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Bürger werden oft hinters Licht geführt

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Große Hindernisse werden Bürgerinitiativen oft in den Weg gestellt, wollen sie durchzusetzen, was im Gesetz steht. Im folgenden ein Erfahrungsbericht.

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Große Hindernisse werden Bürgerinitiativen oft in den Weg gestellt, wollen sie durchzusetzen, was im Gesetz steht. Im folgenden ein Erfahrungsbericht.

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dieFurche: Wie sind Sie zur Bürgerinitiative Flötzersteig gestoßen?

Lore Kummer: Ich habe in der „Wochenpresse" gelesen, daß der Boden rund um die Müllverbennungsanlage sehr belastet sei. Zur selben Zeit bekam ich ein Flugblatt der Bürgerinitiative Flötzersteig in die Hand. Beides hat mich aus meinem Dornröschenschlaf geweckt: 1983 schloß ich mich der Initiative an - und bin dabei geblieben. Jetzt bin ich ihre Sprecherin.

dieFurche: Worum ging es damals?

Kummer: Wir wußten: Die Anlage kriegen wir in naher Zukunft nicht weg. Aber wenigstens sollten Filter eingebaut werden. Das haben wir 1985 erreicht. Im weiteren Verlaufhat sich die Bürgerinitiative umfassend mit Abfallfragen beschäftigt, auch mit der Deponierung. Wir stellten Kontakte zu anderen Initiativen her. 1989 entstand die „Müllplattform" (aus rund 60 Initiativen), als das Wirtschaftsministerium die Verbundgesellschaft ermächtigte, Verbrennungsanlagen in Osterreich zu errichten. Gegen die rund 20 damals geplanten Anlagen fand eine Demonstration vor dem Umweltministerium statt.

dieFurche: Haben sie etwas erreicht?

Kummer: Es gelang, der damaligen Umweltministerin Marilies Flemming Zusagen für den Ausstieg aus der Hausmüllverbrennung abzuringen. Wie Sie wissen, gibt es ihn bis heute nicht - im Gegenteil. Sie erkennen, was politische Versprechungen bedeuten. Insgesamt haben wir 25 Petitionen im Parlament eingebracht. Später hat Maria Rauch-Kallat uns ein Projekt zur Erprobung des biologisch-mechanischen Verfahrens (einer Alternative zur Müllverbrennung) versprochen. Auch dazu kam es nicht. Wenigstens gelang es, dieses Verfahren in die Deponie-Verordnung als Variante der Entsorgung hineinzureklamieren. Dabei verpflichtet das „Baseler-Abkommen" Osterreich, die Erzeugung von Sonderabfall zu vermeiden. Die Müllverbrennung ist aber ein Sonderabfall-Großerzeuger: Schlacke, Asche, Filterkuchen, all das ist Sonderabfall und wird deponiert. In der Öffentlichkeit aber erweckt man den Eindruck, die Verbrennung schone die Deponien. Keine Rede davon!

dieFurche: Zurück zum Flötzersteig: War mit dem Einbau der Rauchgaswäsche das Problem erledigt?

Kummer: Wir wußten, daß trotz der Filter die Verschmutzung so massiv war, daß etwas zu geschehen hatte. Das Luftreinhaltegesetz trat in Kraft und begrenzte den Dioxinwert (auch zu seiner Einführung haben wir wohl etwas beigetragen). Die Anlage am Flötzersteig konnte diesen Grenzwert nicht einhalten. Es gab 17-, ja 30fache Überschreitungen. Wir entwickelten ein Notprogramm, das darauf abzielte, organische Abfälle und Kunststoffe aus dem Müll zu eliminieren, um die Dioxinbildung zu verringern.

dieFurche: Gab es damals die getrennte Müllsammlung?

Kummer: Nein. Der damalige Stadtrat Braun hat uns auch ausgelacht, den Wunsch für eine Zumutung gehalten. Und heute ist das Konzept großflächig verwirklicht. Da die Überschreitungen der zulässigen Belastung so massiv waren, haben wir Ende der achtziger Jahre die Schließung der Anlage gefordert. Auch das war umsonst. Im Gegenteil: Ab 1990 wurde die Anlage in ihrem Inneren praktisch komplett erneuert: neue Brennkammern, Filter, eine Erweiterung ihrer Kapazität auf fast das Doppelte: Ein Beispiel dafür, wie Politiker auf die Bürger Bücksicht nehmen.

dieFurche: Ist der Umbau so einfach über die Bühne gegangen?

Kummer: Mitte der achtziger Jahre sollte es zur gewerbebehördlichen Genehmigung für den Umbau kommen. 1.700 Einwendungen gab es damals. Die Betreffenden wurden aber nicht zur Verhandlung geladen. Ein schwerer Verfahrensfehler. Die Verhandlung mußte nochmals ausgeschrieben werden. Der Erfolg: 7.000 Einwendungen. Darauf schenkte die Müllbeseitigungsgesellschaft Flötzersteig den Heizbetrieben Wien die Fernwärme durch Notariatsakt - und die gewerbebehördliche Genehmigung erübrigte sich! Wir rennen dagegen an, sind aber machtlos. Eigentlich müßte die Behörde handeln, tut es aber nicht.

dieFurche: Sie wurden selbst auch vor das Gericht zitiert...

Kummer: Wir hatten Bodenuntersuchungen auf Dioxin verlangt. 1987 wurde gemessen, 1989 bekamen wir die Ergebnisse: Es fehlte die entscheidende Schlüsselzahl, die die Belastung anzeigt, und wir wurden nur über 16 von 260 gemessenen Werten informiert. Meine Reaktion: „In der Arbeit stehen zwar freundliche Worte, aber kaum Zahlen", brachte mir eine Strafanzeige und eine Zivilklage ein. Die Strafanzeige wurde zwar sofort zurückgelegt, die Zivilklage zog sich aber über fünf Jahre hin - bis zum OGH. Zuletzt bekam ich recht. Heute gehört es fast zum guten Ton, Sprecher von Rürger-initiativen zu klagen.

dieFurche: Sind Sie in der komplizierten Materie so sattelfest?

Kummer: Man muß sich eben sachkundig machen. Man muß sich eben bei wirklichen Experten informieren. Wir würden uns ähnliches von den Politikern wünschen.

dieFurche: Aber selbst die Experten sind oft unterschiedlicher Ansicht...

Kummer: Es gibt nur eine Wahrheit Gutachter von internationalem Ruf können sich Gefälligkeitsgutachten einfach nicht leisten, aber andere ...

dieFurche: Ihr Konzept in Müllfragen?

Kummer: Die Abfallvermeidung, die. auch das Gesetz fordert. Wir fordern etwa: Verbot der Pet-Flasche, der Alu-Dose, Vorschreibung von wiederverwendbaren Behältern (statt recycleba-ren), Beschränkung des Verpackungsvolumen auf das notwendige Minimum ... Für all das müssen die Bürger Druck machen. Sie werden hellhörig, wie man an der Zahl der Einsprüche bei Bewilligungsverfahren sieht: Zur Verhandlung der Anlage Plötzersteig gab es 7.000 Einsprüche, über 20.000 waren es in Kematen und bei der Sonderabfall-Verbrennungsanlage Ranshofen sogar 60.000. Hier sind deutliche Parallelen zur AKW-Bewegung da.

dieFurche: Nützt das etwas?

Kummer: Es gibt auch Erfolge: Im Wiener Hanuschkrankenhaus wurde die Spitalmüllverbrennung geschlossen, ebenso in Feldkirch. In Wr. Neustadt und Hollabrunn wurden solche Anlagen nicht gebaut. Im Kaiserwald in der Steiermark wurde nach zehnjährigem Widerstand eine Deponie verhindert, im Ennser Überschwemmungsgebiet der Bau einer Sonderabfall-Deponie.

dieFurche: Viele klagen: In Österreich geht gar nichts mehr, wir verlieren den Anschluß...

Kummer: Die Bürger wurden einfach so oft hinters Licht geführt, daß der Mann auf der Straße den Politikern nichts mehr glaubt - selbst wenn sie recht haben. Das ist eine ganz große Gefahr. AVenn man aber auf dem Rechtsweg nicht durchkommt, sind Konfrontationen vorprogrammiert. Da wird mit Rechts- und Gesetzestricks gearbeitet. Daß man in Wien nur schwer etwas durchsetzt, ist kein Wunder: Der Betreiber, die Behörde und die Kontrollbehörde ist die Gemeinde. Man muß bis zum Verwaltungsgerichtshof gehen, um zu einer unabhängigen Instanz zu kommen. Und wenn man keine Parteienstellung hat, kann man gar nichts machen. Daher versuchten wir es am Flötzersteig mit Strafanzeigen.

dieFurche Und der Erfolg?

Kummer: Nichts: Neun Jahre dauerten die Vorerhebungen! Und statt jedem der vielen angeführten Verdachtsmomente nachzugehen, hat sich der Staatsanwalt damit begnügt, aufgrund der Beurteilung nur der akuten (also nicht der langfristigen) Wirkungen nur im Zeitraum 1987 bis 1993 «wr eines Schadstoffes (des Dioxin) das Verfahren einzustellen. Es ist unfaßbar. Eine parlamentarische Anfrage an den Justizminister soll das klären.

diefurche Ihre persönliche Schlußfolgerung im Rückblick?

Kummer: Trotz vieler Fehlschläge können Bürgerinitiativen doch mit relativ wenig Aufwand einiges bewegen. Man hat rasch das Vertrauen vieler Menschen, die wissen, daß man weder auf Gewinn, rfbch auf ein Amt aus ist, sondern die Sache vertritt. Und wenn man das Anliegen erreicht hat, zieht man sich wieder ins Privatleben zurück. Mir ist das bis jetzt leider nicht gelungen.

Das Gespräch

fiihrte Christof Gaspari

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