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Buch und Buchhandel in Deutschland

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Der deutsche Buchhandel, einst einer der mächtigsten Kulrurfaktoren Deutschlands, wurde durch den Krieg schwer getroffen. Die Zerstörung der großen Buchlager in Leipzig, die Vernichtung der leistungsfähigsten Druckereien und Bindereien im ganzen Reich, die Umquartierung vieler Verlage ließen am Ende des Krieges ein Wirrsal zurück, aus dem kaum ein Weg herauszuführen schien. Dennoch sind gleich nach Kriegsende eine Reihe von Verlagen wieder entschlossen an die Arbeit gegangen. Einen getreuen Überblick über die gegenwärtig Lage im deutschen Buchhandel gibt das seit Jänner wieder regelmäßig A erscheinende „Börsenblatt für den Deutsdien Buchhandel”, das der Börsenverein in Leipzig in zwei Ausgaben, eine für die Sowjetzone und eine für die Westzone, herausgibt. Diese Blätter zeugen von einem erstaunlichen Willen zum Wiederaufbau. Auf allen Gebieten des Schöngeistigen, der Wissenschaft, des Religiösen ist die Mehrzahl der altbewährten Verlage wieder tätig, auch eine — leider zu große — Reihe von jungen Verlagen hat sich aufgetan.

Die Entwicklung des deutschen Buchhandels ist eine andere als in Österreich; der Preisstopp auf allen Gebieten galt auch für Verlag und Buchhandel in Deutschland, so daß die Buchpreise zwischen 2 und 10 Mark liegen, daher die meist auf höchstens 5000 Exemplare beschränkten Auflagen vergriffen sind, bevor sie zur Ankündigung im Börsenblatt kommen. Diese Ankündigungen der deutschen Verlage enthalten fast ausnahmslos die bescheidene Anmerkung, von Bestellungen abzusehen, da nur im Zuteilungsverfahren ausgeliefert werde und die Kartei bereits abgeschlossen sei. Die Zuteilung nimmt der betraute Kommissionär vor, wobei der Buchhändler froh ist, auch ohne sein Zutun mit einem oder wenigen Exemplaren bedacht zu werden. Daba wird gewiß nach früheren Erfahrungen auf Spezialisierung einzelner Buchhämd- ler Bedacht genommen. An Vorschlägen einer verbesserten Verteilung fehlt es nicht; sie wird erst in den Westzonen möglich sein, wenn die Währungsreform durchgeführt ist — man verspricht sich von ihr eine Geldverknappung, wie sie, aufmerksam verfolgt, in Österreich eintrat. Dann soll der Verlag zunächst seine kommende Neuerscheinung anzeigen, das Sortiment wieder nur bei ihm bestellen, mit Angabe der streng nach unten gehaltenen Anzahl der Exemplare, wonach der Verlag selbst die Aufteilung gerecht vornehmen soll, gestützt auf seine alten Erfahrungen.

Ein Behelf gegen die Bücherarmut bildet die ausgedehnte Rubrik „Gesuchte Bücher” im „Börsenblatt”, in der vor allem Stan- . dardwerke der deutschen und der Weltliteratur, daneben Kunst- und viele wissenschaftliche Bücher namhaft gemacht werden. Eine ergänzende Rubrik „Angeboten : Bücher” ist nicht so stattlich, enthält die kennzeichnende Bemerkung der Antiquariate: „Erbitten Preisangebote”, und weist manches auf, was in der anderen Rubrik gesucht wird. Auch für die Antiquariate gelten Preisvorschriften im Einvernehmen mit dem Börsenverein, der jedoch zugibt, daß die Entwicklung nahezu zur Unmöglichkeit geführt hat, die Vorschriften einzuhalten, wenn vermieden werden soll, daß „die Ware gänzlich auf dem Schwarzen Markt verschwindet”. Unablässig bemühen sich der Leipziger und alle anderen, sich ihm als zugehörig betrachtenden Vereine, die Zonengrenze zu überbrücken — ein „Arbeitsausschuß der deutschen Buchhandelsverbände” hat die vomehmliche Aufgabe der Koordinierung —, die Teilnehmer an den Sitzungen, die abwechselnd in. den verschiedenen buchhändlerisch wichtigen Städten Deutschlands abgehalten werden, betonen stets unerschütterlich di Einheit der deutschen Buchhandelsvertreter, da ihnen jede Tendenz einer Zersplitterung fernliege.

