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Christliche Radikalität

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Vor einigen Monaten traf ich bei einem intimen, aber hochqualifizierten Konzert einen amtierenden Minister. Ich erzählte ihm von meinem neuen Buch „Progressiver Katholizismus“. Es hätte ursprünglich „Linkskatholizismus“ heißen sollen. Das Wort „links“ schreckt aber konservative Geister allzu sehr, und um solchen den Zugang zum Buch zu erleichtern, hatte ich es umbenannt. Der Bundesminister meinte lachend: „Mein Lieber, .progressiv' genügt doch vollständig, da weiß man doch sofort, wohin das gehört.“

Ich mußte ihm innerlich recht geben. Worte haben eben ihr „Image“, bestimmte Worte gebrauchen eben nur bestimmte Leute, und „progressiv“ hat — oder hatte bis zur letzten Enzyklika — eben einen etwas verrucht-linken Charakter. Ein wohlanständiger Konservativer sprach noch vor wenigen Jahren ungern vom Frieden, bis dann das Wort durch Johannes des XXIII. Enzyklika „Pacem in terris“ gesellschaftsfähig wurde.

Nunmehr wurden eine ganze Reihe von Vokabeln oder Wendungen sehr zweifelhaften Images gleichsam christlich geweiht, als positive oder abwertende Bezeichnungen in den katholischen Wortschatz aufgenommen. Klingen nicht Worte wie: progressiv, Enteignung, liberaler Kapitalismus, Profit (anständigerweise heißt das doch „Gewinn“), Eigentum an den Produktionsmitteln, Planung, Solidarität, Neokolonialismus, internationaler Kapitalismus der Hochfinanz usw. gefährlich marxistisch?

Daher ist es auch nicht zufällig, wenn in dem kämpferisch-deutschen Blatt „Christ und Welt“ von „kommunistischen Schlagworten“ gesprochen wurde, die nicht in der Enzyklika stehen würden, lebte Pater Gundlach SJ. noch. Und der Abendlandsverteidiger William

S. Schlamm hält sie daher für das „erschütterndste“ Dokument unserer Zeit, das Marx heiligsprach.

So ist es wohl auch kein Zufall, sondern erklärt sich aus der durch die Enzyklika bei ihm ausgelösten Assoziationskette, daß Dr. Kummer bei seiner, zugegebenermaßen originellen Enzyklikadeutung — obwohl r fast dramatisch die Idee eines „christlichen Marxismus“ ablehnt — letztlich In dialektisch-materialistischem Jargon gipfelnd schreibt: „Die Entwicklung in den vergangenen 200 Jahren ging von der These (Liberalismus) zur Antithese (Kollektivismus). Heute erleben wir die Synthese im Personalismus.“ Ich muß gestehen, daß diese Art von Dialektik mein Verständnis weit übersteigt. Denn gerade der dialektisch-materialistische Ast des Marxismus ist sein schwächster und erinnert nur zu oft an intellektuelle Spiegelfechterei, während im „historischen Materialismus“ sehr viel Wahrheit steckt.

Da Dr. Kummer den von mir geprägten Ausdruck „christlicher Marxismus“ gleichsam entrüstet ablehnt, darf ich aufklärend einige Worte sagen: Wenn man das Wesen oder den Kern des Marxismus in seiner Tendenz sieht, das Produktionseigentum in die Hände der Gesellschaft überzuführen, und man den Atheismus als nicht notwendig mit ihm verknüpft ansieht, kann es sehr wohl einen „christlichen Marxismus“ geben.

Eine solche Unterscheidung hält bereits Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Pacem in terris“ für möglich, wenn er sagte, man müsse unterscheiden zwischen „bestimmten Bewegungen, die sich mit wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, mit der geistigen Ausbildung oder der zweckmäßigen Ordnung des Staates befassen“ und „bestimmten philosophischen Lehrmeinungen über das Wesen, den Ursprung, über Ziel und Zweck der Welt und der Menschen“ — „auch wenn jene Bewegungen von solchen Auffassungen her entstanden und geleitet sind“.

Ich dachte allerdings, daß Doktor Kummer diese Unterscheidung geläufig Sei, hat doch unser gemeinsamer Freund August M. Knoll, der diese Enzyklika leider nicht mehr erleben durfte, schon vor 20 Jahren unermüdlich auf diese Möglichkeit der Unterscheidung hingewiesen. Es müßte dies doch Dr. Kummer noch erinnerlich sein. Daß er schließlich den Ausdruck „kommunistische .Katholiken'“ gebraucht, ist mir in Anbetracht eben seiner Position nur politisch-agitatorisch, keineswegs jedoch sachlich verständlich. Denn, wenn er schon glaubt, die marxistische Kernthese nicht vom Atheismus trennen zu können, so wird er wohl erst recht den Atheismus als integrierenden Bestandteil des Kommunismus ansehen, dürfte daher das Wort kommunistisch nicht in Zusammenhang mit Menschen bringen, an deren Theismus er nicht den geringsten Anlaß zu zweifeln hat.

Gebraucht man demgegenüber das Wort „Kommunismus“ als Ausdruck für „Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln“ und hält man diesen moralisch-ökonomischen Gedankenkomplex vom Atheismus abtrennbar, dann mag dieser Ausdruck angehen, so man ihn von seinen negativen affektiven Imagewerten befreit. Der Kernsatz solchen „christlichen Kommunismus“ wäre dann vielleicht der Satz des heiligen Thomas Morus, der zwar den Eigentumsvorstellungen der Enzyklika sehr nahekommt, jedoch nicht ganz auf der politischen Linie von Doktor Kummer liegen dürfte: „Indessen... scheint es mir... in der Tat so, daß es überall da, wo es noch Privateigentum gibt, wo alle alles nach dem Wert des Geldes messen, kaum jemals möglich sein wird, gerechte oder erfolgreiche Politik zu treiben, es sei denn, man wäre der Ansicht, daß es dort gerecht zugehe, wo immer das Beste den Schlechtesten zufällt...“ (Vgl. W. Daim: Progressiver Katholizismus I, S. 156.)

• In einer Hinsicht muß ich allerdings Dr. Kummer in etwa recht geben. Er schreibt: „Es ist aber noch nicht lange her, da spotteten die gleichen Kreise (die von „christlichem Marxismus“ sprechen — W. D.), sie versuchten sie herunterzusetzen und machten sie, wo es ging, lächerlich.“ Ich weiß nun nicht genau, was in diesem Zusammenhang „sie“ heißen; soll. Es ist jedoch anzunehmen, daß die früheren Sozialenzykliken gemeint sind. Befreit man Dr. Kummers Feststellung von ihrem polemischen Negativismus und reduziert man sie darauf, daß die „gleichen Kreise“ die früheren Enzykliken anders bewerteten als die neue, dann ist dem nur zuzustimmen; aber das ist doch keineswegs etwas Unanständiges, denn in der neuen Enzyklika stehen eben auch ganz andere, neue Dinge, die einem natürlich auch eine Verhaltensänderung nahelegen. So habe ich daher auch ein echtes Verständnis für jene Katholiken, aber auch Nichtkatholiken, die mit den früheren Enzykliken einverstanden waren und daher über die neue zutiefst enttäuscht beziehungsweise von ihr geradezu schockiert sind. Das ist eine Bewertungsfrage. Ich muß jedoch gestehen, daß mir das Verständnis für jene Katholiken erheblich schwerer fällt, die so tun, als wäre nichts Entscheidendes geschehen, als gäbe es nur verwaschen-fließende Kontinuität, wo doch der Bruch, der Sprung ganz deutlich zu bemerken sind. Immerhin, soweit es sich um Männer der aktiven Politik handelt, wie Doktor Kummer, die sich seit Jahrzehnten auf eine bestimmte, scheinbar immerwährende katholische Linie festlegten, verstehe ich auch das.

Aber wir müssen doch notfalls auch gegen wohlverstandene politische Interessen der Wahrheit die Ehre geben. Und diese ist, daß in dieser Enzyklika entscheidende marxistische Gedanken Eingang fanden, so unangenehm dies auch einem Antimarxisten sein mag und so schwer es ihm daher auch fallen mag, dies zuzugeben. Hierzu brauchen wir menschliches Verständnis. Manchem Ideologen des christlichen Liberalismus brach nunmehr eine Welt zusammen, wenn er es nicht vorzieht, sich an Illusionen zu klammern.

Aber nur die Wahrheit kann uns wirklich frei machen.

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