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China in die UNO?

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Frage: Welche Vorteile verspricht ;lch Ihre Regierung für die UN von ler Aufnahme Rotchinas?

Antwort: Wir sind für die Universalität der UN und halten es für un-ealistisch, eine Regierung, die seit ahrzehnten zweifellos ihr Land unter (ontrolle hält, auszuschließen, weil vir mit ihrem System nicht einverstanden sind. — Die Frage ist ja gar licht die, ob China aufgenommen Verden will oder aufgenommen werden toll. China ist vielmehr seit der Grün-lung Mitglied der UN, und es fragt ;ich nur, wer es bei der UN vertreten toll; die Regierung, die keine Kontrolle iber China hat, oder jene, die seit 13 Jahren eine unbestrittene Kontrolle »usübt.

Frage: Anerkennen Sie also keint Regierung im Exil?

Antwort: Nur unter gewissen Umständen. Wenn im Krieg ein Land von ;iner fremden Macht besetzt ist und leine Regierung ins Ausland entkommt.

Frage: Gerade das ist aber der Standpunkt der Regierung, die sich lach Formosa flüchten mußte. Welches Kusmaß von Hoffnung und welchen Zeitraum geben Sie einer Regierung m Exil — sechs Jahre, wie zwischen 1939 und 1945, oder 13 Jahre?

Antwort: Kein Zeitraum ist entscheidend. Jeder Fall muß nach den Umständen beurteilt werden. Der Unterschied in China liegt darin, daß :s von keiner fremden Macht besetzt wurde.

Frage: Gibt es keine anderen Bedingungen für die Aufnahme als die Kontrolle über Land und Volk, unabhängig von den angewandten Mitteln, nie daß das Land „friedliebend“ sein md das Völkerrecht zu beobachten fähig und willig sein muß?

Antwort: Es ist schwer festzustellen, was Völkerrecht ist, und nur wenige Länder wären bereit, die Ansicht einer internationalen Instanz einschließlich des Haager Gerichtshofes darüber als für sie bindend anzusehen. De facto sind aber diese Qualifikationen in vielen Fällen schon längst fallengelassen worden.

Frage: Schließt es nicht die Aufnahme eines Staates aus, wenn es sich im Krieg mit einem Mitgliede befindet?

Antwort: Man kann den Kampl zwischen China und Formosa doch nicht einen Krieg im Sinne des Völkerrechts nennen, sondern eher einen Bürgerkrieg.

Frage;- Damit würde doch der Standpunkt beider Teile über die Einheit des Gebietes anerkannt, dehn ein Bürgerkrieg ist doch nur innerhalb der Grenzen eines Landes denkbar. Aber ist es nicht auch ein Grund gegen die Aufnahme einer Regierung, wenn sie die Menschenrechte grundsätzlich nicht anerkennt?

Antwort: Wenn die Beobachtung der Menschenrechte zur Bedingung gemacht würde, würden die UN manche Mitglieder verlieren.

Frage: Es ist aber doch ein Unterschied zwischen Regierungen, die ihr Möglichstes zum Schutz der Menschenrechte tun, wenn auch nicht immer mit Erfolg, und solchen, welche sie grundsätzlich nicht anerkennen.

Antwort: Es hat noch niemand den Ausschluß von Saudi-Arabien oder Jemen verlangt, weil sie ganz offiziell Sklaverei und Sklavenhandel als Bestandteil ihres wirtschaftlichen Systems ansehen.

Frage: Gehören aber solche Staaten in die UN?

Antwort: Die Frage ist die, ob ihr System eher verbessert wird, wenn sie innerhalb oder außerhalb der UN sind.

Frage: Hätte demnach Ihre Regierung für die Aufnahme Nazi-Deutschlands in die UN gestimmt?

Antwort: Diese Frage ist sehr verfänglich. Immerhin kann man das System Chinas nicht mit dem des Nazismus vergleichen. ■' ^Mgej. Es werden sich dock»vm& 'auch bei anderen Mitgliedern der UN, grundsätzliche Ähnlichkeiten finden lassen. Ist also Ihre Regierung für die Aufnahme jedes Staates ohne Rücksicht auf dessen Struktur, seine Beobachtung des Völkerrechts außerhalb und der Menschenrechte innerhalb desselben?

Antwort: Eine so allgemeine Frage möchte ich nicht beantworten. Es kommt immer auf den konkreten Fall an.

Frage: Würde die Aufnahme Rotchinas sich nicht auf die UN verheerend auswirken und deren Verfall beschleunigen?

