einer Kundgebung von 500.000. Der von Gouverneur Adhemar de Barros mobilisierte „Marsch der Familie mit Gott für die Freiheit“ rüttelte Brasilien aus seiner Schläfrigkeit. Dieses ungewöhnliche Bekenntnis zur christlichen Demokratie weckte bis in die fernsten Zonen des Riesenreiches Widerhall. Das Volk schrie nach Reformen, sie aber gegen seine Religion einzuhandeln, war es nicht bereit.

Der Stein kam ins Rollen durch die radikale Rede, die Goulart in der Ostermontagnacht im Autoklub von Rio vor tausend Sergeanten hielt. Hier ließ er seine Maske fallen. Er beschuldigte die politischen Gegner, vom Ausland bestochen zu sein, das Volk werde mit ihnen abrechnen. Mit dieser Herausforderung zwang er die demokratische Opposition zur Aktion. Zivilcourage ist bei den „Unterentwickelten“ keine Mangelware. Der Generalstabschef, General Humberto Castello Bronco, seit 11. April Präsident der Vereinigten Staaten von Brasilien, erteilte den Marschbefehl in derselben Nacht.

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