6573950-1950_34_01.jpg
Digital In Arbeit

Brennpunkt Formosa

Werbung
Werbung
Werbung

Es bedurfte kaum der jetzt bedrohlich, intensivierten Vorbereitungen Rotchinas für einen Schlag gegen Formosa, das alt-chinesische Taiwan, um die gewaltigen Vorteile zu unterstreichen, die dem Regime Mao-Tse-tungs aus der Besitznahme dieser Insel erwachsen würden.

Zunächst hätte der Fall des letzten nationalistischen Stützpunktes politische und psychologische Auswirkungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Er würde die Widerstandsbewegung, die sich heute noch in großen Teilen des chinesischen Festlandes der kommunistischen Herrschaft entgegenstellt, zweifellos schwächen und da und dort vielleicht ganz zum Erlöschen bringen und ferner, unter dem Gesichtspunkt internationaler Beziehungen gesehen, anderen Mächten die fortdauernde Anerkennung einer dann nur mehr im Exil bestehenden nationalchinesischen Regierung wesentlich erschweren. Von nicht geringerer Bedeutung wäre der wirtschaftliche Nutzen, der sich für die heutigen Herren Chinas aus dem Gelingen einer solchen Operation ergeben würde. Zwar ist, im Vergleich zu den rund vier Millionen Quadratkilometern des chines'schen Kerngebietes, die Insel Formosa mit ihren 35.000 Quadratkilometern verschwindend klein; durch ihre außerordentliche Fruchtbarkeit übertrifft sie aber an Menge wie an Vielfältigkeit ihrer Produkte jeden vergleichbaren Landstrich des eigentlichen China, und zumindest für die halbverhungerten Heerscharen Mao-Tse-tungs, die sich jetzt am Gestade der Straße von Fukien massieren, wären Formosas Zucker, Reis, Tee, Weizen, abgesehen von der Kohle und dem Gold aus den Bergwerken der Insel, eine Beute, wie sie sich gegenwärtig kaum eine verlockendere vorstellen könnten. Dazu käme natürlich die strategische Wichtigkeit einer Position, die im Falle einer weiteren Ausdehnung des koreanisdien Brandherdes als Sprungbrett für einen Angriff, sei es auf Japan oder die Philippinen, sei es auf die Seewege der Anglo - Amerikaner im Fernen Osten dienen könnte.

Muß somit die Eroberung Formosas dem gesamten kommunistischen China als ein Ziel erscheinen, welches den Einsatz aller verfügbaren Kräfte wert ist, so spricht nichts für die Annahme, daß die Bevölkerung der Insel und die Streitkräfte Tschiang-Kai-scheks, die dort ihre Zuflucht fanden, ebenso entschlossen sein könnten, einen Angreifer bis zum äußersten abzuwehren.

Dem Chinesen fehlt es keineswegs an der für einen guten Soldaten unentbehrlichen Ausdauer und Zähigkeit; aber daß die Uberreste einer Armee, die jahrelang die härtesten Strapazen und Entbehrungen erduldet und dabei Niederlage über Niederlage erlitten hat, einem sieggewohnten Gegner in ihrer Kampfmoral nicht mehr ebenbürtig sind, liegt auf der Hand. Dazu kommt, daß diese letzten 500.000 Mann unter dem nationalistischen Banner nicht mehr auf heimatlichem Boden stehen, sondern tatsächlich auf fremder Erde und inmitten einer Einwohnerschaft, die sie mit einer Atmosphäre völliger Gleichgültigkeit, wenn nicht unverhohlener Ablehnung umgibt. Unabhängigkeitsdrang und Fremdenhaß sind bei den Formosanern eine alte, sorgsam gehütete Tradition; sie liegen ihnen sozusagen im Blute. Das bekamen schon anfangs des 17. Jahrhunderts die Holländer und Spanier zu spüren, die als erste versucht hatten, Teile der Insel zu kolonisieren; nach ihnen die Chinesen, die Taiwan durch zweihundert Jahre, von 1683 bis 1895, namens der „Reiches der Mitte“ besetzt hielten; dann, fünfzig Jahre lang,j die Japaner; und jetzt eben die Gefolgsleute Tschiang-Kai-scheks, die übrigens ihre unmittelbaren Vorgänger an Rücksichtslosigkeit in der Behandlung der einheimischen Bevölkerung weit übertreffen, und dementsprechend auch noch verhaßter sind. Die Japaner waren klug genug, ihre Herrschaft möglichst wenig in Erscheinung treten zu lassen und den Formosanern, die nebstbei auch vom Militärdienst befreit waren, keine größeren Lasten aufzubürden als unbedingt nötig. Auch gaben sie es nach anfänglichen Versuchen bald auf, den unversöhnlichsten Teil der Urbevölkerung, die im Innern des Landes hausenden Kopfjäger, mit Waffengewalt, zu zivilisieren; sie beschränkten sich darauf, diesen wilden Stamm, den man als den eigentlichen „Traditionsträger“ der formosaner Irre-denta bezeichnen könnte, in die unwirtlichen Gebirgsgegenden zurückzudrängen und dort, durch weitausgedehnte Drahtverhaue zerniert, seinem Eigenleben zu überlassen. All das trug dazu bei, daß Formosa selbst in der Endphase des letzten Krieges einen merklich höheren Lebensstandard aufweisen konnte als Japan selbst.

