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Brodelnde Mittelmeer-Ränder

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Madrid, im April Am Mittelmeer herrschte seit Jahrzehnten, ja fast seit einem Jahrhundert Stagnation. Von den türkischen Meerengen bis zur Meerenge von Gibraltar war es ein zwischen zwei Kontinenten liegendes Binnenmeer, durchsetzt mit den englischen Stützpunkten von Gibraltar, Malta, dein Suezkanal und Zypern und beherrscht von der englischen Mittelmeerflotte. Nicht der erste und auch nicht einmal der zweite Weltkrieg haben unmittelbar etwas daran zu ändern vermocht, von kleineren Ereignissen, wie den türkisch-griechischen Kriegen, dem Balkankrieg, dem Tripoliskrieg, den albanischen Kriegen und dem Abessinienfeldzug Italiens, gar nicht zu reden.

Es mußten besondere, die Lage von Grund auf wandelnde Faktoren eintreten, um diesem Zustand ein Ende zu bereiten.

Einer der Faktoren ist gewiß der Wandel der Kriegskunst, vor allem der Wandel der technischen Waffen in der Kriegführung und hiermit auch die Abwertung der meerbeherrschenden englischen Flotte. Ein viel wichtigerer Faktor jedoch als dieser Wandel, der insofern neutralisiert wird, als er sich ja in allen interessierten Lagern vollzieht, ist die Aenderung der politischen und nationalen Konstellation an allen Ufern und in beiden Kontinenten des Mittelmeeres.

Gewiß, Italien hatte einen großen Aufschwung genommen. Es hatte eine Flotte gebaut, die sich “sehen lassen konnte, und auf dem Dodekanes ebenso wie auf den Sizilien vorgelagerten Inseln, insbesondere auf Pantelleria, seine Stützpunkte errichtet. Wenn aber dieser Aufschwung Italiens im Frieden durch die französische Kriegsmacht ausgeglichen wurde, so wurde er nach dem Ende des zweiten Weltkrieges durch die Entmachtung Italiens zunichte gemacht. England war auch nach dem zweiten Weltkrieg vorherrschend am Mittelmeer, genau genommen, vorherrschender denn je, da nicht nur die italienische, sondern auch die französische Seemacht ausgeschaltet war und Amerika England in diesem Raum freie Hand lassen zu wollen schien.

Es ist von lehrreichem historischem Interesse, daß der Wandel im Mittelmeerbecken nicht auf die Verschiebung des Kriegspotentials, sondern auf die Neueinstellung der an den Ufern des Mittelmeeres siedelnden Völker zurückzuführen ist. Nicht der Rückgang der englischen Seemacht und auch nicht die Herabminderung der Seemacht im allgemeinen durch die modernen Waffen waren für die Verschiebung im Mittelmeer entscheidend, sondern die politische und nationale Einstellung seiner Randvölker. Die Lage ist um so interessanter, als sich das Mittelmeer nun bei praktisch ausgeschalteter englischer Herrschaft zwischen zwei Gegenpolen befindet. Ueber den relativen Wert der Festung von Gibraltar angesichts der neuen technischen Waffen und der Erstarkung des mit Amerika verbündeten Spaniens ist wiederholt gesprochen worden. Doch darf nicht außer acht gelassen werden, daß das andere Ende des Mittelmeeres wohl die Dardanellen abschließen, hinter denen die Türkei als neuzeitliche Kriegsmacht steht. Doch hinter den Dardanellen ist das Marmara-meer und hinter ihm der Bosporus und dann das Schwarze Meer und Rußland. Wie weit die' Türkei im Kriegsfälle mit eigener Kraft und fremder Hilfe die Meerenge von Kawak und Tschanak-Kalle halten könnte, mag dahingestellt bleiben. Im ersten Kriege konnten diese Tore zum Marmarameer und zum Mittelmeer trotz größter englischer und russischer Anstrengungen nicht gesprengt werden. Wie weit die neue Kriegskunst, die neuen technischen Waffen einen Wandel der Verteidigungs- und Angriffsmöglichkeiten herbeiführen können, wird abzuwarten bleiben. Es ist aber nicht aus den Augen zu lassen, daß die eigentliche Großmacht hinter dem östlichen Ende des Mittelmeeres nicht die Türkei, sondern Sowiettußland ist. Das antikommunistische, mit Amerika verbündete Spanien auf dem einen Ende und Sowjetrußland auf dem anderen sind die Torwächter des Mittelmeeres geworden, während England, in weitem Maße entmachtet, den Suezkanal aufgeben mußte, um Zypern zu kämpfen hat, und, wer weiß wann, auch Malta und Gibraltar wird aufgeben müssen.

Was wird im Falle dieser anscheinend unabwendbaren Entwicklung die Lage sein? In wessen Händen wird die Entscheidung liegen? — Sicherlich zum Teil in den Händen der Torwächter; aber gerade infolge deren politischen Einstellung wird auch die Haltung der Randvölker eine entscheidende Rolle spielen.

Von der sich neu abzeichnenden Bildung eines islamitischen Blockes entlang der ganzen Mittelmeerküsten ist schon geschrieben worden. Es ist auch wiederholt von der kommunistischen Gefahr unter den mohammedanischen Völkern die Rede gewesen. Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man das Vordringen dieser Gefahr viel eher am nördlichen als am südlichen Rande des Mittelmeerbeckens befürchtete. Die mohammedanische Welt, gleichgültig, wie weit sie sich einigt und wie weit sie staatsbildend ist, wird sich bestimmt von der westeuropäischen Vorherrschaft freimachen. Ebenso bestimmt wird sie in ihrem Freiheitskampf jede russische Hilfe entgegennehmen. Doch kann man mit alleräußerster Wahrscheinlichkeit, wenn nicht mit Sicherheit annehmen, daß Völker, die sich aus Glaubensgründem einigen, vom antireligiösen Rußland nur nehmen, ihm aber nichts geben werden. Mit einem Wort, daß sich auch innerhalb der islamitischen Völker des Mittelmeerbeckens ereignen wird, was sich in der Türkei ereignet hat: die Mohren werden es sein, die in diesem Falle Sowjetrußland sagen werden, „der Mohr hat seine Pflicht getan, der Mohr kann gehen“.

Nicht das gleiche kann man vom nördlichen Rande des Mittelmeerbeckens sagen. Abgesehen von Rumänien, Albanien und Jugoslawien, die bereits innerhalb des magischen Kreises des Kommunismus stehen, ist die kommunistische Gefahr für Italien und Frankreich zweifellos unverhältnismäßig viel größer als für jedes islamitische Volk, während Griechenland wohl immer eine Interruption bleiben wird.

Was soll nun sein? Soll es dahin kommen, daß der Südrand des Mittelmeeres jene Rolle spielen wird, die einmal den Völkern des nördlichen Mittelmeeres anvertraut war, daß die frei gewordenen islamitischen Völker einen Damm gegen das Vordringen der kommunistischen Gefahr innerhalb der Völker europäisch-christlicher Kultur bilden müssen? Es hängt ersten und letzten Endes einzig und ausschließlich von diesen Völkern der europäisch-christlichen Kultur ab, von deren Selbstbesinnung, von der Rückkehr zu ihrer kulturellen Mission, von deren radikalen Abkehr vom f Kommunismus, von der Wiederaufnahme ihrer traditionellen Mission, nicht Kultur und Zivilisation zu zerstören, sondern aufzubauen und zu verbreiten, nicht Freiheit zu nehmen, sondern Freiheit zu geben, nicht das Individuum auszuschalten, sondern der Individualität eine Bahn zu öffnen.

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