In der östlichen Zone wird der russischen Produktion der entsprechende Platz eingeräumt; da Leipziger „Börsenblatt” aber vermag sich auch hier an das von ihm überall gewahrte Niveau zu halten, so daß von einer auffallenden Propaganda in einem politischen Sinn kaum die Rede sein kann. Ein „Kultureller Beirat”, in dem die Interessen der Leserschaft gewahrt werden sollen, berät durch Lektoren und Fachkommissionen alle Verlagsvorhaben — im Jahre 1947 zensierte er 3700 Werke, wobei seine Note „vordringlich” oder „dringlich” ausschlaggebend, auch für die Auflagenhöhe, ist. Die belletristischen Verlage konnten danach 7,7 Millionen Exemplare drucken, die wissenschaftlichen Verlage 2,1, die Fachverlage 3,5, die Modeverlage 10 (meist geringen Seitenumfangs), die Kunstverlage 1, die Musikverkge 5 und die Jugendverlage 1,2 Millionen Exemplare. Da im „Kulturellen Beirat” auch Vertreter der Universitäten und Schul- wie Volksbüchereien mit- wirken, ist er bislang als Stütze des sonst unsicheren Verlagswesens zu betrachten, ebenso des Buchhandels, der ja über eine noch nicht dagewesene Wissenschaft des Verbotenen verfügen muß: die Liste der „auszusondernden Bücher” betrug bisher in der Ostzone 25.000, wozu eine weitere Ergänzungsliste neue 10.000 Titel voen Büchern und Zeitschriften bringen wird.

Ehe man die gewohnten Erscheinungen der Markenverlage Wiedersehen wird, braudit es Geduld. Der erste Bädeker, von Karl Bädeker verfaßt und Leipzig, der Messestadt gewidmet, kam mit Hilfe des Bibliographischen Instituts heraus; der „Duden” sieht gerade wieder das Tageslicht (8 bis 10 Mark); Brockhaus arbeitet an einem dreibändigen Lexikon; Cotta zeigt den ersten Hölderlin-Band an, 10 Mark, ansonst Romane von 2 zu 6.80 Mark, der Inselverlag kleine Bände zu 2 bis 3 Mark; die katholischen Verlage Herder, Bachem usw. sind rührig — viel Görres-Literatur; die Deutsche Akademie der Wissenschaften, Berlin, limitiert Veröffentlichungen der Professoren Westermann, Schwyzer, Guth- nik, Ramdohr, Mitteis, Warburg, in Vorbereitung Wasmer, Kienle, Heubner, Meinecke … Wie klagt das „Börsenblatt” darüber, daß auch das wissenschaftliche Buch nur Auflagen von 5000 erreichen kann, wo allein die Münchner Universität 7000 Medizinstudenten aufweist, fast ohne jedes medizinwissenschaftliche Lehrbuch! Papier! Die Papierfabriken der Westzonen können nur mit 20 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten. Aus Stuttgart wird berichtet, daß die Papierfabriken Rüstungswerke für den Papierkrieg geworden seien, der sich zu einer Materialschlacht ausgewachsen habe. Alle nicht papierkriegswichtigen Betriebe müssen zurücktreten. Für Bücher gebe es in Württemberg-Baden 70 Tonnen Papier, der behördliche Papierverbrauch für den gleichen Zeitraum werde auf 1000 Tonnen geschätzt.

