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Christentum und technische Zivilisation

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Genau vor einem Jahr war es: da besuchte uns E. K. Winter wieder einmal in der Redaktion. Er kam mit dem Vorschlag zu einer neuen Artikelserie, die sich mit der Frage „Christentum und technische Zivilisation“ befassen sollte. Die Adventzeit schien ihm der beste Zeitpunkt für eine solche Gewissenserforschung. Ein Aufsatz entstand — aber E. K. Winter zögerte mit der Vollendung der Artikelserie. Er wollte die geistige Entwicklung des neuen Pontifikats noch etwas abwarten. Am 4. Februar 1959 nahm der Tod E. K. Winter die Feder für immer aus der Hand. Im Nachlaß fand sich aber vor kurzem der für die „Furche“ bestimmte Anfang der geplanten Artikelfolge, ln ihm ist eine letzte Selbstdarstellung des Denkens und Wollens dieses bedeutenden Oesterreichers enthalten: seine Sorgen um ein richtiges, geistig und geistlich richtiges Engagement des Christen in der Welt, in der Wahrnehmung seiner großen Mitverantwortung für die technische Zivilisation, die Verwendung der Atomenergie, nicht zuletzt die Eroberung des Weltraumes (Ernst Karl Winter starb bekanntlich vor der Erreichung des Mondes durch Menschenmacht). So stellt dieser letzte Aufsatz selbst als Torso ein Dokument dar, das unseren Lesern und unserer Zeit als Bitte, Mahnung und Einladung zu selbständiger Besinnung — eine Stimme, die nicht erloschen ist — vorgestellt zu werden verdient. Die Redaktion

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Genau vor einem Jahr war es: da besuchte uns E. K. Winter wieder einmal in der Redaktion. Er kam mit dem Vorschlag zu einer neuen Artikelserie, die sich mit der Frage „Christentum und technische Zivilisation“ befassen sollte. Die Adventzeit schien ihm der beste Zeitpunkt für eine solche Gewissenserforschung. Ein Aufsatz entstand — aber E. K. Winter zögerte mit der Vollendung der Artikelserie. Er wollte die geistige Entwicklung des neuen Pontifikats noch etwas abwarten. Am 4. Februar 1959 nahm der Tod E. K. Winter die Feder für immer aus der Hand. Im Nachlaß fand sich aber vor kurzem der für die „Furche“ bestimmte Anfang der geplanten Artikelfolge, ln ihm ist eine letzte Selbstdarstellung des Denkens und Wollens dieses bedeutenden Oesterreichers enthalten: seine Sorgen um ein richtiges, geistig und geistlich richtiges Engagement des Christen in der Welt, in der Wahrnehmung seiner großen Mitverantwortung für die technische Zivilisation, die Verwendung der Atomenergie, nicht zuletzt die Eroberung des Weltraumes (Ernst Karl Winter starb bekanntlich vor der Erreichung des Mondes durch Menschenmacht). So stellt dieser letzte Aufsatz selbst als Torso ein Dokument dar, das unseren Lesern und unserer Zeit als Bitte, Mahnung und Einladung zu selbständiger Besinnung — eine Stimme, die nicht erloschen ist — vorgestellt zu werden verdient. Die Redaktion

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Die ansteigenden Gefahren der technischen Zivilisation, die in Motorisierung, Chemismus, Automatisierung, Atomentwicklung für Krieg und Frieden ein schwer differenzierbares Ganzes darstellen, haben zu wachsender innerzivilisatorischer Kritik, also Selbsterkenntnis geistiger Kräfte geführt, die keine bloße Maschinenstürmerei ist . Diese Selbstbestimmung müßte noch viel mehr, als es bisher geschieht, auch eine innerchristliche werden, die von den katholischen geistigen Kräften mit vollem Bewußtsein aufgenommen wird, nachdem hier vielleicht die Frage von Sein oder Nichtsein unserer Zivilisation auf lange Sicht gestellt wird, mehr als bloß in der Ausschüttung von Radioaktivität in den Atomexperimenten oder in der Umstellung der Atomproduktion von Krieg auf Frieden. Das christliche Interesse an dieser Selbstbesinnung geht freilich weit über die bloße Existenzfrage hinaus: es betrifft die Behauptung, daß die technische Entwicklung eine zwangsläufige ist, und die Gegenbehauptung, daß sie vor allem entscheidend durch bewußte Zivilisationsaskese aus metaphysischen Motiven zu beherrschen ist.

Das Christentum ist immer schon an die Welt in einem Doppelaspekt herangetreten, dessen greifbarste Symbolik die beiden höchsten, voneinander unabhängigen Autoritäten ¿er menschlichen Geschichte, Kirche und Staat (Leo XIII.), vor Augen führen. In meiner Jugend pflegte der österreichische Benediktiner und Aristokrat Konstantin Hohenlohe-Schillingfürst in seinen theologischen Vorlesungen, die damals auch von Laien als Zaungäste hesucjit wurden, davon zu sprechen, daß in diesem Dualismus die höchste Errungenschaft des Christentums in der Geschichte liege. Um die gleiche Zeit entstand auch in dieser Jugend geradezu eine Wiener Schule, die den „Methodendualismus“ lehrte; es waren im Vorjahr 30 Jahre, daß sie ihr politisches Manifest, „Die österreichische Aktion“, unter dem Motto „Rechts stehen und links denken“ herausbrachte, und es wird nächstes Jahr ebenso viele Jahre sein, daß ihr damals grundlegendes erstes wissenschaftliches Werk, „Die Sozialmetaphysik der Scholastik" erschien, meine erste (erfolglose) Habilitationsschrift unter mehreren (die in einem Jahrzehnt und darüber folgten). Zum Beweis, daß in diesen 30 Jahren auch in der Emigration ohne heimische akademische Position im gleichen Sinne weitergearbeitet wurde, erschien anläßlich meines ersten Wiener Aufenthaltes „Christentum und Zivilisation“ (1956 57, Amandus-Verlag). In derselben Linie liegen auch die beiden Glossen in A. M. Knolls „Aufbruch" („Ist die Atombombe naturrechtlich erlaubt?" und „Moraltheologie und Atombombe“ im September- und Oktoberheft 1958).

Der oben erwähnte Doppelaspekt des Christentums, der Kirche und der Theologie, gegenüber der Zivilisation und ihren Problemen ist derjenige der Seelsorge in dieser Zeit und in dieser Welt, hic et nunc, die sich primär um die Seele, nicht den Leib des Einzelmenschen, nicht der Gesellschaft, sorgt, und zwar in dieser gegebenen Welt für eine andere, höhere, und der Weltgestaltung, der Veränderung des Antlitzes der Erde in Christus und dem Heiligen Geist (denn andere Namen, die gesetzt waren, gibt es nicht für den Christen auch in der Welt), somit der Verwirklichung des Christentums in der Gesellschaft, in der Geschichte, in der Kette der Generationen, in der Zivilisation. Das letztere geschieht nicht ganz von selbst durch das erstere, sondern nur durch eine besonders bewußte Veranstaltung der dazu Berufenen. In der Geschichte von zwei Jahrtausenden entstanden aus diesem Doppelaspekt immer wieder die beiden Stände, eben die christliche Kirche und der christliche Staat, beide innerhalb der christlichen Zivili-

Siehe meine beiden Studien: „Vom Industrialismus zur Qualitätswirtschaft" und „Die Qualitätswirtschaft im Atomzeitalter" in „Arbeit und Wirtschaft", September- und Oktoberheft 1958

sation, der Christenheit, die sich zum Christentum verhält wie die Kirche Gottes auf, über, unter der Erde zum Reich Gottes allein auf dieser Erde. In Krisenzeiten der Weltgeschichte jedoch hat diese saubere Zweiteilung stets etwas geschwankt, indem das gesamte Christentum, Klerus und Laien, historische Umstellungen vollziehen mußten, in denen sich die traditionelle Anpassung an eine gegebene konservative Ord nung veränderte: an das Imperium Romanum, west- oder oströmisch, an die Monarchie, feudal oder absolut, an die moderne Demokratie, revolutionärer oder konstitutionell. In ein m Zeitalter, in dem eine solche atmosphärische Umschaltung notwendig wird, müssen die christlichen Kräfte in Kirche und Staat gemeinsam aus christlichen Motiven, nicht aus bloßem Pragmatismus nach neuen Formeln des Zusammenlebens suchen.

In einem solchen Zeitalter stehen wir auch heute, nur betrifft es nicht mehr bloß die politischen, ökonomischen, kulturellen Formen einer sonst gesicherten Gesamtordnung, sondern die Existenzgrundlagen unserer Zivilisation, deren letztes Symbol heute einprägsamer als früher einmal in der Technik liegt, der wir uns bedienen oder doch bedienen sollten, die sich jedoch in Wahrheit längst unser, der Eirüzel- menschen und ihrer Seele, für ihre ganzheitlichen Zwecke bedient, die einen fast magischen Charakter angenommen haben. Dieser Primat der Technik, zu deren bloßer Funktion alle anderen Fragen des Staates, der Gesellschaft, der Wirtschaft, ja selbst des Geistes und der Religion herabgesunken sind, ist ein pathologisches Phänomen ohnegleichen. Natürlich gab es und gibt es noch immer heroische Einzelmenschen, die auch der Technik ihres Zeitalters (sagen wir: der Verhütungstechnik in der Ehe, der Ausbeutungstechnik in der Wirtschaft, der Atomtechnik in Vorbereitung auf den Vernichtungskrieg) ins Angesicht widerstehen. Es werden auch immer wieder solche Einzelmenschen sich aus der Massa dammata der Durchschnittsmenschen losringen, solange das Christentum lebt und lehrt. Aber die große Masse aller Völker (und wer von uns gehört nicht in diesem oder jenem Punkt auch zu ihr?) wird immer den vorherrschenden Gesetzen des Zeitalters folgen, die für sie zwangsläufig sind. Besteht diese Zwangsläufigkeit des Technischen auch für das Christentum als solches und wie weit besteht sie nicht? Diese Gefahr vor allem muß das Christentum, müssen Theologen und Laien-

wissenschaftler erkennen, um dagegen vorzusorgen. Wie kann jene Zwangsläufigkeit, wenn sie besteht, gebrochen werden?

