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„Brigade Erhard“ tritt an

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Seit dem 16. Oktober hat Westdeutschland einen neuen Bundeskanzler. Nach vielen Schwierigkeiten, Intrigen und Diskussionen in den letzten Jahren ist der Wechsel von Adenauer zu Ludwig Erhard überraschend ruhig und würdig vor sich gegangen. Man muß dem Kanzler bescheinigen, daß er das Seine dazu beigetragen hat. Er ist der erste deutsche Kanzler, der nicht gestürzt wurde, sondern seinen Rücktritt aus freiem Entschluß vollzogen hat.

Das neue Kabinett unterscheidet sich nur unwesentlich von dem vorhergehenden. Die Nachfolge Erhards als Wirtschaftsminister trat der CDU-Abgeordnete Kurt Schmücker an. Einige Veränderungen brachte der Eintritt des Vorsitzenden der FDP ’ Erich Mende. Er erhielt nach langen’ Verhandlungen neben’ dem Posten eines Vizekanzlers das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen und löste den CDU-Minister Barzel ab, was in der CDU starke Verstimmung auslöste. Um den Anteil der FDP am Kabinett nicht zu vergrößern, schied Bundesvertriebenen- minister Mischnick (FDP) aus und wurde durch den Vorsitzenden der Flüchtlingsverbände, Hans Krüger (CDU), ersetzt.

Die Veränderungen hielten sich also in engen Grenzen. Das Kabinett Erhard hat damit drei personell bedingte Probleme aus der Ära Adenauer übernommen: Innenminister Höcherl, der wegen der Abhöraffäre und seiner wenig glücklichen Rolle in der „Spiegel“-Affäre noch immer im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik steht; Verkehrsminister Christoph Seebohm, der sowohl seiner nationalistisch gefärbten Sonntagsreden wie seiner von vielen angegriffenen Verkehrspolitik wegen seit langem kritisiert wird, und Arbeitsminister Theodor Blank, dessen Regierungsvorlage, das sogenannte Sozialpaket, Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionspartnern ist. Ein viertes Problem könnte der neue Vertriebenenminister werden, der in jüngster Vergangenheit eine nicht ganz glückliche Rolle bei der Vertretung der Interessen seines Verbandes gespielt hat.

Die am 18. Oktober von Ludwig

Erhard verlesene Regierungserklärung war nicht nur in überaus versöhnlichem Ton gehalten, sie enthielt auch eine ganze Reihe sachlicher Vorschläge, die beweisen, wie intensiv sich Erhard auf sein neues Amt vorbereitet hat. Schon unmittelbar nach der Regierungserklärung war klar, daß die Opposition kaum etwas gegen sie würde Vorbringen können. Die Debatte am 23. Oktober hat diesen Eindruck nur bestätigt. Der Sprecher der SPD, Fritz Erler, verglich sie mit dem eigenen Programm aus dem Jahre 1961 und stellte viele Übereinstimmungen fest. Strittig war eigentlich nur, ob die Einsicht Erhards, die Überzeugungskraft der SPD-Argumente (wie Erler meinte) oder der Einfluß der FDP (wie Kühlmann-Stumm sagte) .dieses Programm hervorge-. bracht hatte. Brentanos Vorbehalte

Überraschend, wenn auch keineswegs für Eingeweihte, war die Rede des Fraktionsvorsitzenden von Brentano. Nicht nur, daß er völlig überflüssigerweise die SPD wegen ihrer Haltung in der Abhöraffäre attak- kierte, Brentano ließ auch deutlich anklingen, daß er mit der anglo- philen Außenpolitik Erhard-Schröders nicht einverstanden sei. Sein Hinweis auf die überaus wertvolle deutsch-französische Freundschaft und der demonstrative Beifall des Abgeordneten Dr. Adenauer zu Brentanos einschränkenden Bemerkungen wegen der Entspannung zeigen, daß Erhard mit einer starken Opposition innerhalb der CDU CSÜ rechnen muß. So steht schon am Anfang der Amtszeit Ludwig Erhards die auffallende Tatsache, daß er sein innen- und außenpolitisches Regierungsprogramm nur solange wird erfüllen können, solange er sich der Unterstützung der Oppositionspartei gegen die Opposition in den eigenen Reihen sicher ist.

Die Gegensätze innerhalb der CDU CSU sind grundsätzlicher Art, auch wenn persönliche Feindschaften, wie die von Brentano und Strauß gegen Bundesaußenminister Schröder, verschärfend hinzutreten. Es sind im großen und ganzen gesehen drei Probleme, die innerhalb der CDU CSU zu Auseinandersetzungen geführt haben.

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