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Christliche Bereitschaft und jUdische Not

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Auf Grund des Dritten Rückstellungsgesetzes konnte seit 1947 auch jüdisches Vermögen, das während der deutschen Besetzung in Oesterreich im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogen worden war,' zurückgefordert werden. Dennoch ist wohl kaum alles jüdische Vermögen wieder an seine ursprünglichen Eigentümer oder ihre rechtmäßigen und noch des näheren im Gesetz bestimmten Erben zurückgekehrt. Vielleicht sind sie alle schon ausgerottet oder weggestorben, vielleicht wurden auch die zwar immer wieder verlängerten aber doch einmal notwendigen Termine zur Einleitung des Rückstellungsverfahrens versäumt.

Anderseits gibt es noch manche Not und manchen Schaden auch in diesen Kreisen, die die politischen Geschehnisse jener Jahre und die Verbrechen des Rassenwahns im Großdeutschen •Reich verursacht haben. So erscheint es als vernünftig, dieses erblose Vermögen in einer Sammelstelle zu vereinigen, um die Mittel für solche Entschädigungen zü gewinnen oder auch schon im Hinblick auf so eine kommende Maßnahme eine Art Vorschuß zur Verfügung stellen zu können. Im Zusammenhang damit und nun auch mit der leidigen, aber schließlich unumgänglichen Erörterung über die Verteilung dieser Mittel versteht der einfache Oesterreicher wieder einmal manches nicht recht, was sich da seit Monaten in der Oeffentlichkeit des In- und Auslandes und erst recht wieder in den letzten Wochen drüben über dem Ozean begeben hat. Auch ich darf daher, in drei Abschnitten zusammengefaßt, einige Fragen stellen und einige Anliegen vorbringen: Wer hat hier den Rechtstitel, zu fordern, wem sollen schließlich die Mittel zukommen, wer soll zahlen?

I.

Wer sind die z. B. ausländischen Organisationen, die sich hier zu Wort und Verhandlung gemeldet haben? Kommen sie als die Wohltäter, die damals den Opfern des nationalsozialistischen Regimes in Oesterreich zu helfen versucht haben und immer wieder versucht haben, trotz brutaler und zynischer Behinderung? Sind sie die zu Hilfe gerufenen großen Helfer der kleinen Kultusgemeinde in Oesterreich, die sich aus einer gewissen Solidarität heraus und entsprechend der Zahl, der Bedeutung und dem Einfluß ihrer Mitglieder einsetzen? Sind sie gar die nachweisbar Beauftragten der Gemordeten und Ueberlebenden? Darf sich hier der neue Staat Israel als Rechtsnachfolger und Anwalt ansehen? Oder gibt es doch diese feste Größe eines Weltjudentums, die in den, Gott sei Dank, vergangenen Jahren von den Juden selbst — die aus dem Hitlerreich nicht davon konnten oder auch wollten, weil sie die Barbarei für unmöglich hielten, deren Opfer sie später wurden — als eine Schimäre, als eine Zweckerfindung hingestellt wurde, trotz aller Anstrengung eines Goebbels, das Gegenteil den Volksgenossen weiszumachen?

Wäre es dann eine Größe, die ihre Einheit aus dem Glauben gewinnt und von dort her zuletzt auch das Recht des Auftretens und Vertretens? Oder aus der Rasse? Das wäre doch ein fragwürdiger Ansatz, wie eben erst die Unmenschlichkeiten und Lächerlichkeiten des Nationalsozialismus erwiesen haben und wie er sich heute in der Zeit der Vereinten Nationen, der weltweiten Zusammenhänge kaum noch anders als borniert und als anachronistisch ausnehmen kann!

Tritt aber vielmehr die Israelitische Kultusgemeinde in Wien für die wanda-Iischen Schäden ein, die sie nicht nur am unbeweglichen und grundbücherlichen, sondern auch am sonstigen beweglichen Eigentum und Besitz erlitten hat, so möchte man meinen, daß sich die Größe des Schadens leicht und objektiv bestimmen läßt.

Weist sie aber als nächstliegende und irgendwie natürliche Sprecherin auf ihre Mitglieder und Glaubensbrüder, die damals nachweislich geschädigt, die in ihrem Leben, Beruf und Erfolg um vielleicht bitterste Jahre zurückgeworfen wurden, ohne daß ihnen bis heute eine Wiedergutmachung wurde, dann wird man hier, soweit es die Mittel überhaupt erlauben, wohl großzügig sein wollen, weil wir alle den Frieden und damit die Befriedung und keinen Augenblick auch nur den Schein einer Billigung vergangener Untaten erwecken möchten.

Wird aber so eine Wiedergutmachung versucht, dann wird der Staat, der für alle in gleicher Weise da ist, an der Tatsache nicht vorbeisehen können, daß es außer ihnen auch noch, andere gegeben hat, die ebenso wegen ihrer Religion, ihres Glaubens, ihrer politischen Einstellung in Verletzung primitivsten Rechtes die Faust des Regimes zu spüren bekommen haben.

Aber selbst wenn man noch nicht diese letzte Folgerung ziehen will, darf ich mir einen noch viel näherliegenden Hinweis gestatten: Weder die Kultusgemeinde in Wien noch die jüdischen Organisationen des Auslandes werden für die Juden, soweit sie Katholiken waren und sind, eintreten wollen oder eine Legitimation oder auch nur die nötige Objektivität dafür haben. Esgfbtaber diese jüdischen Katholiken und sie sind nicht weniger grausam wie dieGlaubens-juden heimgesucht worden.

