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Budapest, Sofia - und was nun?

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Die Zahl der Konferenzen und Einzelbesprechungen unter KP- Führem und Bruderparteien steht allmählich im umgekehrten Verhältnis zu der unumschränkten Machtvollkommenheit der KP der Sowjetunion gegenüber weiteren 81 Kommunistischen und Arbeiterparteien. Väterchen Stalin saß allein in seiner Kremlkammer und alle Kommunisten der Welt führten devot den Befehl des vorderasiatischen Despoten aus. Doch die Zeiten ändern sich …

Kaum hatten die Rumänen in Budapest am 29. Februar mit dem gewünschten Aufsehen die Konsultativkonferenz der 66 Parteien verlassen, erhob sich die Frage: Wird Bukarest seine Vertreter zu der Sofioter Beratung der Warschauerpaktmächte (der „Ost-NATO”) schicken? Nicht bloß die Vertreter, sondern die Spitzengarnitur: Nicolae Ceausescu, Ion Gheorghe Maurer, Corneliu Manescu und Heeresminister Jonita. Neben der sowjetischen ganz großen Besetzung, war die rumänische Abordnung sehr bewußt mit den Assen der rumänischen Partei- und Außenpolitik bestellt. Nach Budapest hatte man allseits Ideologen, Zweite Sekretäre und Vertreter der Vertreter entsendet. Der wesentliche Punkt in Budapest sollte schon die bloße Anwesenheit der 66 Parteien sein. In Sofia dagegen ging es um nüchterne und reale Machtbefugnisse. Die Rumänen haben sich vor der UNO und anderwärts mehrfach gegen den von der Sowjetunion und den USA ent worfenen Nonprofilation-V ertrag gewandt. Auch der Präsident der UNO-Vollversammlung, Corneliu Manescu, hat das Ungleichgewicht zwischen den drei „Besitzenden” und allen übrigen „Habenichtsen” vermerkt.

Es ging in Sofia auch gar nicht darum, daß etwa die Sowjets ihre kleinen Bundesgenossen zium Teil gar nicht modernst ausrüsten und die Rolle der volksdemokratischen Armeen für einen Konfliktfall oft nur aus „Hilfsdiensten” zu bestehen hätte. Man hat schließlich im Westen seit Monaten den Eindruck gewonnen, daß die kommunistischen Internationalen — voran der Warschauer Pakt — vom Kreml fester in den Griff genommen werden sollen und stärker unter einfc direkte Regie der Sowjetarmee gestellt werden sollten.

Doch — um all diese Einzelheiten ging es nicht so sehr. Sonst wäre die rumänische „Exodus”-Partei der Budapester Konsultativkonferenz nicht in Sofia mit ihrer weltpolitischen Elite auf dem Plan erschienen. Es geht gewiß nicht nur den Rumänen um die Beseitigung von zweierlei Recht und zweierlei Rängen innerhalb des östlichen Bündnissystems. Dazu muß aber in der Tat die Frage der Eigenständigkeit und Mitverantwortung der kleinen Bruderparteien geklärt werden. Denn sonst könnte die These mancher volksdemokratischer Spitzenfunktionäre im sowjet- sozialistischen Lager Boden gewinnen, wonach der russische Imperialismus bloß um wenige Grade „besser”

wäre, als der US-amerikanische Imperialismus. Welcher leidvolle Weg gehört dazu, daß ein so überzeugter und gradliniger Kommunist wie Nicolae Ceausescu zum Calvin der kommunistischen Weltbewegung wurde? Nikita S. Chruschtschow wollte aus dem rumänischen Nachbarstaat ein Kukuruzfeld machen, die Ausbeutung und Benachteiligung des rumänischen Handelspartners durch Moskau glich zeitweilig britischen Kolonialmethoden des 19. Jahrhunderts, die eigene rumänische Geschichte mußte umgestaltet werden, die 600 Jahre alte Provinz Bessarabien, die die Sowjets 1944 wieder besetzten, darf auch heute in der rumänischen Publizistik praktisch nicht erwähnt werden.

General Sejnas Flucht

Doch keineswegs nur die Rumänen sind es, die nach mehr Manövrierfähigkeit verlangen. Die Flucht des tschechischen „Berija”, des Generals Jan Sejnu (mit Unterlagen) nach Amerika, lieferte den Parteichefs und Marschällen in Sofia am 6. März 1968 gewiß eine prickelnde Initialzündung für ihre Verhandlungen. Alexander Dubcek, Prags neuer Erster ZK-Sekretär, wird darauf verweisen, daß doch Sejna für Novotny und seine Brötchengeber „der Treueste der Treuen” war und sich nun für teure Informationen ein billiges Asyl erkauft habe. Nebstbei: Rumänien war bereits vor eineinhalb Jahren bereit, rumänische Freiwilligen-Detachements nach Vietnam zu entsenden. In diesen und anderen Fragen wird man gemeinsam verhandeln und schlüssig werden müssen. Für die USA wiederum bedeutet die Paktkonferenz von Sofia den Auftakt zu einer bedeutenden strategischen und taktischen Phase in Südostasien und im Nahen Osten. Aber beide Konferenzveranstaltungen, Budapest wie Sofia, bedeuten jeweils nur Ansätze und Vorbereitung größerer geschichtsträchtiger Entscheidung innerhalb der kommunistischen Welt:

Rumänien „östliche Schweiz”?

Rumäniens KP-Führung und

Außenpolitik hat lange Nutzen daraus gezogen, daß man die „Walachen” unterschätzte. Diese Beobachtung gilt heute nicht mehr. Denn schon in Budapest hatte es der Zeremondär der rumänischen KP, Nicülescu-Mizil, deutlich gemacht: Eine abschätzige Behandlung der benachbarten Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien werde ebenso den Protest der Bukarester Partei wachrufen, wie eine Verteufelung der Rotchinesen. Ausgerechnet der syrische KP-Chef Bagdash wurde gegen Niculescu-Mizil ausfällig — und der Auszug der Rumänen aus der Konsultativkonferenz und aus der „geliebten” Nachbarrepublik Ungarn erfolgte prompt.

Auch in Sofia ging es um weltpolitische Fragen, um Grundsätze des Zusammenspiels im kommunistischen Lager. Schon vor Beginn der Sofioter Tagung zeigte man Leonid Breschnjew und Nicolae Ceausescu beim Bruderkuß in Bukarest, beim Freundschaftstoast — eine wirklich beeindruckende Show. So wenig man aber damit rechnen kann, daß Peking oder Tirana auf die Einladung zur Gipfelkonferenz im November/Dezember 1968 überhaupt antworten werdien, so unumsitößlicih scheint: Die Bukarester Bruderpartei will präsent sein und erstrebt, an Stelle des Satellitentums, eine wirkliche Partnerschaft mit Alternativen, mit Entschlußfreiheit von Fall zu Fall. Diese Entscheidung wird nicht bloß in Bukarest registriert oder in Paris, der Hauptstadt der lateinischen Schwesternation. Peking, Havanna, Washington beobachten und nehmen zur Kenntnis, was nun auf Budapest und Sofia folgen wird. Für die Rumänen selbst sieht das Unternehmen einer östlichen Schweiz nicht ungefährlich aus. Aber das Leben ist nun einmal gefährlich — auch dort, wo es verplant und bereits angeblich einem wissenschaftlich-logischen Ablauf unterworfen sein sollte.

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