Von den Auflagen haben die Verleger eine erkleckliche Anzahl Bände als Pflichtexemplare an diese oder jene Besatzungsmacht afczuKefem; wer eine der vieiarogen Bestimmungen verletzt, hat hohe Geldstrafen und Lizenzentzug zu gewärtigen. Im britischen Kontrollgebiet dürfen Druckerzeugnisse aus anderen Zonen erst zwei Wochen nach Vorlage zur Austeilung kommen; Zuwiderhandlung: Gefängnis bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen bis 100.000 Mark oder beides zusammen. Ist das Überwinden der Zonengrenzen schon mit vielen Schwierigkeiten verbunden, bleibt das der Auslandsgrenzen noch versagt. Um Devisenvorschriften zu umgehen, schien man auf Grund von Kontingentaustausch mit den hieran interessierten Ländern, Schweiz und Holland, weiterkommen zu können. Mit Österreich geht es schwer. Anscheinend sind Bücher nicht lebenswichtige Artikel. Wie könnte der österreichische Verlag mit seiner jetzigen Überproduktion dem deutschen Buchhandel helfen!

Eine besondere rechtliche Schwierigkeit ergab sich in der Frage jener Urheberrechte, die im Besitz von noch nicht lizenzierten Verlagen sind. Der Tätigkeitsbericht der deutschen Buchhändler für das Jahr 1947 schreibt darüber: „Es entspricht nicht nur einer alten Tradition, sondern der Forderung des Tages, daß wir uns mit solchen Rechtsfragen befassen. Sie wurden vor allem ausgelöst durch die infolge des Lizenzierungszwanges geschaffenen besonderen vertraglichen Beziehungen zwischen Autor und nichtlizenziertem Verlag. So sehr Grund besteht, gegenüber dem abwanderungswilligen Autor auf das besondere Treue- und Vertrauensverhältnis hinzuweisen, das der Verlagsvertrag in sich schließt, läßt sich doch die Bereditigung eines solchen Vorgehens nicht immer bestreiten. Sie kann sich sogar aus dem Interesse am Werk und seiner baldigen Veröffentlichung ergeben und braucht nicht immer persönliche wirtschaftliche Gründe zu haben …”

Man hat im Leipziger Organ viel Beachtung dem Bescheid gegeben, den hinsichtlich der Rechtsbeziehungen zwischen österreichischen Autoren und deutschen Verlegern das Staatsamt für Volksaufklärung im „österreichischen Anzeiger für den Buch-, Kunstund Musikalienhandel” (1946/1) erteilte: Nach den Bestimmungen des noch geltenden österreichischen Urheberrechtsgesetzes und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über den Verlagsvertrag wird ein österreichischer Autor hinsichtlich der Vergebung seiner Ur-. heberrechte frei. Dies auch für den Fall, daß die Neuauflage eines bereits erschienenen, aber seit drei Jahren vergriffenen Werkes unterblieben ist, und den Verleger daran kein Verschulden trifft (höhere Gewalt). Die Lage österreichischer Autoren gegenüber deutschen Verlegern wurde nicht ohne Verständnis beurteilt; um so mehr, als Devisenvorschriften jede Zahlung an sie unmöglich machten. Das betonte Treue- und Vertrauensverhältnis für in Deutschland ansässige Autoren konnte hier nicht im gleichen Umfang geltend gemacht werden.

In den Beratungen der deutschen Buchhändler-, Verleger- und Schriftstellerverbände wurde die Isolierung von ausländischer Kultur oft und beredt beklagt; das Börsenblatt Leipzigs berichtet indessen nicht nur, soweit erreichbar, über ausländische Veröffentlichungen der Literatur, sondern es nimmt seinen Anteil an den Mühen und Erfolgen früher mit dem deutschen Buchhandel sooft Hand in Hand gehender Organisationen, etwa Italiens oder Frankreichs (100 Jahre französische Budihandels- organisation: Cercle de la Librairie, Syndicat des Industries du Livre). Hier findet der Börsenverein der deutschen Buchhändler in Leipzig, wenn er den literarischen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Sowjetunion usw. ein Echo leiht, die wohlwollende Beachtung der Besatzungsmacht, je nach den vier Zonen. Möge der Tag nicht fern sein, wo gleiches Wohlwollen der wieder freien Entfaltung des deutschen Buches, der deutschen Zeitschrift bekundet wird und insbesondere keine unüberschreitbare Grenze mehr zwischen deh Staaten für ihren Kulturaustausch bestehen wird.

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