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Bulgarisches Karussell

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Die Anhänger der starken. Hand und der gründlichen Methoden können jetzt am bulgarischen Beispiel überzeugend darlegen, wie. sehr dię großen und die kleinen Stalins östlich des Eisernen Vorhangs — und noch mehr östlich des Eisernen Tors — recht hatten, wenn/sie als das einzig sichere Mittel, sich ihrer Gegner für immer zu entledigen, deren Beförderung in jenes unbekannte Land ansahen, aus dessen Bezirk kein Wanderer wiederkehrt. Trajtscho Kostov, der bulgarische Rajk, bedeutet für Vlko Tscher- venkov, den Sofioter Ex-Stalin, und — bis auf weiteres — Molotow, nur darum keine Gefahr, weil er durch Henkersknechte, als Verräter,-den Tod gefunden hat. Kostovs engste Freunde und Mitarbeiter aber stehen nun plötzlich wieder im Vordergrund, nachdem sie schon vor . einiger Zeit aus der Versenkung, aus der Verfemung wieder aufgetaucht waren. Und Tschervenkov, der lange allgewaltige Erbe des ihm verschwägerten Dimitrov, muß, seit dem letzten Regierungswechsel auf den bescheideneren s- und wie zahlreiche volksdemokratische Beispiele zeigen, stets gefährlichen — Posten eines stellvertretenden Ministerpäsidenten abgeschoben, zumindest um seine politische Existenz zittern. .

In Bulgarien spielen sich gegenwärtig Dinge ab, die in vieler Hinsicht mit den Vorgängen in Polen und in Ungarn zu vergleichen wären, bestünde nicht ein wesenhafter, entscheidender Unterschied: keine der zu Sofia um die Macht im Staate und in der herrschenden Partei ringenden Gruppen hegt gegenüber der Sowjetunion andere Gefühle als die der unerschütterlichen Anhänglichkeit. Das Wort Dimitrovs, die Freundschaft mit der Sowjetunion sei Bulgarien so nötig, wie jedem Lebewesen Sonne und Luft, entspricht — seiner poetischen Form entkleidet — der von allen bulgarischen Kommunisten und vielen ihrer nicht zur regierenden Partei gehörigen Landsleuten aufrichtig bejahten Staatsräson. Sonst gibt es jedoch eine ähnliche Situation innerhalb des Regimes wie derzeit in Werschau und in Budapest.

Im Schoße der kommunistischen Partei zeichnen sich drei Hauptströmungen ab, deren Exponenten untereinander bitter verfeindet sind und heftig miteinander rivalisieren. Als rechter Flügel sind die Titoisten anzusehen, die unter Stalin geächtet waren und deren Führer, wie Dobri Terpesev — der noch im Kabinett des bald gestorbenen unmittelbaren Nachfolgers Dimitrovs, Kolarov, einen Ministerposten innehatte —, Anfang 1950 sofort nach Tscher- venkovs Machtübernahme aus der Regierung und aus dem Politbüro ausgeschlossen wurde. Im Zentrum finden wir andere Ex-Titoisten, die zwar ebenfalls den Zorn Tschervenkovs und der echten Stalinisten auf sich zogen, die aber vorsichtiger operierten und die darum, nach 1953, schneller ein Comeback erlebten. Zu ihnen zählt vor allem der von Tschervenkov seinerzeit leidenschaftlich befehdete und ihm grimmig verhaßte Anton JugoV, der — während einiger Jahre ausgeschaltet — zuerst 1954 als Vizepremier neben dem, mit Zähneknirschen einem Befehl des Kremls gehorchenden Tschervenkov atmete und diesen am 17. April 1956 ablöste, ferner die beiden anderen stellvertretenden Ministerpräsidenten General Michajlov und Rajko Damjanov. - Mart hat diese Richtung mit dem im Bereich des Sowjetblöcks nicht sehr beliebten Ausdruck Nationalkommunisten bezeichnet. Das stimmt insofern, als es sich hier nicht um Anhänger einer gerade in Bulgarien vielen Widerständen begegnenden intimen Anlehnung an Jugoslawien dreht und als Jugov, zweifellos, bei aller Treue zum Sowjetbündnis die Besonderheiten und die innere Selbständigkeit seines Landes nachdrücklicher, auch im Kreml, betonen möchte, als das die Vertreter der dritten Richtung taten (und täten, wären sie noch am Ruder). Nun paßt aber augenblicklich dieser Nationalkommunismus, der keiner sein will und in vielem auch keiner ist, den Machthabern in Moskau in ihre weltumspannenden allgemeinen Konzeptionen besser als die blinde Unterwür(igkeit derer; die ohnedies mit dem Makel des — heißen wir es — Stalinismus, Dogmatismus, Personenkults behaftet sind. Und so haben sich Männer, die vordem zu den „Harten” gerechnet wurden, voran der jetzige Erste Sekretär Jivkov, rechtzeitig mit den Jugov und Rajko Damjanov auf einer Generallinie getroffen. Es ist leer rings um Tschervenkov geworden; noch schützt ihn das Prestige Dimitrovs, übers Grab hinaus.

