6691200-1962_39_01.jpg
Digital In Arbeit

Commonwealth und Europa

Werbung
Werbung
Werbung

Zur selben Zeit als Kennedy sich vom Kongreß die Vollmacht holte, den kubanischen Spuk notfalls mit Waffengewalt in Grenzen zu halten, und wenige Tage nach dem Deutsch-landbesuch de Gaulles trafen einander in London die Vertreter eines weltweiten Gebildes. Acht Tage hat diese wohl merkwürdigste staatsrechtliche Institution der Welt die Aufmerksamkeit aller, vor allem in Europa, auf sich gelenkt: das Commonwealth. Vor 16 Jahren löste das Commonwealth das britische Empire ab. In kontinentaleuropäischen Zeitungen wurde dieses Commonwealth in einer Weise beschrieben, die häufig den falschen Schluß aufkommen ließ, es handelt sich um einen festgefügten Bau und der in London zu Ende gegangenen Konferenz der Ministerpräsidenten der Mitgliedstaaten des Commonwealth käme irgendeine staatsrechtliche oder auch bloß völkerrechtliche Funktion ru. Dem ist nicht so. Es besteht nicht einmal eine Satzung. Die erwähnte Konferenz bezieht ihre nicht ableugbare ' politische Bedeutung überwiegend aus dem moralischen Bereich (ohne Verfwsung, ohne Vetorecht M phne diplomatische Winkelzüge) sowie aus den gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen.

Dieses Commonwealth muß im Rahmen der größeren Frage des Verhältnisses der europäischen Industrieländer und der USA zu den Bemühungen der Entwicklungsgebiete gesehen werden, wirtschaftlich rasch zu wachsen: darüber hinaus trägt es den Zündstoff des Rassenproblems in sich. Kein politisch wacher Bürger europäischer Staaten wird eine Stellungnahme dazu vermeiden können.

Hatte es zunächst den Anschein gehabt, die eben zu Ende gegangene Tagung würde zugleich die letzte sein, sieht heute die Lage wieder anders aus. Die Krise des Commonwealth wurde durch die Absicht Großbritanniens, der EWG beizutreten, auch für nicht informierte Kreise augenscheinlich. Der Mitteleuropäer mit seinen deutlich abgegrenzten Rechtssphären, mit seinem Hang zur geschriebenen Norm, steht der Diskussion um das Commonwealth oft ratlos gegenüber. Wieso soll eine Tagung die Handlungsweise der britischen Regierung beeinflussen, wenn ihr offenbar gar keine Kompetenz zukommt? Gerade die Abwesenheit klar umschriebener Normen ermöglichte jedoch eine laufende Anpassung der 1946 gegründeten Institution an die geänderte Umwelt.

Woher stammt nun die Befugnis der Konferenz, sich dem Beitritt Großbritanniens zur EWG entgegenzustem-men? Denn darum geht es. Die Mehrzahl der Commonwealth-Länder versucht, die britische Regierung in London vor die Alternative zu stellen: entweder Commonwealth oder europäische . Einigung. Die Lösung kann auch den anderen europäischen Nationen nicht gleichgültig sein. Um die vorhin gestellte Frage gleich zu beantworten: Die Konferenz hat kein Mitspracherecht in britischen Angelegenheiten. Denn sie stellt nur ein Diskussionsforum oder, wie es mehrmals genannt wird, einen „Familienrat“ dar, der wohl raten, aber keine Weisung geben kann.

Britische Beobachter haben schon vor Wochen den Aufeinanderprall der Meinungen vorhergesagt, würde doch ein Beitritt Englands zur EWG nach den derzeit bekannten Bedingungen eines Abkommens mit der EWG-Kommission für viele Länder des Commonwealth , offenkundige wirtschaftliche Nachteile bringen. Die Spannung war daher groß, als Premierminister Mac-mii'llan vor mehr als einer Woche im Marlborough House die Ministerpräsidenten von 1$ Ländern begrüßt hat. Und als Nehm, der pakistanische Präsident Ayub Khan und der kanadische Premierminister Diefenbaker schwere Vorwürfe gegen Großbritannien erhoben, war man vielleicht auf dem Kontinent überrascht (nicht aber in England). Die Mitglieder machten kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen die EWG, wenngleich diese Haltung unterschiedliche Lirsprünge hat. Man forderte zunächst sehr bestimmt solche Bedingungen für einen Beitritt zur EWG (Englands), daß er unmöglich geworden wäre. Es war das persönliche Verdienet Macmillans, die Politiker der einzelnen Mitgliedstaaten von der Unhaltbarkeit ihrer Forderungen zu überzeugen. Schließlich blieb es beim Status quo, Lordsiegelbewahrer Heath hat weiterhin freie Hand in Brüssel, das Commonwealth ist nicht auseinandergeplatzt.