Seitdem der nationalistische Generalissimus sein Hauptquartier nach Formosa verlegte, hat sich eine fortschreitende Verschlechterung der Lebensbedingungen fühlbar gemacht. Dieser Umstand und manche drückende Maßnahme ihrer unerbetenen Gäste — wie zum Beispiel die zwangsweise Rekrutierung der einheimischen Jugend für die nationalchinesische Armee — geben den Formosanern zusätzliche Gründe genug, um das Ende der nationalistischen Besetzung, je eher desto lieber, herbeizusehnen. Formosa muß frei werden oder wenigstens eine weitgehende Autonomie gewinnen, darüber sind sich alle Einheimischen im klaren, die etwa zwei Millionen Ureinwohner vorwiegend malaiischen Stammes — ihnen voran natürlich jene Schar von vielleicht 100.000 Kopfjägern — ebenso wie die rund vier Millionen alteingesessener Chinesen oder chinesischer Mischlinge. Das muß nicht bedeuten, daß der Mehrzahl ein kommunistisches Regime als Nachfolger des gegenwärtigen besonders wünschenswert erschiene; wohl aber bedeutet es, daß sich wenige für die Fortdauer des jetzigen, als unerträglich empfundenen Zustandes aufopfern werden, nur um ein vielleicht noch größeres künftiges Übel, welches sie nicht aus persönlicher Erfahrung kennen, abzuwenden. Daß eine solche Stimmung die Aufgaben der nationalistischen Militärs nicht erleichtert und im Falle eines rotchinesischen Landungsversuches sogar zu einer unmittelbaren Gefahr für die Verteidiger werden könnte, bedarf kaum eines Nachweises.

Bevor eine solche Landung gelingen kann, hätte allerdings auch der Angreifer sehr bedeutende Schwierigkeiten zu überwinden. Die Straße von Fukien ist zwar im Durchschnitt nur 100 Seemeilen breit, aber immerhin breit genug,, um einer wohl größtenteils aus langsamen Dschunken und Sampans bestehenden Invasionsflotte die überquerung im Schutze der Dunkelheit einer Nacht zumindest in der günstigen Jahreszeit unmöglich zu machen. Andererseits erlaubt es die reiche Gliederung der chinesischen Festlandsküste um und nördlich von Amoy, diese Flotte über eine sehr große Zahl von tief eingeschnittenen Buchten und Ankerplätzen zu verteilen, so daß Konzentrierungen vermieden werden können, die der nationalistischen Luftwaffe leicht auffindbare und lohnende Ziele bieten würden. Im übrigen war diese Luftwaffe kurz nach Beginn des Krieges in Korea über Aufforderung des Präsidenten Truman veranlaßt worden, ihre Offensivoperationen einzustellen, und erst vor einigen Tagen trat sie zum ersten Male wieder in Aktion, um, wie es hieß, einem kommunistischen Schlag gegen die der Küste bei Amoy vorgelagerten und noch in der iiand der Nationalisten befindlichen Quesnoy-Inseln zuvorzukommen. So könnte denn das Unternehmen einer Landung in Formosa gleichzeitig von vielen, weit verstreuten Punkten aus und über eine sehr breite Front vorgetragen werden, wobei dem Angreifer der wichtige Umstand zugute käme, daß das erste Ziel, die Westküste der Insel, keinerlei natürliche Hindernisse für das Herankommen aufweist. In ihrer gesamten Ausdehnung von über 400 Kilometer ist diese Küste flach und sandig und daher geradezu ideal für den Zweck, für den die Rotchinesen so viele seichtgehende Fahrzeuge bereitgestellt haben. Mit genügenden Kräften und ohne Rücksicht auf Verluste durchgeführt, hätte ein entschlossener Invasionsversuch somit die größte Wahrscheinlichkeit des Erfolges für sich, unter der Voraussetzung allerdings, daß es der Invasionsflotte gelänge, einem Zusammentreffen mit den amerikanischen Seestreitkräften, die den Schutz Formosas übernommen haben, zu entgehen. Auf eine Seeschlacht könnte sie es nicht ankommen lassen; auf sich allein gestellt, ist die rotchinesische Kriegsmarine fast so bedeutungslos wie die der Nationalisten.

Es ist übrigens gewiß nicht so, als ob der Einsatz amerikanischer Kriegsschiffe für den Schutz der Insel lediglich der Stützung der nationalchinesischen Regierung oder auch nur den eigenen Interessen der Vereinigten Staaten dienen würde. Formosa gelangte durch den Friedensschluß von Shimonoseki in den

Besitz des japanischen Kaiserreichs, durch einen Vertrag also, der durch fast ein halbes Jahrhundert von keiner einzigen Großmacht in Frage gestellt oder angefochten worden ist. Daher ist diese Insel auch heute noch, und solange Japan nicht in einem formellen Friedensvertrag mit den Mächten der Großen Allianz auf ihren Besitz verzichtet hat, als zu Japan gehörig zu betrachten, und Amerika erfüllt nur seine Verpflichtung als Mandatar der Siegerstaaten, wenn es dafür Sorge trägt, daß in Formosa nicht gewaltsam ein fait accompli geschaffen wird, welches den Beschlüssen einer künftigen Friedenskonferenz vorgreifen würde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung