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Brief aus England

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Roland Hill, Redakteur am „The Tablet , der ältesten englischen katholischen Zeitschrift, gehört heute zu den führenden katholischen Publizisten Englands als Vertreter jener Generation, die zwischen den beiden Weltkriegen heranwuchs. „Die Österreichische Furche

London, im April Es ist im Ausland oft schwer, Verständnis dafür zu erwecken, daß die britische Labour Party in ihrem Wesen und ihrer Entwicklung nicht marxistisch ist, sondern stark von den nonkonformistischen Christen, hauptsächlich den Methodisten John Wesleys, und von christlichen Sozialisten des vergangenen Jahrhunderts. wie William Morris beeinflußt wurde. Umgekehrt hat auf englischer Seite das Mißverständnis dieses Unterschiedes zu einigen großen Fehlern Anlaß gegeben, die in den Nachkriegsjahren in einer unkritischen Unterstützung der marxistischen Parteien auf dem Kontinent begangen wurden. Jedenfalls war das christliche Element der Labour- partei, die 1906 aus der englischen Gewerkschaftsbewegung hervorging und weitgehend das Erbe des politischen englischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts antrat, bis vor kurzem tonangebend, während der Marxismus und der Kollektivismus der Fabianer (BernardShaw und das Ehepaar Webbs) mit ihrer starkbetonten theoretischen Seite die eng- … lischen Arbeiter kaum ansprach. Es war daher möglich, daß englische Katholiken, und besonders die eingewanderten Arbeiter aus Irland, der Labourpartei ohne Gewissenszwang beitreten konnten.

Im September des vorigen Jahres erklärte Dr. H e e n a n, der Bischof von Leeds, das ein Zentrum der englischen Textilindustrie und stark katholisch ist: „Es gibt gar keinen Grund, warum ein Katholik nicht Mitglied der Labourpartei sein sollte.“ Die meist konservativen Vertreter des englischen Katholizismus im öffentlichen Leben, wie auch die katholische Presse verdecken oft diese Tatsache, daß die große Mehrzahl der Katholiken Labour wählen, vierzehn katholische Labourabgeordnete sechs Konservativen gegenüberstehen, und Männer wie Lord Pakenham und Richard Stokes Kabinettsposten in der Labour- regierung innehatten.

Bishop H e e n a n sprach aber zur gleichen Zeit eine Warnung aus, die sich ins Gedächtnis zurückzurufen man heute Anlaß hat. „Es gibt eine Gruppe in dieser Partei“, erklärte er, „die manchmal als der ,linke Flügel’ oder die .Rebellen’ beschrieben werden, denen es unter keinen Umständen gestattet werden darf, die Geschicke dieser Partei in ihre Hände zu bekommen. Diese Leute sind Kommunisten in jeder Beziehung, außer im Namen. Wenn sie das Sowjetregime kritisieren, dann nicht, weil sie in ihrem Herzen Stalins Politik verurteilen, sondern weil sie ihrem Herzen Marxisten sind. Was sie verurteilen, ist nur die Ungeschicklichkeit, mit der der Sowjetdiktator Prinzipien in die Tat umsetzt, denen ihre ganze Sympathie gehören.“

Es ist heute eine allgemein anerkannte Tatsache, daß das früher führende christliche Element, maßgebend in alten Gewerksdiaftern wie zum Beispiel in Chu- ter Ede, in der allgemeinen Entchrist- lichung des öffentlichen Lebens auch von der Leitung der Labourpartei verdrängt wird. Hier wäre eine große Aufgabe für die Katholiken, diese geschwächte Führung mit christlichen Prinzipien neu zu stärken. Die Anzeichen deuten jedoch dahin, daß es wenigstens im Augenblick eher den „Rebellen“ gelingen mag, dies mit völlig anderen Ideen zu vollbringen. Das gerade von Aneurin B e v a n herausgebrachte Buch „In Place of Fear“ („An Stelle der Furcht“) versucht diese ideologische Basis zu schaffen, und es zeigt ebenfalls, daß, wenn Bevans Sozialismus in der Labourpartei triumphieren sollte, dieser der katholischen Kirche gegenüber wahrscheinlich eine ähnliche Haltung zeigen würde, wie sie Marschall Tito der Kirche gegenüber in Jugoslawien zur Schau trägt.

Bevan ist ein fähiger Kopf, geistreich eher als gebildet, ein politischer Theoretiker eher als ein Staatsmann, der sich aus einer harten Walliser Notzeit der zwanziger Jahre emporgearbeitet hat.

Katholiken werden ihm nicht vorwerfen, daß er ein Rebell ist (in der Tat entspringen manche seiner Ansichten einer inneren Notwendigkeit der Labourpartei, ihr im Amt erschöpftes Gedankengut aufzufrischen), sondern daß seine neo- marxistischen Anschauungen eine starke Bedrohung der christlichen Grundlagen der Labourpartei darstellen. Mit Marx sieht er in Religion nur eine Phase der wirtschaftlichen Entwicklung des Menschen, die der Vergangenheit angehört. Bevan hat die Halbbildung seiner Generation mitbekommen, wenn er schreibt: „Die Naturwissenschaften sind heute so weit fortgeschritten, daß die alten Quellen der Furcht fast aufgehört haben, die menschliche Psyche zu beschäftigen.“ Wenn er mit dem christlichen Glauben nichts anzufangen weiß, dann auch nichts mit dem christlichen Begriff von der Heiligkeit der Person. Sein Ausgangspunkt ist die unpersönliche Masse. Er will sich der Methoden einer parlamentarischen Demokratie bedienen, aber das Parlament soll dieser einen Klasse dienstbar gemacht werden. Die Freiheit ist für ihn ein Beiprodukt des wirtschaftlichen Überschusses. Dabei ist Bevan keineswegs offizieller oder getarnter Kommunist; die Kommunisten erscheinen ihm einfach als die Vertreter der unentwickelten marxistischen Richtung, während er wie Tito den Marxismus auf die besondere Situation seines Landes hin entwickelt zu haben vorgibt. Eines der Schlagworte Bevans ist, daß der russische Kommunismus seinen revolutionären Elan verloren hat und daß dreißig Millionen Tonnen Stahl sich kaum gegen die zweihundert Millionen Tonnen Stahl der Westmächte auflehnen würden. Ob das so ist oder nicht, es steht wohl fest, daß Stalin sich in seinen Absichten nicht allein von den größeren Stahlvorräten der Westmächte leiten lassen wird, sondern davon, ob diese Vorräte für die Herstellung von Tanks oder Eisschränken verwendet werden. Es sind das die Illusionen, die sowohl Bevans Schwäche wie auch seine Popularität ausmachen, und seine Chancen auf die Führung der Labourpartei liegen in der mit der Aufrüstung verbundenen Aufopferung der sozialen Beihilfen und Sparmaßnahmen.

Vorläufig kann Bevan auf die Unterstützung der Atheisten und Agnostiker unter den Gebildeten der Labourpartei rechnen, obwohl einige seiner Mitrebellen der christlichen Sache keineswegs feindlich gegenüberstehen. Ob es aber der Labourpartei gelingen wird, seinem außerhalb der christlichen demokratischen Tradition stehenden Einfluß zu widerstehen, wird weitgehend von den Katholiken in ihren Reihen abhängen, deren soziale und moralische Prinzipien allein denen der Neomarxisten gewachsen sind.

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