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Burgenländer als Schiedsrichter

Alte Leute im Burgenland wollen wissen, daß es hier seit langem kurz vor „Josefi“ einen so radikalen und späten Wiedereinbruch des Winters wie in diesem Jahr nicht gegeben hat. Deswegen auch die Sorge um die Saaten, die schon in den letzten Februartagen sich erwartungsvoll für die Märztage zurüsteten. „Märzenschnee tut den Früchten weh“ sagt eine alte Bauernregel. Sie zu widerlegen ist schwer, wenn wir auch im Zeitalter der Agrartechnik leben. In den letzten Wochen des burgenländischen Wahlkampfes befallen die soliden und gesunden Früchte der Landespolitik manche Frost- und Kälteerscheinungen. In den ersten Wochen des Wahlkampfes konnte man mit einer fairen politischen Auseinandersetzung rechnen. Nun kam überraschend ein „Frosteinbruch“ von der Bundespolitik her, der die Saaten der Landespolitik in Mitleidenschaft zieht. Das frostige Klima, das sich in Wien bei den Verhandlungen über die Regierungsbildung herauskristallisiert hat, bestimmt von Tag zu Tag mehr den burgenländischen Wahlkampf.

Die Landtagswahlen, die ursprünglich als Lentsch- und Bögl-Wahlen proklamiert wurden und im Zeichen der Landespolitik der Zukunft stehen sollten, entwickeln sich immer mehr zu Testwahlen für die Bundespolitik. Ob man nun diese Entwicklung des Landtagswahlkampfes positiv oder negativ beurteilt, man muß diese Tatsache als gegeben hinnehmen. Der Wahlkampf wurde in den letzten zwei Wochen hauptsächlich mit Problemen der Bundespolitik und mit Streitfragen, die bei der Regierungsbildung auftauchten, geführt. Es geht nunmehr um ein Votum für Klaus gegen Pittermann und Olah, oder gegen Klaus für Pittermann und Olah. Der pausenlose Einsatz von Bundespolitikern auf beiden Seiten beweist, daß man die burgenländischen Wähler vor die Alternative „Klaus oder Pittermann“ stellen möchte.

Klaus scheint derzeit bei dieser Auseinandersetzung in günstiger Offensive zu sein. Es hat bisher keinen Bundes- oder Landespolitiker der Volkspartei gegeben, der einen so intensiven und in die Breite gehenden Kontakt mit den burgenländischen Wählern aufgenommen hat. Die Versammlungsreden, die Landeshauptmann Lentsch infolge seiner Krankheit nicht abwickeln konnte, hat Dr. Klaus persönlich übernommen. Neben den Wahlversammlungen in den größten Ortschaften besuchte der designierte Bundeskanzler die lokalen Parteivorstände und Vertrauensleute und ermunterte'sie, im Wahleinsatz ihren Mann zu stellen und seine Zielsetzungen in der Partei selbst und auf dem Boden der Bundespolitik zu unterstützen. Außerdem gibt Doktor Klaus regionale Jungwählerempfänge, bei denen er sich den Jungwählern vorstellt und sein Programm vorlegt. Soviel jetzt schon beobachtet werden konnte, findet die Persönlichkeit des designierten Bundeskanzlers und sein sympathisches Auftreten überall eine gute Aufnahme.

Von SPÖ-Seite sind es vor allem Pittermann, Olah und Kreisky, die an der sozialistischen Wahlkampagne teilnehmen.

Die politische Lage im Lande selbst bietet einem unvoreingenommenen Beobachter folgendes Bild: Die alte Stammwählerschicht der Volkspartei unterliegt ohne Zweifel einem gewissen Schrumpfungsprozeß. Der bedürfnislose und um jeden Preis seit eh und je christlich-sozial wählende Klein- und Mittelbauer ist infolge des Strukturumbruches im Aussterben begriffen. Die SPÖ wieder hat mit den Auswirkungen des Massendenkens und , der Ideologiemüdigkeit der neuen Arbeiterschicht zu kämpfen. Es ist vor allem die junge Generation, die sich der ideologischen Atmosphäre und dem traditionellen Leben der sozialistischen Organisationen immer mehr entzieht. Es war auffallend im Wahlkampf, daß die Volkspartei sehr viele Jugendparlamente mit gutem Besuch durchführte, während die SPÖ mit solchen Veranstaltungen nicht an die Öffentlichkeit trat. Ferner ist die historische Wählerschicht der SPÖ, die sich aus den Massen der Bauarbeiter und Grünarbeiter rekrutierte, in Rückbildung begriffen. Die jungen Pendler drängen immer stärker zu einer systematischen Berufsausbildung und zum Facharbeiter und gewinnen dadurch mehr Selbständigkeit in ihrer politischen Haltung.

Es ist zu erwarten, daß sich der Wahlkampf infolge der Stagnierung der Regierungsbildung in den letzten Tagen verhärten wird. Die sozialistische Propaganda macht immer mehr Dr. Klaus und Esterhazy zum Ziel heftiger Angriffe. Man spricht von Klaus als einem Menschen, der skrupellos die Macht in der ÖVP ergriffen hat und nach Gefolgsleuten sucht, die nach seiner Pfeife tanzen. Er habe die Parteikrise in der ÖVP ausgelöst und diese Krise zur Regierungskrise ausgeweitet. Dr. Gorbach, Dr. Drimmel, Ing. Hartmann und Bundesrat Eckert werden als Zeugen angerufen, daß eine Regierung Klaus Verrat am Vermächtnis von Julius Raab üben werde. Von Dr. Esterhazy wird behauptet, daß er es sei, dem eigentlich das Burgenland gehört. Außerdem wollen die Sozialisten wissen, daß Esterhazy die ÖVP-Propaganda durch namhafte Geldbeträge unterstützt. Abgesehen davon, daß die letzte Behauptung gewiß jeder Grundlage entbehrt, muß man allerdings auch in Betracht ziehen, daß viele Burgenländer einen „Esterhazy-Kom-plex“ haben, den die sozialistische Propaganda wohlüberlegt mobilisieren will, um die Kleinbauern gegenüber der ÖVP wankelmütig und skeptisch zu machen. Was die Habsburgfrage auf Bundesebene ist, wird die Esterhazyfrage in der gegenwärtigen landespolitischen Auseinandersetzung.

Jedenfalls ist die Verwirrung für die burgenländischen Wähler groß genug. Eigentlich sind sie zu einer landespolitischen Entscheidung aufgerufen, die aber in der letzten Runde des Wahlkampfes nicht mehr gefragt ist. Sie sollen nun über die Bundespolitik befinden und die Rolle eines Schiedsrichters übernehmen.

Was aber dann, wenn der burgen-ländische Wähler, der bundespolitischen Parolen von links und rechts müde geworden oder gar verärgert darüber, daß ihn die Bundespolitik ganz okupieren möchte, sich mit seinem Stimmzettel in der Wahlzelle weder für die eine noch für die andere Alternative exponiert und dadurch in der Mandatsverteilung und im Stimmenanteil der beiden Parteien keine wesentliche Änderung eintritt? Auch die politische Entwicklung kann, an einem „Siedepunkt“ angelangt, umschlagen in passive Gleichgültigkeit und teilnahmslose Müdigkeit,

Manches deutet darauf hin, daß die letzte Phase des Wahlkampfes den burgenländischen Wähler in eine Zwangslage bringt. Ob er in dieser Situation sich doch umstimmen läßt, sein Votum nicht nach landespolitischen Gesichtspunkten abzugeben, um doch zum erwünschten Schiedsrichter über die gegenwärtige Bundespolitik zu werden, wird der Wahltag offenbaren. Die Anzeichen der letzten Tage des Wahlkampfes sprechen eher dafür, daß die burgenländischen Wähler auf Grund des konzentrierten bundespolitischen Trommelfeuers bei ihrer Stimmenabgabe mehr den Ballhausplatz als das Landhaus in Eisenstadt anvisieren werden. Entscheidet der Wähler nach landespolitischen Überlegungen, so rechnen Kenner der wahlpolitischen Situation damit, daß den Stuhl des Landeshauptmannes weiterhin die ÖVP besetzen wird, vorausgesetzt allerdings, daß die FPÖ keinen bedeutenden Stimmenzuzug zu ver-z> lehnen hat oder an die SPÖ Stimmen abgibt. Da die KPÖ wieder Kandidiert und die SPÖ in der Propaganda wegen ihres Augenzwinkerns mit der FPÖ und ihrer Absage, mit der KPÖ ein wahlpoliti-sches Arrangement zu treffen, hart attackiert, wird die SPÖ keinen Stimmenzuzug von ganz links erhalten. Dies hat sie auch nicht angestrebt.

Es ist schade, daß in der ganzen Auseinandersetzung das Burgenland selbst, das heißt die Entwicklungskonzepte beider Parteien für Österreichs östlichstes Bundesland, immer mehr eine Nebenrolle spielt.

Bei Wahlprognosen zeigen sich die entscheidenden Politiker beider Parteien sehr schweigsam und verraten meist einen taktischen Pessimismus. Die Optimisten in der Volkspartei rechnen allerdings mit dem 17. Mandat. Die SPÖ erwartet sich einen bedeutenden Stimmengewinn, ohne sich aber dabei zur Mandatsverteilung zu äußern. Man denkt auch an einen Wahlausgang, der die schwierige landespolitische Konstellation 15:15:2 bringen könnte. In diesem Fall wäre die bisherige Zusammenarbeit auf eine harte Probe gestellt. Dann wäre es notwendig, trotz der psychologischen Nachwirkungen des harten Wahlkampfes auf die Stimme der politischen Vernunft zu hören und die 19jährigepolitische Freundschaft nicht um das Linsenmus machtpolitischer Anwandlungen zu verkaufen.

Darum wäre es gut, noch in der letzten Phase des Wahlkampfes der Roten Katze Hausarrest zu geben und die Platte vom bösen Reformer Klaus und vom gefährlichen Marxisten Bögl nicht mehr aufzulegen. Je näher der Wahltag kommt, um so mehr sollte der Besonnenheit und der politischen Vernunft Raum gegeben werden. Es wäre zu wünschen, daß die Burgenländer ihrer angerufenen Schiedsrichterrolle nachkommen, daß sich ihr Votum auf die österreichische Innenpolitik klärend und entwirrend auswirkt und nach dem innenpolitischen Frost- und Schneewetter die Oster-sonne wieder aufgeht und neues Leben weckt

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