War die Konferenz nur ein Sturm im Wasserglas? Oder verbirgt sich hinter den Ereignissen dieser Tagung doch eine tieferliegende Krise, welche durch das Schlußkommunique nicht beseitigt wird?

Das „Ende gut, alles gut“ mag den Eindruck entstehen lassen, daß es sich tatsächlich um viel Lärm um nichts gehandelt hat. Dies wäre ein falscher Schluß. Schon die, übliche Art, von „einem“ Commonwealth zu reden, führt in die Irre. Man kann nur von einer Vielfalt der Commonwealth-Länder sprechen; eine Vielfalt, die in der Bemerkung Macmillans in seiner Schlußansprache anklang, als er sagte, daß „die außerordentliche Verschiedenheit (dem Commonwealth) seinen Wert gebe“. Diese Vielfalt ergibt sich schon aus der geographischen Streulage der Mitglieder. Trotz dieser Verschiedenheit lassen sich jedoch zwei große Gruppen unterscheiden: die „weißen“ und die „farbigen“ Commonwealth-Länder. Diese Staatengemeinschaft ist bekanntlich aus dem ehemaligen Empire entstanden, indem jede unabhängig gewordene Kolonie Mitglied wurde. Auf diese Weise hat der ehemals exklusive Klub der „weißen“ Länder (Kanada, Australien, Neuseeland und - bis zum Vorjahr Südafrika) eine nachhaltige Veränderung erfahren.

Die Artliegen dieser beiden Gruppen unterscheiden sich grundlegend. Die weißen Länder haben seit dem zweiten Weltkrieg zielstrebig den Ausbau ihier Industrie (außer Neuseeland) und durch steuerliche Vorteile die Gründung englischer, amerikanischer und europäischer Niederlassungen gefördert. Häufig hat man die jungen Industrien durch Zölle geschützt; diese Zölle galten auch für englische Industriegüter. Gleichzeitig konnten die ehemaligen Dominien ihre landwirtschaftlichen und gewerblichen Erzeugnisse ohne jegliche Zöllbelastung im „Mutterland“ absetzen. Eine nicht überschätzbare Entwicklungshilfe! Weit wichtiger sind für die englische Haltung zu den „weißen“ Commonwealth-Ländern andere Bereiche. Nach halboffiziellen Schätzungen hat jeder dritte Brite in einem dieser Länder Verwandte. Diese Tatsache erzeugt unerhörte emotionelle, um nicht zu sagen sentimentale Reaktionen der öffentlichen Meinung Großbritanniens, wenn über das Verhältnis zu diesen „weißen“ Commonwealth-Ländern diskutiert wird. „Das sind unsere wirklichen Brüder“, hört man die Menschen sagen, „sie sprechen unsere Sprache, haben vielleicht noch vor 30 Jahren unter uns gelebt und kämpften in zwei Kriegen biit uns.“ Im Bewußtsein des Volkes ist eben Kanada, Australien und Neuseeland auch heute noch ein wenn auch weit entfernter Teil Großbritanniens; diese Staaten nehmen eine ähnliche Stellung ein wie etwa die Grafschaft Yorkshire oder Schottland. Das gilt auch in umgekehrter Richtung. Wenn der Durchschnittsengländer vom Commonwealth spricht, .denkt er in erster Linie an die „weißen“ Mitglieder des Commonwealth, denen in seinem Gedächtnis Indien, Zypern und Jamaika folgen. Aber die wirtschaftlichen Vorteile gerade dieser ..weißen“ Mitglieder sind durch einen EWG-Beitritt am meisten gefährdet, weil die Kommission in Brüssel wohl den afrikanischen und vielleicht noch den asiatischen. Mitgliedern entgegenkommt, für die Sonderwünsche der „weißen“ hingegen nicht viel Verständnis hat.

Die Problematik der „farbigen“ Commonwealth-Mitglieder liegt woanders. Sie waren bis vor kurzem noch Kolonie oder Protektorat und stehen in wirtschaftlicher Hinsicht auf einer erheblich niedrigeren Entwicklungsstufe. Innerhalb dieser Gruppe untei> scheiden sich die asiatischen und afrikanischen Länder in kultureller Beziehung: Indien, Pakistan, Ceylon oder Burma sind alte Kulturnationen, die afrikanischen Länder sind oftmals kaum der Primitivkultur entwachsen. Hier weitet sich der Konflikt zu einem weltweiten, zu einem Konflikt des Verhältnisses der Industrieländer zu den Entwicklungsländern überhaupt.

