Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Brutaler als die Sizilien-Mafia
Seit 1990 ist die alte historische Grenze zwischen der Ex-DDR und Tschechien total unruhig und unsicher. Einst eine grüne Grenze, die aber von beiden Seiten respektiert wurde, ist sie jetzt leicht und unkompliziert passierbar. Schlepperbanden im tschechischen Hinterland treiben ihr Unwesen, und mancher Kunde, der sich Schleppern anvertraute, wird unmittelbar nach dem Grenzpfahl vom Bundesgrenzschutz gestellt, ohne das Wort „Asyl" je ausgesprochen zu haben. Monatlich werden rund 4.000 illegale Grenzgänger an der böhmisch-sächsischen Grenze gestellt. Die Zahl jener, die durch das Netz der Grenzüberwachung schlüpfen, läßt sich naturgemäß schwer schätzen.
Nur einen Kilometer von den offiziellen Grenzübergängen entfernt, an einigen kleineren Übergängen unmittelbar danach, trifft man auf die Rotlichtszene primitivster Art. Scharenweise stehen Straßenmädchen an der Europastraße gegen Süden oder an anderen Grenzstraßen und bieten ihre Dienste an. Die 16jährige Tschechin neben der 40jährigen Ukrainerin - nur wenige Meter weiter stehen die berüchtigten Zuhälter, Szenen, wie sie kaum sonstwo zu finden sind.
Die tschechischen Medien schweigen über diese Mißstände. Die deutschsprachige „Prager Zeitung", die vor Selbstgefälligkeit in bezug auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschechien strotzt, bezeichnete Berichte über Straßenprostitution im unmittelbaren grenznahen Baum als böswillige Verleumdung. In Prag will man offenkundig einige Fakten nicht wahrhaben - eine Haltung, die in der tschechischen Politik nicht selten eine Bolle spielt.
Verhandlungen der sächsischen Staatsregierung und der grenznahen Landratsämter mit ihren tschechischen Partnern über diese Formen Organisierter Kriminalität brachten bisher wenig Erfolg. Dabei ist die organisierte Straßenprostitution nicht nur Erscheinungsbild in Höhe tschechischer Grenze mit dem Freistaat Sachsen, sondern dasselbe Bild bietet sich auch an den Grenzübergängen in Schirnding, Eisenstein an der böhmisch-bayrischen Grenze.
Diese Rotlichtszene ist wenigstens polizeilich kontrolliert, wenngleich nicht im polizeilichen Griff. Viel belastender ist noch die illegale Prostitution. Polizei und Justiz der Landeshauptstadt Dresden können ein Lied davon singen. Scharenweise wurden Damen des Rotlichtmilieus festgenommen und in Bussen zur tschechischen Staatsgrenze gebracht, nach zwei bis drei Tagen war jedoch ihr Standort, die Staufenbergallee in Dresden, erneut besetzt. Erst kürzlich konnten verschärfte Bazzien dem Treiben ein (vorläufiges?) Ende setzen. Selbst abschreckende Prozesse wegen Zuhälterei, Nötigung und so weiter verfehlten bei den Drahtziehern der Organisierten Kriminalität ihr Ziel.
Aber nicht nur im mittelsächsischen Grenzabschnitt brodelt 3S, noch mehr sind die Dörfer der Oberlausitz betroffen, gerade die unmittelbaren Grenzdörfer. Die Bürger der Gemeinde Spreedorf bei Ebersbach sind ratlos. Zehn- bis fünfzehnmal in der Woche werden sie mit Einbrüchen konfrontiert. Ganze Diebesbanden stürzen sich von Tschechien nach Deutschland. Da nützt weder strengere Grenzüberwachung noch vollorganisierte Selbsthilfe. Einen neuen Stacheldrahtverhau will niemand, doch um die bedrohten Bürger kümmert man sich auch nicht.
Es wäre eine Fehleinschätzung, alle Straftaten des organisierten Verbrechens einzig Bürgern Tschechiens anzulasten; zumeist handelt es sich bei den Kriminellen im Hintergrund um nichttschechische Bürger, die das Land nur als Transit betrachten. Leider spielen in diesem Zusammenhang Bosnier oft eine äußerst negative Rolle, den zweiten Platz nehmen Bürger aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ein, überwiegend sind es Ukrainer. Zwei östliche Mafiabünde drängen nach Deutschland, um hier Fuß zu fassen. Sachsen, wo einst sowjetische Truppen stationiert waren, scheint ein günstiges Aufmarschgebiet zu sein, um von hier Aktivitäten in Richtung Westen zu entfalten. Die russische Mafia „Orga-nizacija" ist hier genauso im Spiel wie ihre ukrainische Tochter „Stniktura".
Beide Mafiabünde sind streng organisiert, verfügen über Kontakte zu Dienststellen in ihren Heimatländern, im Ausland ist ihnen das - noch - schwer möglich. Aufgebaut nach KGB-Prinzip zeichnen sie sich durch erbarmungslose Härte und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem „Verräter" oder „Unliebsamen" aus, die die Mafiosi Siziliens weit in den Schatten stellt.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!