Dabei kann es sich keineswegs um ein fertiges scholastisches Programm handeln. Kein Kritiker der heutigen Situation weiß ernsthaft, wie der Kampf weitergehen wird, was alles noch wird vorgesorgt werden müssen, wie eigentlich der sicherste Widerstand geleistet werden soll, der zu einem neuen Aufbau auf anderer Grundlage führt. Sicher ist nur, daß beide, die Kirche Gottes und das Reich Gottes, soweit sie noch in dieser Welt von heute aus der christlichen Vergangenheit vorhanden und wirksam sind (was in Rußland und Amerika, den beiden konsequentesten Idealtypen der vom Christentum abgewandten modernen Zivilisation, auf ein Minimum gesunken ist), auf kritischer Linie zu neuen Ideen und neuen Aktionen kommen werden, wenn sie ihre zeitgemäße Aufgabe erfassen wollen.

Die Stellungnahme von Kirche und Theologie zur Technik war bisher eine kulturell-optimistische. Das hat keineswegs den Erfolg einer Verchristlichung der Technik gezeitigt. Deshalb soll hier nun gewiß nicht eine schlechthin kulturpessimistische Auffassung vertreten werden. Man wird nur auf theologischer Seite das ganze Problem neu durchdenken müssen: von der Präventiv- bis zur Atomtechnik. Die bisher vorherrschende Lehre, daß jede technische Erfindung, eben weil sie existiert und „funktioniert“, auch „gut“ ist, ein geistiger Fortschritt, den man daher bejahen muß, und daß nur der schlechte Gebrauch durch den Menschen sie „böse" macht, kann heute leicht als naiver Pelagianismus diagnostiziert werden. Die bloße Anwendung dieser Theorie, zumindest auf die Atom bombe, führt sie ad absurdum. Ich zögere jedoch nicht, sie ebenso auch bereits durch die Atomkraft widerlegt zu sehen, die zwar gewiß in abstracto eine Naturkraft ist, deren Erkenntnisse dem Menschen aufgegeben sind, die aber in concreto durch ihre Entfesselung für Kriegszwecke nichts anderes beinhaltet als eben die Entwicklung der Atomtechnik für die Erzeugung der Atombombe. Die für den Krieg historisch entdeckte Atomkraft ist etwas anderes als die dem Menschen für den Frieden aufgegebene Atomkraft, und er wird noch in reichlichem Ausmaß entdecken, daß die letztere aus der ersteren keineswegs durch die bloße Substraktion oder gar durch den guten Willen allein gewonnen werden kann. Das entscheidende Problem ist daher zweifellos dasjenige der geistigen Erkenntnis: moralische Erlaubtheit der Atombombe, naturrechtliche Atomverteidigung (atomtechnisch nur durch den Atompräventivkrieg möglich) oder moraltheologische Verneinung des modernen Krieges überhaupt, ethische Kritik an der Atomkraft überhaupt, wie sie der kriegerische Mensch entdeckt hat und allein gebrauchen kann. Ganz dieselbe Ueber- legung gilt auch für andere technische Bereiche (am einleuchtendsten für die sogenannte Instru- mentalität der Präventivtechnik), nicht zuletzt für die sogenannte „Weltraumeroberung“, die auch an sich scheinbar eine Erweiterung des menschlichen Wissens und der menschlichen Möglichkeit bedeutet, „die Erde zu gestalten", die jedoch in Wirklichkeit, wie schon ihr gefährliches Epitheton besagt, eine Eroberung ist: die weltraummäßige Verstärkung der imperialistischen Zielsetzung, die auf Herrschaft der einen Hemisphäre über die andere ausgeht. Das aber ist auch in den technischen Mitteln „vom Bösen". Selbstverteidigung durch Atomwaffen und durch Weltraumeroberung ist Nonsens.

Damit kommen wir zur aktuellsten Grundforderung für alle Geisteswissenschaften, die es heute geben kann: Herausstellung aller das menschliche Zusammenleben in unserer Zivilisation untergrabender technischer Mittel — Unterscheidung der Geister, der positiven von der negativen Technik —, gesellschaftliche Maßnahmen der organisierten Volks- und Völkergemeinschaft gegen die selbstmörderischen Formen der Technik. Darin liegt zweifellos heute die allervordringlichste Aufgabe des Christen in dieser Welt, primär des sogenannten Laien, der hier auf seinem arteigenen Gebiet ist, aber auch derjenigen Theologen, welche diese Aufgabe mit ihm als die vordringlichste erkennen. Die anderen aber sollten uns wenigstens dabei nicht in den Rücken fallen.

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