Die katholische Kirche hat deshalb damals ebenfalls das aussichtslose Unternehmen immer wieder versucht und auf sich genommen, diesen Gedemütigten und tiefst Bedrängten, die vom Glauben her ein Recht auf den Schutz der Kirche hatten, zu Hilfe zu kommen gegen eine erbarmungs- und schonungslose Gewalt.

Die von dem Wiener Kardinal in seinem Palais eingerichtete Hilfsstelle hat in Anbetracht aller Umstände Heldenhaftes in jenen Jahren geleistet. Ein Priester stand an der Spitze, ihm zur Seite treue und wirklich selbstlose Mitarbeiter, die zum Teil als rassisch Verfemte Dienst für die anderen machten, bis sie selbst eines Tages an die Reihe kamen für den Transport nach Polen — wie es so harmlos hieß!

Wir haben wieder die Semesterberichte dieser Stelle ausgekramt: Es waren doch einige hundert Befürsorgte jeden Monat, und einige hunderttausend Reichsmark neben vielen Sachspenden wurden aufgebracht, ganz abgesehen von einem größeren Dollarbetrag des Vatikans für Auswanderung. Die Aufgaben der Stelle waren vielfältig wie die Not selbst: Beratung und Hilfeleistung bei Auswanderung, Fürsorge, Ausspeisung, nicht zuletzt auch bei den Kindern in Kindergarten, Hort, Schule; Privatunterricht, Hilfe für die Kranken im jüdischen Spital und Altersheim, Kleider und Lebensmittel für die schon nach Polen und Theresienstadt Evakuierten, der Brief verkehr mit diesen Geächteten; und selbst das Begräbnis galt es oft zu bestreiten, da die Sterbekassen ausfielen. Dies alles geschah in guter Zusammenarbeit mit den übrigen wenigen Stellen und Einrichtungen dieser Art. Wir besitzen noch die Namenlisten der nichtmosaischen Juden vom 1. bis zum 48. Transport, aufgegliedert in Katholiken, Evangelische und Konfessionslose. Mit genau 2002 stehen die Katholiken weitaus an der Spitze dieser schaurigen Verzeichnisse!

Alle guten Titel also, die hier andere haben, sich zu Wort melden, hat auch die katholische Kirche* Es ist daher wolJ selbstverständlich,' daß sie sich in diese Wiedergutmachungsbemühungen einschaltete, Wert darauf legte, bei der parlamentarischen Enquete über das 5. Rückstellungsanspruchsgesetz herangezogen zu werden. Ich habe deshalb auch in diesem Sinne namens des Sekretariats der Oesterreichischen Bischofskonferenz zweimal an den Bundeskanzler, zweimal an den Finanzminister, einmal an den Präsidenten des Nationalrates usw. geschrieben, abgesehen von wiederholten Kontaktnahmen mit dem Referenten, um auf diesen Sachverhalt aufmerksam zu machen und eine Zuziehung auch der Kirche zu erwirken. Ich darf hier noch einmal unser Ersuchen wiederholen und an die gegebenen Zusicherungen erinnern.

II.

Wer soll hier Hilfe und Wiedergutmachung erfahren: zunächst wohl die wirklich und nachweislich Geschädigten selbst, soweit sie noch leben und ihnen bisher nicht schon eine gesetzliche Handhabe zur Verfügung stand. Und es gibt solche. Heute noch erreichen uns Briefe von Katholiken, die klagen, daß sie, die aus Abstammungsgründen nachweisbar harten Schaden erlitten haben, bis heute keine Möglichkeit zu einer Entschädigung finden: So schreibt z. B. ein alter Berufsoffizier — er ist im 79. Lebensjahr und kann kaum mehr lange warten —, daß er sich heute noch in arger Not befinde, weil er durch die Nürnberger Gesetze nach Aufstellung des Zentralbesoldungsamtes um rund 20.000 S geschädigt wurde usw. Ob darüber hinaus Organisationen als solche, noch dazu im Ausland, andere Staaten, etwas erhalten sollen? Auf den ersten Blick ist uns dies nicht einsichtig. Wir sind aber gerne bereit, hier zu hören. Gegebenenfalls dürften wir auch hier wieder an die Kirche erinnern als mögliche und für manche wenigstens zuständige Treuhänderin!

III.

Die Bundesregierung ist bisher angegangen worden, sie soll hier die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Soweit wirklich erbloses jüdisches Vermögen dafür in Frage kommt, ist es wohl recht, daß es dafür in Anspruch genommen wird. Wer wollte sich denn wirklich an diesem Blutgeld bereichern! Soweit aber mehr Mittel notwendig sind, wird man ' sich auch daran erinnern müssen, daß die österreichische Bundesregierung nicht Rechts- oder in unserem Fall besser gesagt Unrechtsnachfolgerin des vergangenen Hitlerregimes und seiner Verbrechen ist. Sie wird von sich aus tun, was sie vermag, aber sie darf verlangen, daß man auf ihre Schwierigkeiten Rücksicht nimmt und Geduld aufbringt, gerade weil man an ihrem guten Willen nicht zweifeln kann, hier einen wichtigen Beitrag zur endgültigen Befriedung in unserem Volk zu setzen.

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