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Bulgarien im Zwielicht

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Die Verfassung der Volksrepublik Bulgarien vom 4. Dezember 1947 ist wie ihr Vorläufer unter russischem Einfluß entstanden. Denn der Entwurf der Verfassung von Tirnowo 1879 stammte von einem General der kaiserlich-russischen Besatzungstruppen, geriet aber bei der Überprüfung in Petersburg in die Hände eines extrem liberalistischen Staatsrechtlers, des Professors Gradowsky, wurde durch ihn ein Gebilde jener westlerischen Ideen, die in der damaligen liberalen russischen Intelligenz gangbar waren. So wurde sie ein Tor zum Westen, dem sich der verjüngte Nationalismus des wiedererstandenen bulgarischen Zarentums mit ungestümer Kraft verschrieb. Es ist daher tragisch, daß die neue bulgarische Verfassung, von einem in Rußland geborenen Gedankengut, dem marxistischen Leninismus,, durchdrungen, nichts anderes als die Trennung des Bulgarentums von einem Kontinent bedeutet, den es vor einer Generation entdeckt hat. Denn sie ist ein getreues Abbild des Sowjetstaates. Damit ist die seltsam schwere Rolle, die Bulgarien auf dem balkanischen Plateau während sieben Dezennien gespielt hat, zu Ende. Erst Georg! Dimitrov, dem unumschränkten Herren der heutigen Republik, erfüllte sich das schmerzliche Wort, das 1895 der katholische Zar Ferdinand bei der Taufe seines Thronfolgers Boris durch das Oberhaupt der prawoslawen, also östlichen Nationalkirche Bulgariens noch zu Unrecht gesprochen hatte: „Der Vorhang des Westens ist hinter mir gefallen, ich aber blicke auf das goldene Morgenrot des Ostens.”

Die kollektivistische Gesinnung des kommunistischen Staatsgedankens tritt schon in den ersten Kapiteln der jetzt geltenden Konstitution zutage, denn sie verspricht gleißend, daß alle Macht vom Volke ausgehe und wieder zu ihr zurückkehre. Deshalb ist das höchste Organ nicht wie früher der Monarch, sondern die auf vier Jahre gewählte Volksversammlung, das Sobranje. Das von ihm gewählte Staatsoberhaupt ist wiederum ein Kollektiv, nämlich das Präsidium der Volksrepublik. Deshalb trat am 1. Jänner 1948 der nach dem Sturz des Knabenkönigs Simeon seit dem 9. September 1944 amtierende provisorische Präsident Vasil Kola- rov zurück und machte diesem Präsidium Platz, dessen Vorsitz der 55jährige Jurist Dr. Mintscho Nejtschev innehat. Er war früher Justizminister und Autor jenes Gesetzes über die Volksgerichtsbarkeit, nach dessen Paragraphen auch der oppositionelle Bauernführer Nikola P e t k o v im Vorjahr abgeurteilt und hingerichtet worden war. Wie Nejtschev ist auch sein Generalsekretär Jordan Tschorpanov ein bewährtes Mitglied der kommunistischen Arbeiterpartei, während die beiden Stell-Vertreter Kiril Kisurski und Doktor Dimiter Nejkov von der Bauernpartei und den Sozialdemokraten nominiert wurden. Dem Präsidium gehören außerdem noch 15 Abgeordnete des Sobranje an. Die Vollmachten dieser Staatsspitze sind weit geringer, als sie die liberale Verfassung dem Zaren zuerka’nnte, denn „das höchste leitende und ausführende Organ der Volksrepublik ist die Regierung”. Berief und entließ früher der Zar die Regierung, so ist dieses Recht nun einzig dem Sobranje vor- behalten. Dadurch wird die Gestalt des Regierungschefs, des aus Moskau heimgekehrten Kommunisten Georgi Dimitrov, nur um so schärfer profiliert. Denn schon seine zweijährige Praxis hat erhärtet, daß die Volksversammlung dazu berufen ist, mit Applaus alle Akte des Ministerpräsidenten zu bestätigen. Die im Dezaįtober vorigen Jahres von Dimitrov gebildete neue Regierung ist selbst wieder eine monströse Versammlung von 23 Personen. Dem Ministerpräsidenten sind fünf Stellvertreter zur Seite gegeben, von denen drei außerdem noch ein Ressort innehaben. Zur Regierung gehören aber audi die Vorsitzenden der Obersten Planungskommission, der Obersten Staatskontrolle und des Komitees für Wissenschaft, Kunst und Kultur im Range eines Ministers. Mit den anderen 13 Ministern zählt dieses Kollegium 14 Kommunisten, 5 Agrarier, 3 Sozialdemokraten und 1 Zveno- mann. Übrigens hat auch Bulgarien seine Anna Pauker in der Person der radikalen Kommunistin Tschola Dragoj t s c h e w a als Postminister. Die überdimensionale Besetzung der Regierung hat ihre Ursache in der schon weit vorgeschrittenen Verstaatlichung des gesamten öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens; der noch immer wachsende bürokratische Apparat zeichnet sich durch eine kaum mehr zu übersehende Kompliziertheit aus. Denn „das allgemeinnationale Eigentum ist die fundamentale Stütze des Staates bei der Entfaltung der Volkswirtschaft”, sagt die Verfassung, die auch dem Genossenschaftsgedanken einen gebührenden Platz einräumt, während das Privateigentum von ihr zwar geschützt, sein Umfang und Gebrauch aber äußerst eingeschränkt wird.