Doch der Sturz Molotows, Kaganowitschs, Malenkows und Schepilows hat die Stalinisten und die Titqisten zugleich ihrer Rückhalte im Kreml beraubt. Im heurigen Februar schien Tschervenkovs Stern ein letztes Mal im Aufstieg. Damals begleiteten er, Georgi Tschankov, Georgi Trajkov, Rajko Damjanov, Jivkov und der Außenminister Karlo Lukanov den Ministerpräsidenten Jugov nach Moskau, unmittelbar nach einer Kabinettsumbildung, bei der die drei Erstgenannten — und noch General Michajlov — als Stellvertreter des Regierungschefs einander das Gleichgewicht hielten. Nun, nach dem Staatsstreich Chruschtschows von Ende Juni, begrüßte das Zentralkomitee der bulgarischen Kommunistenpartei die Beseitigung der sowjetischen Parteischädlinge, und in einer vier. Tage später, am 11. Juli begonnenen, am 12. Juli beendeten Session, folgte es dem russischen Beispiel. Nur daß in Sofia der führende Stalinist, aus den bereits erwähnten Ursachen, vorläufig verschont blieb, während sein, ihm an Bekanntheit zunächst kommende Gesinnungsgenosse Georgi Tschankov, Erster-stellvertretender Ministerpräsident und seit über einem Jahrzehnt ununterbrochen Mitglied der Regierung, ebenso: wie die Titoisten Terpėsev und Panov aus dem Zentralkomitee, der erste überdies aus dem Politbüro, ausgeschlossen wurden.

Die höchste Parteikörperschaft wird künftig aus elf, statt bisher neun Mitgliedern bestehen. In ihr dominieren, nach den auf der Julitagung erfolgten Neuberufungen, die Vertreter der mittleren Richtung. Ihr sind, außer dem Ersten Sekretär, mindestens zuzuweisen: die beiden an Einfluß zunehmenden bisherigen Politbüromänner Rajko Damjanov, nunmehr anstatt des abgesägten Jankov Erster Vizeministerpräsident, und Enco Staikov, dann die Neuerkorenen, Boris Taskov, eben zum Handelsminister ernannt, und Dimiter Ganey, allesamt Sekretäre des Zentralkomitees, und endlich eine höchst fesselnde Persönlichkeit, General Bulgaranov, der seinerzeit auf Begehren Tschervenkovs aus der Partei entfernt worden war und auf lange eit von der Bildfläche ebenso verschwand wie sein T a ’fdes. Jjisnun politisch; verscKojlene General Tfhov. Alle diese „Revenänts” hatten dem hingerichteten Kostov nahegestanden oder sie waren wenigstens dessen bezichtigt worden.

Die nächste Frage lautet, ob Jugov sich an der Spitze der Regierung behaupten kann; denn er teilt sich zwar mit den nun durchs politische Karussell wieder in den Vordergrund Gerückten in die Abneigung Tschervenkovs und der Stalinisten, doch er dürfte kaum auf besonders herzliche Sympathien so starker Persönlichkeiten stoßen wie Rajko Damjanov, die ihrerseits an den vordersten Platz gelangen wollen. K e i ne Frage ist dagegen, q,b Moskau die Veränderungen in Sofia billigt. Sofort nach Abschluß des Plenums des Zentralkomitees hat sich Jivkov nach Moskau begeben. Dort wurde er am 17. Juli von Chruschtschow besonders’herzlich empfangen, und am Folgetag setzte.er sich in einem der so proletarischen Ländhäuschen, die den Moskauer Größen nahe der Hauptstadt zur Verfügung stehen, mit den zufällig auf Erholung in der UdSSR weilenden jugoslawischen Vizeministerpräsidenten Kardelj und Rankovid zu einigen gemütlichen Plauderstündchen zusammen. Auch der albanische Kollege, Enver Hodscha, war anwesend; unter den väterlichen Augen Chruschtschows, den brüderlichen Aristovs, Beljaevs, Kuusinens, den schwesterlichen der Furceva wurden die kleinen und die großen Neckereien erörtert, die zwischen, denen, die einander nicht lieben, in Osteuropa üblich sind.-Jivkov traf mit den Belgrader Touristen nochmals, am 21. Juli, in Leningrad zusammen. Dann kehrte er- nach Bulgarien zurück. Er hatte den Segen Moskaus offenbar schon vor der Ausbootung- Tschankovs erbeten und ihn jetzt feierlich erhalten. Nicht zuletzt, weil er — weder als konsequenter Titoist der Treulosigkeit verdächtigt: noch- als konsequenter Stalinist- in Jugoslawien von vornherein zum Partner ungeeignet — unter der Aegide des Kremls und in dem von diesem vorumrissenen Rahmen eine völlige Versöhnung mit Tito vollziehen soll. Der Hinblick auf dieses Ziel war es, der nicht zuletzt den Meister des bulgarischen Karussells — nunmehr Chruschtschow — bewogen haben dürfte, jene Drehung zu verfügen, der die heute neuerlich nach vorne geratenen Figuren ihren Platz verdanken.

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