Die „farbigen“ Mitglieder des Commonwealth stützen sich zweifach auf den Staatenbund: einmal auf die ungehinderte Ausfuhr ihrer Güter nach Großbritannien, zum anderenmal auf die beachtlichen Entwicklungskredite. Der „metawirtschaftliche“ Zusammenhang ruht auf der Erziehung der nationalen Führerschichte der neuen Staaten an englischen Universitäten. Nicht zu übersehen ist die Tatsache, daß das Oberhaus in London auch heute noch oberste Instanz in der Rechtsprechung aller 15 Commonwealth-Länder ist; der Londoner Spruch wird widerspruchslos anerkannt.

Könnte man auf wirtschaftlichem Gebiet noch von einer gewissen Einheitlichkeit sprechen, so ist dies auf dem Gebiet der Politik nicht mehr zulässig. Die weißen Mitglieder stehen wohl bedingungslos zum Westen, aber schon die asiatischen verfolgen eine eigene außenpolitische Linie, und so manches afrikanische Mitglied droht in ein östliches Fahrwasser einzuschwenken (Ghana!). Im allgemeinen streben die „farbigen“ Mitglieder einem mehr oder weniger verwaschenen Neutralismus nach; dieses neutralistische Ideal, in Verbindung mit der Furcht vor einer neuen weißen Fremdoder bloß Vorherrschaft ist die wichtigste Triebfeder, welche die afrikanischen Mitglieder vorerst eine Assoziierung mit der EWG ablehnen läßt.

Es wird viel von den Entwicklungshilfen gesprochen. :In vielen Reden europäischer Politiker sind sie zu einem Standardthenaa geworden. Man hat auch Kredite gewährt. Wirklich geholfen, nämlich im Sinne einer liberalen Handelspolitik, hat bisher nur Großbritannien im Rahmen des Commonwealth. Diese Bürde wollten viele gerne loswerden, vor allem gewisse Industriezweige. Es zeugt von einem großen moralischen Verantwortungsbewußtsein, wenn die Briten heute versuchen, das Commonwealth in irgendeiner Form in eine neue Zukunft mitzunehmen, wenngleich sich die Bande.nach der Integration Englands-in Europa lockern werden. Dies würde aber auch ohne EWG-Beitritt Großbritanniens geschehen. Vor zehn Jahren war noch die Hälfte der britischen Ausfuhr für die Commonwealth-Länder bestimmt, im Vorjahr jedoch nur noch ein knappes Drittel; von 1958 bis 1961 nahm die Einfuhr Großbritanniens aus Westeuropa um knapp 30 Prozent, jene aus dem Commonwealth hingegen nur um 10 Prozent zu; im gleichen Zeitraum stieg der Export nach Westeuropa um 43 Prozent, nach dem Commonwealth aber um bloß 6 Prozent.

Die wirtschaftliche Verflechtung wird sich unaufhaltsam weiter lockern. Es ist nur. noch ein Schritt bis zu gegenseitigen protektonistischen Maßnahmen. In seiner jetzigen Form ist das Commonwealth nach Ansicht britischer Publizisten zweifellos zum Tod verurteilt. Trotzdem und ohne rechtliche Verpflichtung versuchte Heath, bei seinen Verhandlungen in Brüssel für die Commonwealth-Länder das Beste herauszuholen. Diese Haltung sollte für uns Europäer ein Vorbild sein. Freiwillig, aus Gründen der Vernunft sowie der sittlichen Verpflichtung, müßten wir unsere Schranken gegen Einfuhren aus den Entwicklungsländern beseitigen. Man muß nicht auf Brüssel warten.

Morgen oder übermorgen wird das GATT die europäischen Länder dazu zwingen. Wer es jetzt schon tut, hat den Vorteil, das Tempo der Anpassung zu bestimmen, so manche Fehlinvestition zu vermeiden. England hat richtig erkannt, daß den Entwicklungsländern nur geholfen werden kann, wenn sie ihre industriellen Güter exportieren können, um die nötigen Mittel für1 neue Investitionen zu verdienen. Es hat nicht gezögert, zum •Beispiel seine blühende Baumwollindustrie zu opfern, ihre industrielle Struktur frühzeitig anzupassen; dies wird England noch unschätzbare Vorteile bieten,

Hoffen wir, daß die britischen Staatsmänner die EWG von der Notwendigkeit überzeugen werden, aus der europäischen Einigung alle protek-tionistischen Tendenzen auszuklammern. Den Nutzen aus diesem Erfolg zöge nicht zuletzt Österreich; allerdings nur dann, wenn es das Verhalten Großbritanniens zu den Entwicki lungsländern nachmacht, etwaige Handelsschranken stufenweise abbaut. Entwicklungskredite gewährt und an seinen Hochschulen mehr und mehr farbigen Studenten die Möglichkeit des Studiums gewährt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung