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Casaroli auf großer Fahrt

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„Ein wunderbares kirchliches Leben in allen sozialen Schichten und Altersstufen, bei Kindern wie bei Studenten, bei Arbeitern wie bei Angestellten!“ Das war das Fazit, das der päpstliche Unterstaatssekretär Agostino Casaroli nach der ersten Etappe seiner Polenrundreise zog. Sie hatte sieben der 25 polnischen Diözesen gegolten, vor allem im Süden des Lande^Näch einem Zwischenbericht in Rom setzt der Diplomat des Vatikans nun seine Rekognoszierung dn Westpolen fort, besonders in den Oder-Neisse-Gebieten: in Breslau, Oppeln und Landsberg an der Warthe (Gorzöw) prüft er die Möglichkeiten, den Polen im heikelsten Punkt entgegenzukommen. Bezeichnend ist, daß Stettin auf Casa-rolis Reiseprogramm steht — als einzige Stadt, in der kein Bischof residiert. Denn Stettin gehört zum Verwaltungsbezirk der Diözese Gorzöw, mit mehr als zwei Millionen Gläubigen gegenwärtig die größte in Europa, deren Gebiet formal noch zur Diözese Berlin und zur einstigen Freien Prälatur Schneidemühl gehört. Eine plötzliche Romreise und Papstaudienz des in Ost-Berlin residierenden Erzbischofs Bengsch am 27. Februar hängt mit Überlegungen des Vatikans zusammen, im polnischen Stettin einen Bischof — und sei es nur als Administrator — einzusetzen, um mit dem. pastoralen Zweck auch eine politische Geste zu verbinden. Sie würde nicht nur Polen, sondern auch der DDR gelten.

Cassroli, der alle diese Möglichkeiten prüfen soll, hat beim begeisterten Fazit seiner ersten drei Reisewochen freilich den Umstand verschwiegen^ daß er nicht nur beim polnischen Kardinal, sondern auch bei nicht wenigen hohen Klerikern auf starke Bedenken gegen ein Abkommen zwischen Warschau und dem Vatikan stieß. Es erwächst — zumal beim Primas — teils aus dem grundsätzlichen Argwohn gegenüber dem staatlichen Vertragspartner, teils auch aus der Abneigung, den gegenwärtigen kirchlichen „Status quo“ zu zementieren. Casaroli, der sich überall leutselig zeigt (in der Katholischen Universität Lublin hielt er sogar „Sprechstunde“ für Studenten), suchte deshalb Kontakt zu katholischen Laien, die seit langem auf einen neuen „Modus vivendi“ hinarbeiten. Bei einem Essen, das der verständigungsfreundliche Erzbischof Wojtyla in Krakau für Casaroli gab, hatte dieser Gelegenheit zu einer langen Aussprache mit dem Vorsitzenden der Abgeordnetengruppe .. „Znak“, Stanislaw Stomma. Am 5. März, dem Tag vor der Abreise zum Zwischenbericht in Rom, empfing Casaroli im Gebäude der ehemaligen Nuntiatur in Warschau sogar den umstrittenen Chef der Linksexteemen Pax-Gruppe, Boleslaw Piasecki, zu einem Gespräch, das drei Stunden gedauert haben soll und auf Bitte Piaseckiis zustande kam. Mißvergnügen im Kardinalspalais erzeugte Casaroli auch, als er kurz zuvor mit dem ebenfalls sehr regierungshörigen Abgeordneten Frankowski, dem Chef der „Christlich-Sozialen Gesellschaft“, sprach.

Bei allen Begegnungen beschränkte sich der vatikanische Diplomat fast ausschließlich auf Fragen, freilich nicht ohne Hinweis darauf, wie froh er sei, sich unbehelligt umsehen zu können. Mit der Regierung, die sich ruhig-abwartend verhalt (auch weil sie selbst nocn keine klare Konzeption besitzt) will Caseroli erst am Ende seiner Reise Kontakt suchen. Eine erste vertrauliche Fühlungnahme mit Andrzej Werblau, dem Leiter der Kultur-abteilung im Zentralkomitee der Kommunisten, hatte er bei einem Blitzbesuch im Spätherbst letzten Jahres. Unterstützung findet Caseroli bei seinen Bemühungen auch beim Breslauer Erzbischof Kominefc, der sich auf der Rückreise von Rom am 2. März in Belgrad beim päpstlichen Delegaten Cagna informierte, wie sich das Abkommen mit Jugoslawien bewährt.

Die Sondierungen werden gewiß noch Monate, wenn nicht länger, dauern. Der Rombesuch des polnischen Staatsratspräsidenten Ochab am 6. April wird die Entwicklung fördern, falls — was noch nicht gewiß ist — sein Besuch beim Papst zustande kommt. Ochab steht den Problemen nicht fern: seine Unterschrift trägt das formal bis heute gültige, von Pius XII. kritisierte urfd seitdem von beiden Partnern durchlöcherte Abkommen zwischen Kirche und Staat, zu dem sich Wyszynski 1950 bereit fand. (Ochab war damals als Vizeverteidigungsminister Mitglied der Gemischten Kommissdon.) Seitdem sind nicht nur 17 Jahre vergangen. Der Vatikan war 1950 nicht im Spiel. Wenn er heute die polnische Kirchenpolitik inmitten einer sich wandelnden europäischen Szenerie jedoch in die Hand nimmt, so will Wyszynski nicht im Wege stehen...

Die Ostpolitik des Vatikans bleibt in Bewegung. Während der vatikanische Unterstaaitssekretiär Caseroli die zweite Etappe seiner viel-wöchigen Rundreise durch Polen begann, reist sein Vertreter Bongianino dufch Ungarn. Bongianino war schon vor drei Jahren Casarolis rechte Hand beim Abschluß des Teilabkom-mens in Budapest. Damals war es gelungen, wenigstens alle ungarischen Diözesen mit Bischöfen zu besetzen, wenn auch nicht mit ordentlichen Residentialbischöfen, sondern teilweise nur mit Administratoren. Von diesen haben nun fünf das 75. Lebensjahr überschritten und Rücktrittsgesuche an den Papst gerichtet, darunter auch Erzbischof HamvaS, der Vorsitzende der Bischoi'skonferenz, der seit Jahren ein besonders gutes (manche meinen: allzu gutes) Verhältnis zum Staat pflegte. Auch' Kardinal Mindszenty, der seit mehr als zehn Jahren in der amerikanischen Botschaft sitzt, erreicht Ende dieses Monats die vom Papst festgelegte Altersgrenze, die Rücktrittsmöglichkeiten gibt. Für Budapest wie für Rom sind dadurch Probleme entstanden; für den Vatikan besonders, weil er den Erfolg des vor drei Jahren abgeschlossenen Abkommens nur sehr knapp positiv bewertet. Es geht jetzt also um neue Regelungen, die Casarolis Vertreter auskundschaften soll. Die vatikanische Diplomatie will sich nicht mehr wie damals direkt vom Flugplatz zum Verhandlungstisch'begeben, sie will vielmehr die Lage der Kirche und des Episkopats erst genau studieren — so wie es jetzt Casaroli in Polen tut

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