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Christliche Friedenskonferenz?

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Die Initiatoren der „Dritten allchristlichen Friedensversammlung”, die kürzlich in Prag stattfand, mußten notgedrungen zehn Jahre nach Beginn ihrer Arbeit ständig in der Rückblende am Werk sein. Wer es zum drittenmal schafft, an die Öffentlichkeit zu treten, hat sich damit etabliert. Einmal ist keinmal, zweimal läßt noch keine Schlußfolgerungen zu. Dreimal aber — nun kann man vergleichen. Was wollte, was will die CFK und wo steht sie heute?

Der Präsident und unermüdliche Initiator der CFK, der bald 80jäh- rige Theologieprofessor J. L. Hro- madka, erwähnt in seinem Memorandum zur dritten Vollversammlung vor allem das Treffen der USA, Großbritanniens und der UdSSR 1955 in Genf. Eine Welle der Entspannung, so meint er, sei damit in Bewegung gekommen. Nur das „Ungarnereignis”, wie er es nennt, habe sie wieder gestoppt. Damals fanden sich kirchliche Kreise aus Ost und West zusammen und begannen auf breiter Ebene gegen atomare Bewaffnung und kalten Krieg zu Felde zu ziehen. Vor allem die Ostkirchen beteiligten sich intensiv, Erzbischof Nikodim und Patriarch Justin, Rußland und Rumänien also, zwei der zahlenstärksten orthodoxen Kirchen repräsentierend. Westliche Theologen kamen von Anfang an nicht als Funktionäre ihrer Kirchen, sondern als Einzelpersonen.

Friede — aber nicht mit allen

„Suchet den Frieden und jaget ihm nach” — dieses biblische Motto stand in der großen Zentralhalle des Kulturparks den Anwesenden bei jeder Versammlung in vier Sprachen vor Augen.

Frieden — ist er wirklich praktikabel, wenn man ihn mit dem Neuen Testament zugleich in seiner Vollendung als eschatologisches Ereignis versteht? Bedingt er nicht vor allem große Geduld, anhaltendes Hinhören, liebendes Verstehen? Kann eine Versammlung, die so ungeprüft Formulierungen wie Imperialismus, Kapitalismus, Kolonialismus, Neonazismus aus dem Wortschatz des kalten Krieges übernimmt, zugleich legitimiert sein, dem Frieden in der Welt eine Brücke zu bauen? Wird er nicht zu teuer mit dem Unfrieden erkauft, sind die neuen Brüder in der Dritten Welt nicht lediglich die Antipoden der alten Feinde in der durch und durch bösen, korrupten und daher unchristlichen Alten Welt - die sozialistischen Länder immer ausgenommen?

Auch diese dritte Versammlung und sie noch mehr als die vorausgegangenen bestärkte den Verdacht des wohlwollenden Beobachters, daß die CFK bereits selbst Teil eines festgefügten Establishment ist. Sie brach auf, um das Freund-Feind- Schema zu überwinden und hatte bereits die Trennungslinien ihrerseits, wenn auch anders, gezogen. Sie sucht den Frieden, aber nicht mit allen. Sie will Menschen retten, aber auf Kosten anderer. Sie hat die Freiheit eines Christenmenschen den programmierten Vokabeln unterworfen.

Da wurde zum Beispiel von der Redaktionskommission als zweiter Entwurf zum Thema der europäischen Sicherheit die Formulierung angenommen: „Zu den Hindernissen gehört die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland, trotz mancher vorhandener positiver Tendenzen, sich immer noch nicht entschließen kann, die gegenwärtigen Grenzen hi Europa anzuerkennen. Ferner gehört dazu, daß das Aufkommen eines Neonazismus in der Bundesrepublik tiefe Sorge Und Mißtrauen in ganz Europa auslöst.” Da sind sie, die „Buhmänner”, die Fetische, die ferngesteuerten und nahgebrauchten Schlagworte, deren Herkunft den meisten schon lange nicht mehr bewußt ist. Es kostete nur geringe Mühe: revisionistisch, annexionistisch, neonazistisch — das ist die tägliche Gebetsmühle des „Neuen Deutschland” und der „Prawda”, der Gehalt wird sich dann schon von allein ergeben. Tiefe Sorge, Mißtrauen — wie bemüht geht das auf Stelzen pharisäerhafter Vollkommenheit. Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht so bin wie diese da, die Nazis und Falangisten, die Millionäre und Militaristen. Bei mir zu Hause ist alles, alles besser.

Die Vietnamresolution schien anfangs neue Töne in das Konzert des allgemeinen Unbehagens hineinbringen zu wollen. Aber dann wurde die Johnson-Initiative, obwohl der genaue Text der Rede noch nicht feststand heruntergespielt und das vorgeschlagene Vokabular — von Völkermord bis hin zur imperialistischen Intervention — übernommen. Daß man unter „ausländischer Einmischung” wieder völlig eindeutig lediglich die USA verstand, konsequent daher laufend die Regierung Nordvietnams und die sogenannte NLF, nationale Befreiungsfront, für austauschbar hält und sogar Friedensverhandlungen mit der nord- vietnamesischen Regierung (und nicht mit der „Befreiungsfront”) für erstrebenswert hält — das zeigt an, wie selbstverständlich die Regierung von Saigon, so problematisch immer sie auch ist, für die Versammlung in Prag zu existieren aufgehört hatte.

Der blasse Schatten M. L. Kings

Lange Diskussionen bereiteten aber nicht nur die Vietnamresolution und die über die europäische Sicherheit — auch die Zusammensetzung der CFK selbst stand zur Debatte. In Europa, besser, in Osteuropa unter starker Beteiligung des Westens geboren und stark geworden, richtet diese Bewegung, in der so viel Stillstand eingetreten ist, ihre Blicke vor allem auf die sogenannte Dritte Welt: Lateinamerika, Afrika, Asien. Martin Luther Kings, des einzigen profilierten Vertreters gewaltlosen Widerstandes, wäre wohl nicht gedacht worden, wenn sein gewaltsamer Tod nicht gerade während der Vollversammlung eingetreten wäre. Die Teilnehmer, unter denen sich viele früher offen zum Pazifismus und zur Kriegsdienstverweigerung bekannten — vor allem die Abordnung aus der Bundesrepublik, wo man ja offener als in den sozialistischen Ländern radikale Friedensgesinnung unter Beweis stellen kann —, schwenkten in sämtlichen Arbeitsgruppen, von der theologischen bis hin zur Jugend, auf die Linie der Revolution ein. Das wurde etwa durch folgenden Satz vorbereitet: „Die planmäßige Diffamierung aller Sozialrevolutionären Ereignisse als kommunistische Aggression durch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kreise, die eine ungerechte Ordnung aufrechterhalten oder an ihr interessiert sind und über gewaltige Informationsmittel verfügen, erscheint uns für die Welt lebensbedrohend… Wir Christen wissen oder sollten wissen, auf welcher Seite wir zu stehen haben, wenn uns wirklich die Sorge und die Verantwortung für die Hungernden, Unterdrückten und Ausgebeuteten treibt.”

Ein anachronistisches Relikt

Nächste allchristliche Friedensversammlung? In Prag tagte zur gleichen Zeit das ZK der Kommunistischen Partei der CSSR. In einer Marathonsitzung. Die Menschen in den Straßenbahnen, Restaurants und Flugzeugen lasen die seitenlangen, wörtlichen Stenogramme. Selbst Antonin Novotny durfte ausführlich zu Wort kommen. Man macht Emst mit der Demokratie und beseitigt die letzten Spuren des Stalinismus, reinigt den Wortschatz und vermeidet es peinlich, Märtyrer zu machen. Draußen aber, im Kulturpark, schien keine Sonne dieses Prager Frühlings, des ersten, der nach 20 Jahren seinen Namen wirklich verdient Hier wehte, oft bis zur Unkenntlichkeit in christliches Vokabular verpackt, der scharfe Wind des kalten Krieges. Hier war man sich erschreckend einig, hier regierte der Geist von gestern. Die Frau des neuen Staatspräsidenten, die mit ihrer Tochter einen Tag lang inkognito den Verhandlungen beiwohnte — was wird sie ihrem Mann berichtet haben? Die Menschen dieses Landes, auf dem Weg zur Demokratie und Liberalisierung, atmen nach jahrzehntelangem Drude auf — die Menschen des Westens aber wurden von der Versammlung apostrophiert: „Der unter dem Druck des Kolonialismus und des Imperialismus stehende Mensch ist der kraftlose, hoffnungslose Mensch.” Und zur Illustration dessen, was man sich unter dem „neuen” Menschen vorzustellen habe, fährt der Verfasser dieser Arbeitsvorlage fort: „Zwei Beispiele möchte ich nennen: die Nachwirkung der Atombombe von Hiroshima im Innern des japanischen Menschen und die Entwicklung der chinesischen Revolution.” Das ist der neue Mensch der Prager allchristlichen Friedensversammlung.

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