Die Verwaltung der Republik obliegt den durch Wahl auf drei Jahre bestellten Kreis- und Ortssowjets aus Mitgliedern der politischen, gewerkschaftlichen und anderen Massenorganisationen. Deren Dach ist die „Vaterländische Front”, die nicht mehr eine Koalition von Parteien, sondern eine selbständige Körperschaft ist. Neben ihr sind die Parteien zum Vegetieren verurteilt, zumal sich ihre Jugendgruppen längst zu einem gesamtstaatlichen Einheitsverband verschmolzen haben. Ein tiefer Einbruch erfolgte auch in die Justiz, denn die Verfassung beseitigt die Unabsetzbarkeit der Richter und läßt diese künftig durch das Volk wählen. Hingegen ist der Generalstaatsanwalt mit einer geradezu diktatorischen Gewalt versehen.

Die Freiheit der religiösen Übung ist gewiß auch in der volksdemokratischen Staatlichkeit garantiert, aber die bulgarische Orthodoxie, früher der impulsivste Motor in dem Prozeß der bulgarischen Renaissance, lebt seit dem Ende des Krieges abgeschlossen von der staatlichen Atmosphäre, man mißtraut ihr und hat sie gleichsam unter Quarantäne gestellt. Die Revolution brachte ihr ein zweifelhaftes Geschenk in der Form des Patriarchentitels, den ihr die griechisch-orthodoxe Kirche immer verweigert hat. Der schwere Preis war der endgültige Verzicht auf die kirchliche Souveränität über alle außer den Staatsgrenzen lebenden bulgarischen Volksteile, die ihr 1870 ein Sultan bestätigt hatte. Damit aber ist die einzige Verbindung zu den bulgarischen Mazedoniern und das letzte ideologische Gerüst eines Großbulgariens eingestürzt. Dabei haben einmal gerade die russophilen Kreise dieses Volkes eben in der Kirche ein starkes Vorwerk des allslawischen Gedankens gesehen, der sich sein Symbol mit russischen Spenden in der neubyzantinischen Alexander-Newski-Kathe- drale errichtete. Dieses hoch aufragende Wahrzeichen der Stadt hat aber nicht gehalten, was der goldene Glanz seiner prächtigen Kuppel versprach. Das in seinem. Schatten liegende bescheidene Schloß der Koburger hat den Gang der Geschichte stärker beeinflußt als die Kirche. Es ist da her mehr als eine nur boshafte Konfusion, wenn gerade in diesen Tagen, da Bulgarien im unmittelbaren Machtbereich des Kreml steht, die Kirche in eine stumme Reserve trat und das v e r w e i g e r t, was der Kommunismus von ihr erwartet, nämlich die enthusiastische Kollaboration mit dem russischen Patriarchat. Sie hat sehr viel an öffentlichem Gepränge verloren, ihr Oberhaupt wird nicht mehr zu den Staatsakten eingeladen, ihre Priester geben nicht mehr der Eröffnung des Sobranje die feierliche Weihe. Aber vielleicht löst gerade diese Erschütterung jene merkwürdige Erstarrung, die ihren tieferen Gehalt verbarg. Gezwungen, ohne die Protektion des Staates auszukommen, und mit der Glut der ersten Christen sammeln hie und da die Priester wieder eine echte Gemeinde um sich. Die Degradierung vom Rang einer Staatskirche zur privaten Institution mag am Ende wohltätig genug sein, um eine religiöse Erneuerung zu erwirken.

