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Brief an einen nationalen Freund

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Lieber Freund!

Du erinnerst Dich: im späten März 1946 kamst Du zu mir. Ich war soeben aus englischer Gefangenschaft heimgekehrt. Unser erstes Gespräch begann da mit Erinnerungen an den frühen März 1938. Knapp eine Woche vor dem Ende Österreichs hatten wir uns ein letztes Mal geschlagen. In der Universität, vor der Universität, in Wien. Es gelang da der nicht allzu großen Schar von Studenten, die in jenen Tagen offenen Visiers noch zu Österreich standen, die ansehnliche Schar ihrer Gegner, der nationalen und nationalsozialistischen Studenten, die da unter Führung der Burschenschaftler in die Schlacht zog, aus der Universität hinauszudrängen, hinab über die Stufen, hinüber über die Ringstraße, hinter das Liebenberg-Denkmal zurück...

Ein lächerlicher Sieg. Während sich einige hundert Studenten ein letztes Mal da in „offener Feldschlacht“ für Österreich schlugen, waren hinter den Kulissen längst die Entscheidungen gefallen. Hohe und höchste Beamte, auch Angehörige konservativ-österreichischer Verbände, hatten längst den Verrat vollzogen. Rund um das Bundeskanzleramt, etwa im Staatsarchiv, war kaum ein männlicher Beamter zu finden, der nicht „illegal“ gewesen war. Vierzehn Tage zuvor hatte Wiener Polizei mich und andere Studenten an der Außenwand des Stephansdomes niedergeknüppelt und die Straße frei gemacht für die demonstrierenden Nationalsozialisten.

Ein lächerlicher Sieg. Nicht ganz acht Tage darauf, am späten Abend des 11. März 1938, fielen für mich und manche Freunde Türen ins Schloß: erste Haft.

Von diesem März sprachen wir also, bei unserer ersten Begegnung im späten März 1946; von diesem März und von unseren gemeinsamen Studienjahren zuvor, in den Jahren 1934 bis 1938. Gemeinsame Studienjahre? Wir hatten sie als Gegner, ja als erklärte, offene Feinde verbracht. Vom ersten Tag an, der uns miteinander bekannt machte, wußten wir dies voneinander. Du würdest nie ruhen und nie rasten, bevor dieser „Staat wider willen“, dieser „Dreckstaat“, wie Du mir offen erklärtest, verschwunden sei. Ich “würde riie ruhen und'räsfeu um gegen seine vielen Feinde zu kämpfen.' Wobei ich mir damals, in den Jahren 1934 bis 1938 früh klar darüber wurde, daß seine gefährlichsten Feinde nicht Deine Farbkameraden, die nationalsozialistischen Studenten von damals, waren, sondern einige feine und teilweise sehr vornehme Männer und Mächte, die im Hause Österreich nicht selten in führenden Positionen standen: bei allen vaterländischen Kundgebungen saßen sie in der ersten Reihe, knieten bei der Feldmesse, gingen bei der Fronleichnamsprozession mit und trugen doch den Verrat im Herzen.

Das frühe Wissen damals, ab 1934, wie schwach, wie gefährdet Österreich in seinem innersten Raum war, durch eine Reihe seiner öffentlichen Herumsteher, die teils mit ungeeigneten Methoden, teils durch Verrat die Substanz des Staates zerstörten, trieb mich damals hinaus: nach Riga, nach Königsberg und Berlin — man mußte damals einige Umwege machen, um als Nicht-Illegaler ins Dritte Reich zu kommen, um die Herrschaft des Nationalsozialismus im Großraum seines Sieges zu studieren.

Warum kamst Du zu mir, im späten März des Jahres 1946, um mit mir vom frühen März 1938 und den Jahren zuvor zu sprechen? Warum denke ich heute so intensiv an die ersten Gespräche im ersten Frühling Österreichs nach seiner Befreiung — wobei bereits damals, 1946, mich dies tief traf: wie oft da diese „Befreiung“ unter Gänsefüßchen, unter viele Fragezeichen bereits gestellt wurde: eine Vorstufe des Kampfes um den guten oder schlechten Sinn der österreichischen Neutralität, ab 195 5.

An einen der Gründe, die Dich 1946 zu mir führten, habe ich sehr bewußt gedacht, als ich bei der Kundgebung im Wiener Messepalast in diesem Januar 1960, bei dieser Kundgebung der „Aktion gegen Antisemitismus und Hakenkreuz“ stark betont erklärte: „Nie wieder Wollersdorf! Die Methoden des christlichen Ständestaates sind ganz und gar ungeeignet gewesen, um den Kampf gegen den Nationalsozialismus zu führen.'“ Als ein Mann, der damals, als Student, voll und ganz für diesen Staat von 1934 bis 193 8 eintrat, stand mir wohl dieses Bekenntnis zu. Dein Wissen darum, daß ich auch damals nicht mit den Methoden des Staates und seiner Polizei einverstanden war, nicht zuletzt, weil sie jede echte, geistige Auseinandersetzung verhinderten, hat nicht zuletzt Dich 1946 zu mir geführt.

Wir waren uns da, im Klima dieses Frühlings, schnell über vieles einig. Grundlage unserer Begegnungen wurde die gemeinsame Überzeugung: nie wieder die blutigen Spiele der Vergangenheit! Nie wieder innenpolitischer Terror, nie wieder Denunziation, Anhaltelager, KZ- und Polizeiregime; nie wieder ein Bürgerkrieg. Nie wieder Krieg. Halt; da muß ich mich korrigieren: dieser letzte Punkt war der einzige, der offen blieb. Du meintest, es bliebe doch noch der gefährliche Erzfeind aller inneren und äußeren Freiheit, der Bolschewismus, der nur mit Waffen niederzuringen sei. Ich war der Überzeugung, daß — wir standen nicht allzulange nach Hiroshima — der Krieg überhaupt kein taugliches Mittel mehr sei, um die großen, bevorstehenden Auseinandersetzungen um die Neugestaltung der Welt durchzuführen. Und ich meinte weiter, die großen Probleme, nicht zuletzt um die Neugestaltung des deutschen Raumes und der deutschen Gesellschaft, seien so groß, daß man Geduld für Generationen haben müsse...

Von diesem einzigen trennenden Punkt abgesehen, waren wir aber damals einig. Wobei ich nicht anstand, zu erklären, daß ich die Methodik, das Wesen und Unwesen der Entnazifizierung und aller Sonderbestimmungen gegen „ehemalige Nationalsozialisten“ für töricht und gefährlich halte. Es blieb damals meinerseits nicht bei diesen Worten. Wie Du weißt, habe ich damals und in den folgenden Jahren einiges getan, um Dich und manch andere, mir mehr oder weniger bekannte Nationalsozialisten mit zu „entnazifizieren“. Für mich persönlich zog ich damals die Konsequenz: ich weigerte mich, in den Staatsdienst zu treten. Es erschien mir in jeder Weise unschicklich, diesen oder jenen Posten, der eben „gesäubert“ worden war, einzunehmen. Viele Vorwürfe habe ich damals für diese meine Haltung erhalten. Ich bereue sie aber bis heute nicht.

Auf dieser Basis wurden wir einig und konvertierten die alte Feindschaft, dann Gegnerschaft in eine junge Freundschaft. Und waren beide froh und dankbar.

Vierzehn Jahre sind seither vergangen. Wir sind in den letzten Jahren wenig mehr zusammengekommen. Das hat sehr natürliche Gründe. Wir gründeten Familien und hatten Hand und Kopf und Herz und Hirn voll mit dem Aufbau unserer wirtschaftlichen Existenz. Beruflich gingen wir zudem andere Wege: Du gingest in die Wirtschaft, ich in die Wissenschaft und Publizistik. Getrennte berufliche Wege . ..

Zumal im letzten Jahr habe ich Dich selten genug gesehen. Da aber sehe ich Dich plötzlich vor mir; unvergeßlich. Zufällig, als ein Passant, war ich im späten Herbst in die Nähe des Ringes gekommen: unserer Ringstraße . . . Fackeln, 1959. Da marschieren sie wieder . . . Ohne Neugierde trete ich näher. Und sehe Dich in den Reihen der Marschierer; seltsam entrückten Gesichts. Marsch zur Schiller-Feier... Ich bin weitergeeilt. Fröstelnd in dieser Herbstnacht.

Was nun? Soll es wieder beginnen, das blutige Spiel von gestern und vorgestern? — Ein schallendes Gelächter schlägt mir entgegen: von Männern, die mir weltanschaulich durchaus nahestehen. Sie sagen mir: „Was fällt Dir ein! Was ist das für eine Gespensterseherei! Diesmal haben wir sie! Siehst Du nicht, daß sie diesmal mit uns sind? Mit uns gehen? Mit ihnen werden wir eine solide Mehrheit bilden, einen festen, sicheren Block gegen alle rote Gefahr ..

Gewiß: auch ich sehe etwas. Sehe aber dies: unter dem Motto „Versöhnung“ hat eine handfeste Durchsetzung unseres Staates und vor allem auch seiner Wirtschaftskörper mit Männern und Persönlichkeiten von gestern, heute „Nationale“ und „Liberale“ genannt, seit langem begonnen. Auch ich bin für die Versöhnung und war es, wie Du weißt, lieber Freund, lange bereits, bevor das große Geschäft der politischen „Versöhnung“ und damit der neue Ausverkauf Österreichs begann. Aber eben dies ist es, was so manche Politiker zwischen 1934 und 1938 und heute wieder nicht sehen wollen: daß Versöhnung und Freundschaft nur dann einen guten Sinn haben kann, wenn beide Partner sich auf einer gemeinsamen Grundlage treffen. Eben diese ist heute wieder in Frage gestellt. Du erlaubst es, lieber Freund, daß ich ganz direkt Dich angehe: so wie 1946, und die Dinge beim Namen nenne. Es hat sich da in unserem schönen Lande eine merkwürdige Arbeitsteilung im „nationalen“ Lager, eine beachtliche Sprachregelung, herausgebildet: mit hoher Geschicklichkeit spricht man zwei Sprachen. Die eine Sprache, etwa bei internen Kommersen, bei Versammlungen der Bünde, aber auch bei Soldatentreffen und in den vereinseigenen Zeitschriften und Publikationen, auch in nicht wenigen Büchern, spricht recht offen die Sprache der Vergangenheit: ein Bekenntnis zu den Großtaten des Dritten Reiches, zu den Taten „unserer Helden“, zu Ritterkreuz (mit und ohne Haken); wobei recht geschickt um eine Jugend im Leerraum nicht gelebter Demokratie geworben wird. Die andere Sprache wird, zumal von den arrivierten Persönlichkeiten dieses Lagers, die sich in einer Ges. m. b. H„ in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, mit der Republik und der Demokratie eingelassen haben, im „Parteienverkehr“ mit den ihnen befreundeten Politikern und dem Ausland gegenüber, gebraucht; da ist dann reichlich die Rede von „Europa“, von ..Verteidigung“ der Freiheit und des Abendlandes ...

Nichts mehr als dies, lieber Freund, möchte ich über Dich Deinen Kameraden sagen: diese Doppelzüngigkeit, diese Doppelbödigkeit ist für uns alle eine große Gefahr. Wobei unsere Lage noch dadurch erschwert wird, daß diese Doppelzüngigkeit teilweise unbewußt vorgetragen wird, in gewissen „nationalen“. Kreisen und teilweise „unbeschaut“ hingenommen wird in österreichischen Kreisen, die es besser wissen müßten. Eben an diese Lüge zu rühren, ist vielleicht das heißeste Eisen, das am besten ge-hütetste Tabu in unserem Österreich: wer daran zu rühren wagt, dem schlägt Feuer von allen Seiten entgegen. Schon haben sich, in diesen letzten Jahren, die Formen des „Abschusses“, der Diskrimination, der politischen Diffamierung weithin ausgebildet: wer diese Allianz, diesen Bund zu stören wagt, wird als „Linkskatholik“, als „Linksintellektueller“, als „Verräter“ usw. mit großem Erfolg angegriffen: Wer unsere „bürgerliche“, „rechte“ und nicht sozialistische Presse, inbegriffen eine gewisse sozialistische Presse in den Bundesländern, aufmerksam studiert, wird bald gewahr: hier hat sich eine Sprachregelung ausgebildet, die genau zur Aktionseinheit dieser „neuen Rechten“ paßt. Eine Sprachregelung und eine Aktionseinheit, die, militant und aggressiv Vorgetragen, in absehbarer“ Zeit vielleicht innenpolitische'^Erfolge ver-spricht, auf die Dauer aber uns alle in eine gefährliche Sackgasse führt.

Eben dies bitte ich Dich, lieber Freund, Dir selbst und Deinen Kameraden vorzustellen. Allen Ernstes bitte ich Dich und die Deinen, nicht über die eigene Klugheit und Gewandtheit zu stolpern. Ohne Zweifel haben, in einem zweifelhaften Sinne, nicht wenige „Nationale“ vom Gestern gelernt. Man geht mit der Zeit; direkte Machtübernahme, mit Stiefeln und Sporen und klingendem Spiel, ist unmodern. Verdeckt, nicht selten vor sich selbst, geht man die Wege, die unser aller Freiheit in und um Österreich gefährden. Wodurch? Durch die innerste und intimste Absage an die Demokratie, durch die Ballung der Macht in kleinen und kleinsten Gruppen und Kreisen, wobei der politisch völlig ungebildeten Öffentlichkeit in Österreich e i n Weg als allein heilbringender vorgestellt wird.

Ein Weg der Reaktion; ein Weg, der in scharfer aggressiver Art immer weiter nach rechts führt; ein Weg, der zu einer neuen selbstverschuldeten Selbstfesselung Österreichs nach innen und außen führen muß: denn dies steht doch außer Zweifel: daß die Reaktion eine Reaktion hervorruft. Wer etwas aufmerksam das innere Klima unseres Landes prüft, wird merken, daß schlimmer als Hakenkreuzschmierereien an Haus, Straße und Brücke, schlimmer als illegale HJ-Feldübungen in Uniform, bösartiger als nationalsozialistische Zellbildungen in Mittelschulen, dies uns alle gefährdet: das Wiedererwachen einer Unduldsamkeit, eines zumindest halbtotalitären Betriebsklimas. Die Geister sind nicht tot: auch die Geister von gestern nicht. Wir sind für sie verantwortlich. Du und ich.

In diesem Sinne bitte ich Dich, lieber Freund, in Deinem Kreise ein klein wenig nach dem Rechten zu sehen:“das Spiel auf zwei Klavieren kann uns alle in einen Engpaß führen, aus dem es keinen guten Ausweg mehr gibt. Der Weg, der Dich und die Deinen nach Österreich führen mag, ist weit, ist heute vielleicht weiter, länger und beschwerlicher als 1945 und 1946. Es ist Zeit für uns, aufzubrechen, wirklich zu neuen Ufern. Vermögen wir die Flammenzeichen im Himmel Frankreichs wirklich nicht zu sehen: Du und ich. wir Kinder des Krieges und des Bürgerkrieges in Österreich? Bin Dein

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