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Busdibrand in Angola

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Der 15. März 1961 wird in der Geschichte unserer Zeit wahrscheinlich einmal einen Platz einnehmen, wie der 1. November 1954, an dem der Aufstand des FLN in Algerien begann, oder der 4. Jänner 1959, an dem das Wirtschaftswunder des Belgischen Kongo durch den Aufruhr von Leo- poldville in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Was an diesem Tag in Angola geschah, hat ein Führer der Aufständischen, Holden Roberto, dem Korrespondenten der Pariser Zeitung „Le Monde”, Pierre de Vos, berichtet; und wir werden diesen Bericht schon deshalb benützen müssen, weil es für viele dieser Geschehnisse überlebende europäische Zeugen nicht gibt.

Holden Roberto, der seinen Vornamen einem amerikanischen protestantischen Missionär verdankt, ist der Führer der „Union der Völkerschaften Angolas” (Uniäo das Populäres de Angola), kurz UPA genannt, des Rückgrats der Insurgenten. Die UPA hätte, so erklärte Roberto, schon seit 1956 unter den schlechtbezahlten „Kontraktarbeitern” Streiks organisiert, und diese seien von portugiesischer Seite nicht selten mit der Liquidierung einer Anzahl herausgegriffener Rädelsführer beantwortet worden; so auch bei dem am 15. März ausgerufenen Generalstreik in Nordangola. Auf einer Kaffeeplantage unweit San Salvador vom Kongo, der „Fazenda da Primavera”, seien zwanzig afrikanische Arbeiter getötet worden. Die Folge sei ein lückenloses Massaker aller Portugiesen, einschließlich der Frauen untaKinderi gewbsdittL das • von dort aus auf weit t> Teile! Nordängolas übergcgriffen habe. Den Europäermassakern folgten wiederum kollektive . Gegenmaßnahmen: ganze Ortschaften seien umstellt und ihre Bewohner ohne Unterschied niedergemacht worden. Auch der Einsatz von Napalmbrandbomben wurde berichtet. In die nördlich benachbarten Gebiete der Kongorepublik ergoß sich ein Flüchtlingsstrom von mehreren zehntausend Afrikanern, tausende Europäer flüchteten nach dem Süden. Offiziell wurden bis Mai an getöteten Europäern 600 angegeben, ein Vielfaches dessen, was der Mau-Mau- Aufstand in Kenia an Opfern gefordert hat.

Seit dem 15. März 1961 herrscht so in Nordangola ein gnadenloser Krieg, bei dem die anfangs schwachen portugiesischen Streitkräfte zeitweilig weite Gebiete der Kontrolle der Aufständischen überlassen mußten. Auch an anderen Stellen, wie auf der Insel St. Paul de Luanda, nahe der Hauptstadt, flammten Unruhen auf. Während mit Beginn der Trockenperiode das Kampfgeschehen erst nachließ, setzte im Juli neuerlich verstärkte Guerillatätigkeit ein, die sich über die Südgrenze der portugiesischen Kongoprovinz bis in die Distrikte Luanda und Cuanza Norte erstrecken soll und unter anderem darauf abzielt, das Plantagengebiet um Carmona zu treffen, das 1960 noch 40 Prozent der gesamten Kaffeeproduktion von Angola aufbrachte. Für den Beginn der Regenzeit im September haben die Rebellenführer eine erneute Offensive angekündigt.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Aufständischen an verschiedenen Orten unglaubliche Grausamkeiten begangen haben. So sind in der Ortschaft Lovo, nahe der Kongogrenze, Europäer mittels einer dortigen mechanischen Säge zerstückelt worden. Der erwähnte Korrespondent der „Monde” berichtet über diesen Fall, zahlreiche Flüchtlinge hätten ihn in ihren Aussagen ausdrücklich bestätigt, aber auch Führer der Rebellen derartige Vorfälle keineswegs in Abrede gestellt, sondern erklärt, ihr Volk habe eben zuviel erduldi i müssen und zuviel Haß aufgespeichert. In einem

Atem berichtet de Vos über die offenbar ebenso wirklichen kollektiven Vergeltungsmaßnahmen...

Portugals Paternalismus

Der Ausbruch solcher Haßgefühle, der freilich kaum so „spontan” erfolgt ist, wie die Propaganda der Rebellen dies darstellt, könnte unverständlich scheinen, bedenkt man, daß Portugals Politik in Afrika seit jeher im Prinzip von Rassevörurteilen frei war und eine Rassenschranke, wie sie in den britischen und burischen Gebieten entstand, in den „Überseeprovinzen” Portugals niemals existierte. Auch in Angola besteht die Möglichkeit für Afrikaner, die christlich getauft sind, Portugiesisch in Wort und Schrift beherrschen und eine „europäische Lebensweise” annehmen, als „Assimilierte” portugiesische Vollbürger zu werden. Gegen 50.000, d. i. ein Prozent der fünf Millionen Bewohner Angolas, sind solche „Assimilados”. Dagegen unterliegen die übrigen Eingeborenen einer anderen Gesetzgebung. Auf sie findet nicht nur herkömmliches Stam- mesrecht, das das Abhauen einer Hand für Diebstahl einschließen kann, Anwendung, sie sind auch steuer- und militärdienstfrei und haben Anspruch auf kostenlose medizinische Betreuung. Allerdings gibt es in dem 1,2 Millionen Quadratkilometer großen Land nur 174 Ärzte, von denen 90 Prozent in den Städten ansässig sind. In den Spitälern und Schulen herrscht keine Rassentrennung, aber der Schulbesuch liegt bei 6,8 Prozent der Kinder im Schulalter, von denen vier Fünftel auf Europäer itaid Assimilierte entfallen. Etwä’40 Prozent werden noch von den Katechismusschulen der Missionen erfaßt, in denen in Eingeborenensprachen unterrichtet wird. Aber dieser Unterricht führt noch nicht zur Erlangung der staatsbürgerlichen Gleichstellung.

Nach der Sozialgesetzgebung sind die Arbeitgeber für Unterkunft, Bekleidung, Verpflegung u. ä. Verantwortlich. Die Nichtassimilierten müssen aber — ob sie nun Christen sind oder nicht — ein festes Arbeitsverhältnis oder die Bewirtschaftung von entsprechendem Eigenland nachweisen. Sonst unterliegen sie für sechs Monate im Jahr zwangsweiser Arbeitsvermittlung. So wurden 1954 in Angola neben etwa 400.000 freiwilligen fast ebensoviele zwangsvermittelte „Kontraktarbeiter” gezählt. Und Kontraktbruch wird strafrechtlich verfolgt.

Die Kritik an diesem System der Zwangsvermittlung von Arbeitskräften ist seit jeher überaus heftig gewesen. Der prominenteste portugiesische Oppositionelle des Jahres, Kapitän Enrique Galväo, dessen Handstreich gegen die „Santa Maria” die Welt eine Woche lang in Atem hielt und der selbst lange in der Verwaltung Angolas tätig war, hat es 1947 in einer Denkschrift gegeißelt. Die Gewohnheit der Siedler, sich bei Bedarf an Arbeits kräften an die Verwaltung zu wenden, die diesem unter Mißachtung aller gesetzlichen Vorschriften entspreche, habe Zustände geschaffen, die schlimmer seien als Sklaverei, schrieb Galväo: „Ein gekaufter Sklave wurde von seinem Eigentümer als Teil seines Kapitals gut gehalten, wie Nutzvieh. Heute wird der Eingeborene, gesetzlich ein freier Mann, von der Regierung ausgeliehen. Sein Herr muß sich daher viel weniger um ihn sorgen... denn er kann ersetzt werden. Einige

Arbeitgeber haben bis zu 3 5 Prozent ihrer Arbeitskräfte eingebüßt, aber das hat sie nicht um das Recht gebracht, neue zu erhalten.”

Es geht also nicht um die Beurteilung herrschender Arbeitscodes oder die Wirksamkeit der portugiesischen Sozialgesetze und Arbeitsinspektorate, sondern um ein Verhältnis zwischen portugiesischen Bürgern und Eingeborenen, das an das stolze Wort denken läßt: civis Romanus sum — mit allem, was darin mit eingeschlossen war. Die Institution der „contratados”, in denen liberale britische und amerikanische Autoren manchmal einfach ein verschleiertes Fortbestehen der Sklaverei sehen wollten, war offenbar nur ein Ausfluß dieser Gesinnung.

Opposition und Aufstand

In der weißen Bevölkerung, die durch forcierte Einwanderung in den letzten zehn Jahren stark angewachsen ist und heute zwischen 100.000 und 150.000 zählt, zuzüglich von mehr als 20.000 zumeist von den Kapverden stammenden Kreolen, war das oppo sitionelle Element immer stark vertreten. Die Polizei hat in den letzten Jahren “wiederholt nicht nur unter Afrikanern Verhaftungen vorgenommen, und die Hoffnung Galväos, von Angola aus einen Aufstand gegen die Regierung des Mutterlandes zu beginnen, war wahrscheinlich nicht unbegründet. Namentlich in Südangola existieren Konzentrationslager. Eine besondere Note haben die Aktionen der PIDE (Staatspolizei) gegen die Opposition durch die Verhaftung des Generalvikars der Erzdiözese Luanda, Msgr. Mendes das Neves, eines Kreolen, sowie anderer katholischer Priester erhalten. Portugiesischerseits sind im Zusammenhang mit den Berichten über die kollektiven Repressionen gegen der Sympathie mit den Aufständischen „verdächtige” Ortschaften, deren Opfer tatsächlich mit mehreren Zehntausenden angegeben worden sind, Vorwürfe gegen die amerikanischen und englischen protestantischen Missionen erhoben worden. Portugal war den protestantischen Missionen gegenüber als „ausländischen Unternehmen” schon seit jeher mißtrauisch und hat diese auch zeitweilig gewissen Einschränkungen unterworfen. Es war bereit, den Katho-

liken, deren Anzahl mit mehr als 1,5 Millionen in einem seltsamen Mißverhältnis zu den 50.000 Assimilierten steht, von Staats wegen eine Vorrangstellung zuzubilligen. Daß dieses Zweckbündnis aber nicht ausschließlich gute Früchte getragen hat zeigt der kürzlich von einem holländischen katholischen Wochenblatt erhobene Vorwurf, daß kirchliche Behörden in Angola Christianisierung mit „Portugalisierung” gleichsetzten, und die - Forderung eines französischen, katholischen Organs nach Entscn- Âf äpostolWftffiff Wsitätöte nach Angola.

Von den illegalen nationalistischen Bewegungen, die sich seit 1954 gebildet haben, gilt die UPA Holden Robertos alias José Gilmore, der einen engen Kontakt zu Kwame Nkrumah in Accra und auch zu Lumumba besaß, als die stärkste. Sie galt auch früher als weniger linksgerichtet als die MPLA (Befreiungsbewegung Ängolas) unter Mario de Andrade, der in Conakry residiert, mit der sie seit 1957 wiederholt erfolglos über eine Fusion verhandelt hat, die aber rein organisatorisch in Angola weniger Gewicht besitzt.

Die erschreckende Gleichartigkeit der Kampfmethoden der UPA mit denen der „Union der Völkerschaften Kameruns” (UPC), deren Guerillakrieg gegen die französische Mandatsmacht und später die „neokolonialistische” afrikanische Regierung keine rein zufällige Namensverwandtschaft anzeigt, reicht bis zu Angriffsunternehmen unter Rauschgifteinwirkung, die die Exzesse erklärt, und zur Organisation in kleinen Zellen nach Muster der KP-Sabotagetrupps. Die geschickte Führung des Partisanenkrieges läßt die Mitwirkung im Ausland geschulter Führungskräfte nicht unbegründet annehmen. Den Kern der UPA-Organi- sation bildeten die rund 60.000 im vormals belgischen Kongogebiet lebenden Angolaner, unter denen die Auslandszentrale in Leopoldville eine schlagkräftige, disziplinierte Organisation’aufbauen konnte.

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