Antwort: Das kommt darauf an, ob China den Zerfall der UN in seinem Interesse liegend betrachten würde. Sowjetrußland geht auch nicht auf die Zerstörung der UN aus, sondern auf deren Benützung für seine Zwecke, und das tut schließlich jedes Mitglied.

Frage: Widerspricht es nicht dem Geiste der Satzung, daß die Mitglieder die Organisation ihren Sonderzwecken dienstbar machen, statt gemeinsam für die Ziele der Organisation zu wirken? Muß nicht jede Organisation an einer solchen Wirkung wider-strebeder Tendenzen zugrunde gehen?

Antwort: Man kann nicht in die Zukunft sehen, aber bis jetzt ist die Basis der UN immer breiter geworden, und es ist besser, wenn mehr Staaten innerhalb als außerhalb derselben stehen.

Die restlichen Probleme

Was ist an diesen, teilweise theoretisch bestechend scheinenden Ansichten so problematisch?

1. Bei Aufnahme von Mitgliedern seien die charakteristischen Bedingungen der Satzung außer acht zu lassen, weil sie schon lange nicht mehr ernst genommen werden.

Nach Artikel 4 dürften nur solche Staaten aufgenommen werden, welche „friedliebend sind, die Verpflichtungen der Satzung annehmen und nach dem Urteil der Organisation fähig und willig sind, sie auszuführen“. Bei Rotchina kann gar keine Rede davon sein, daß es diese Bedingungen erfüllt. Im Gegensatz zu Art. 2/3 und 33/l verwirft es grundsätzlich „friedliche Mittel“, setzt sich damit — theoretisch — sogar in Gegensatz zu Sowjetrußland, hat entgegen Artikel 2/4 schon Gewalt gegen zwei Mitglieder, Formosa und Indien, angewendet und andere Länder, wie Algerien und Kuba, unterstützt.

2. Das gleiche gilt für die Mitgliedschaft von Staaten, die die Menschenrechte mißachten. Schutz dieser Rechte ebenso wie die Unterlassung des Gruppenmordes ist eben nicht mehr eine interne Angelegenheit nach Art. 2/7. Es ist vielmehr — auf dem Papier! —

allseitig “anerkannt, 'daß“ däMgh nach Art. 34 „internationaler Friede und Sicherheit“ gefährdet werden.

3. Rotchina führe gegen Formosa keinen Krieg. Genügt es, ein Gebiet für sich in Anspruch zu nehmen — wie es Indien in Kaschmir, Indonesien in Neuguinea, Rotchina in Nordindien tun —, um Angriffen mit Kanonen und Flugzeugen, die Menschenopfer fordern, die Charakterisierung als Krieg zu nehmen? Aber „friedliebend“ kann man Staaten, die so handeln, bei aller wohlwollenden Streckung der Begriffe nicht nennen.

4. Warum kann das System Rotchinas, vom Standpunkt der UN gesehen, nicht mit dem des Nazismus verglichen werden? Gewisse Gruppen sind mit den brutalsten Mitteln verfolgt, geknechtet und ausgerottet worden. Ob das unter dem Schlagwort der Abstammung oder der Kaste geschieht, ob es mehr oder weniger raffiniert organisiert wird, ist vom Standpunkt des verbotenen Vernichrungskampfes gegen eine Gruppe unwesentlich.

5. Von der „Aufnahme von China“ (Rotchina) wird so leichthin gesprochen, obwohl sie ohne Erschütterung der Grundlagen der UN unmöglich ist. Nach Art. 4/2 ist sie gegen das Veto einer der fünf Großmächte im Sicherheitsrat unzulässig, zu denen China (Formosa) unbestritten gehört. Selbst wenn die Vereinigten Staaten es nicht einlegen sollten, so würde China es zweifellos tun. Es wollte schon gegen die Aufnahme der Mongolei Veto einlegen, wurde aber bestürmt, davon abzustehen, weil dies seine Stellung bei den UN erschüttern könnte. Bei der Aufnahme Rotchinas würde aber jede Hemmung wegfallen. Dann stünden die UN vor der Wahl, dieses Veto zu respektieren oder die Satzung zu brechen, notfalls China (Formosa) auszuschließen, was wiederum gegen dessen Veto unmöglich ist.

6. Ist die chinesische Regierung in Formosa eine Exilregierung? Mindestens so sehr wie die Norwegens, der Tschechoslowakei und Polens es während des Weltkrieges waren, die teilweise gar kein Gebiet ihrer Staaten kontrollierten.

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