Es wäre unwahr, die gewaltige Popularität des Mannes zu leugnen, der nun die Schicksale des Landes von den Kanzleien des Schlosses aus lenkt. Als ein in den Gebärden der Nützlichkeit erfahrenes Volk, haben die Bulgaren nach dem’ Auszug der Deutschen gleich erkannt, welche Chance ihnen der weltbekannte Name Georgi Dimitrov bieten konnte, um dem Schicksal der Besiegten zu entgehen. Man erwartete von Dimitrov nicht mehr und nicht weniger, als daß er durdi seine Fürsprache bei Stalin und den noch nicht entzweiten Alliierten einen vorteilhaften Frieden schaffe. Deshalb wohl hat ihm Sofia einen so triumphalen Empfang bereitet. Andererseits aber tat auch Dimitrov das seine: ehe er in das Schloß einzog,/!ieß er demonstrativ die zierliche Umfassung mit ihren sauber geschmiedeten Portalen niederreißen, aus dem davorliegenden Park machte er einen Platz der Manifestationen, vom Balkon verkündete er der Menge das Bündnis mit dem brüderlichen Jugoslawien, zeigte er ihr wenige Monate später den legendären jugoslawischen Marschall Tito, bekräftigte er nach seiner Rückkehr von den Besuchen in Bukarest und Budapest den Anbruch einer neuen Ära. Ni aber war bei diesen Gelegenheiten zu übersehen, daß man auf dem schmalen Raum dieses Erkers einem zweiten Manne die weit größere Ehrerbietung bezeigte, dem Botschafter Stalins. Der rote Sowjetstern, den die Republik anstatt der Krone über das ährenumkränzte Löwenwappen setzte, ist gleichzeitig auch zum Rangabzeichen der Armee geworden, in der nicht mehr die Anrede „Herr”, sondern „Genosse” gilt. Dimitrov vermochte es zweifellos auch, das ermüdete Volk wieder mit Eifer zur Arbeit zu bringen, der in der Jugend am stärksten ist. Man konzentrierte sich auf einige vordringliche Objekte, eine zweite Kohlenbahn von Pernik nach Sofia, die Autostraße über den Balkankamm, die junge Industriestadt Dimitrovgrad bei Rakovski, die Elektrifizierung. Aber in der Hauptstadt selbst haben Mangel an Kapital und Baustoff eine Bautätigkeit gehemmt. Noch stiehen die grauenhaften Brandruinen um den Platz Swäta Nedelja, am Boulevard Dondukov, im Halbrund vor dem Sobranje. Aber nun wird endlich gebaut und die Nationalbibliothek, die ihre kostbaren Sammlungen aus Ostrumelien verlor, konnte schon den Neubau beziehen. Das Staatstheater wird vom Regime begünstigt, die Provinz erhielt Bühnen und Hochschulen außer in Swischtov auch in Plovdiv, Warna und Russe. Aber die ungeklärten Verhältnisse der etappenweise nationalisierten Wirtschaft lähmten die Initiative der Menschen, man hütete sich, Geld auch dort zu zeigen, wo man es wie seit je in Sofia im genossenschaftlichen Wohnungsbau, in den schönen „Kooperativen” anlegen könnte.

Und doch hat der alternde Agitator Dimitrov den Höhepunkt seines Ruhmes schon überschritten. Er enttäuschte, als die Pariser Konferenz nur einen belasteten Frieden und keinen Zugang zur Ägäis, zu Kavalla und Dedeagatsch brachte, und es ist ein Stachel, daß man den einzigen Landgewinn des Krieges, die 1940 von Rumänien abgetretene Süddobrudscha, den Deutschen verdanken muß. Viel schwerer können es die aufgeschlossenen Bulgaren verschmerzen, daß ein Ja für Dimitrov gleichzeitig ein Nein an die alten Freunde, vor allem in Frankreich, bedeutet, dessen Kultureinflüsse hier weit älter sind als die irgendeiner anderen europäischen Nation. Mit einem düsteren Aspekt aber betrachtet man heute das Bündnis mit Jugoslawien und die noch unklaren Pläne einer südslawischen Großmacht, weil inzwischen der Prozeß einer mazedonischen Separation vom bulgarischen Volkstum auf vollen Touren läuft. Selbst in Regierungskreisen verfolgt man mit Unbehagen die Tätigkeit der „Kommission für die mazedonische Staatssprache” in der benachbarten Volksrepublik, die nun schon die zweite radikale Angleidning des um Bitolja und Prilep gesprochenen bulgarischen Dialekts an das Serbische vorgenommen hat. Mehr noch, die kommunistischen Mazedonier nähren ziemlich unverhüllt ihre Aspirationen auf das bulgarische Pirin- mazedonien mit der Struma, das seit 1913 zu Bulgarien gehört. Der mazedonische Vizepräsident des Belgrader Parlaments, Dimiter Vlahov, hat sogar eine Propagandareise dorthin unternommen und in Gorna Dschumaja begeistert die „mazedonischen Brüder” apostrophiert, das mazedonische Staatstheater zu Skoplje hat kurz darauf in Südwestbulgarien eine Zweigbühne eröffnet. Es wird dem Regime auch eines Dimitrov schwer gemacht, diese anti- bulgarische Lösung der Mazedonienfrage, der Sinn von drei blutigen Kriegen, zu verteidigen, weshalb es mit einer lückenlosen Peinlichkeit jede Diskussion darüber erdrückt. Dieses Schweigen ist aber für Dimitrov gefährlicher als die gewaltsam auf ein Häuflein reduzierte parlamentarische Opposition, der er das Schicksal eines Petkov angedroht hat. Denn der von ihm so heftig umworbene Nachwuchs der Intelligenz passiert die Lehrsäle einer Universität, die noch immer den Namen eines mazedonischen Heiligen, des Klememc von Ochrid, trägt.

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