6539256-1946_32_01.jpg
Digital In Arbeit

Condominium Südtirol

19451960198020002020

Der im Nachstehenden dargelegte Plan kommt als letzter Vorschlag dann in Betracht, wenn das in der Denkschrift der österreichischen Regierung sowie in jener der Südtiroler Volkspartei, des Fürstbischofs Dr. Geislef im Namen des Klerus der Diözese Brixen, der Ladiner Südost-Tirols und der Sozialistischen Partei ausgesprochene Verlangen nach einer Volksabstimmung trotz seiner Begründung in der Atlantik-Charta auf der Pariser Friedenskonferenz keine Erfüllung finden sollte. „Die Furche“

19451960198020002020

Der im Nachstehenden dargelegte Plan kommt als letzter Vorschlag dann in Betracht, wenn das in der Denkschrift der österreichischen Regierung sowie in jener der Südtiroler Volkspartei, des Fürstbischofs Dr. Geislef im Namen des Klerus der Diözese Brixen, der Ladiner Südost-Tirols und der Sozialistischen Partei ausgesprochene Verlangen nach einer Volksabstimmung trotz seiner Begründung in der Atlantik-Charta auf der Pariser Friedenskonferenz keine Erfüllung finden sollte. „Die Furche“

Werbung
Werbung
Werbung

Je länger die Bemühungen um die Herstellung eines dauerhaften Weltfriedens sich hinziehen, desto deutlicher wird es, daß in wichtigen strittigen Fällen restlose Lösungen nicht zu erreichen sind. Immer wieder muß eine Mittellinie gesucht werden, wenn man dem Frieden und nicht gewalttätigen Entscheidungen vorarbeiten will. Ruhe und Ordnung werden dann am zuverlässigsten gesichert sein, wenn nicht die Macht der Großen die Lösung vorschreibt, sondern das Einvernehmen der Nächstbeteiligten den Ausgleich der gegensätzlichen Ansprüche verbürgt. So kommt es, daß jetzt immer häufiger in den Friedenserörterungen zwischen ratloser Niedergeschlagenheit und Hoffnung das Wort aufklingt: Kompromiß! :

Der Protest, der sich im englischen Parlament gegen die Behandlung des Südtiroler Problems in fler Pariser Konferenz der ,vGroßen Vier“ erhoben hat — diese erfreuliche Anmeldung des öffentlichen Gewissens einer großen Nation —, hat den britischen Außenminister zu dem Vorschlag veranlaßt, den Ausweg eines Kompromisses in der Form einer Zollunion zwischen Italien und Österreich zu suchen. Der Gedanke eines solchen Zusammenschlusses der beiden sich vielfach wirtschaftlich ergänzenden Nachbarstaaten tritt nicht zum erstenmal in das politische Gesichtsfeld. Als im Jahre 1922 der kleine österreichische Staat, den die Zerstörung des alten Reiches übriggelassen hatte, vor dem wirtschaftlichen Ruin stand und einzelne Nachbarn sich schon militärisch bereitstellten, ihn zu zerstückeln, war es Bundeskanzler I g n a z S e i p e 1, der in Verona die italienische Regierung — die faschistische Umwälzung war damals in Italien noch nicht erfolgt — vor die Frage stellte, ob Italien bereit sei, mit Österreich in Zollgemeinschaft zu treten. Die Antwort schwankte anfangs im Sinne einer Bejahung, bis Bedenken aus den Kreisen der italienischen Schwerindustrie für die Verneinung den Ausschlag gaben. Damals hatten rein wirtschaftliche Beweggründe die Frage aufwerfen lassen. Eine italienisch-österreichische Zollunion würde auch heute den ökonomischen Inhalt des Südtiroler Problems erfassen, doch nicht dessen innersten Kern. Der Fall der Zollschranken würde zweifellos unsere wirtschaftliche Bedarfsdeckung erleichtern und das Verkehrswesen von bisherigen schädlichen Hemmungen befreien. Aber voran steht für uns die Bewahrung unseres Südtiroler Volkstums, seiner M e n Sjc h e n, s'einer Kultur, unwägbarer geistiger Werte, überdie nicht ein Zoll-und Handelsvertrag stipuliert werden kann. Wenn schon zum Schmerze des österreichischen Volkes eine volle Befriedigung seiner Rechtsansprüche, die Rückgabe Deutsch-Südtirols an Österreich, nicht erreicht werden kann, dann empfiehlt es sich, ein Kompromiß zu ermitteln, das dem Wesen der Südtiroler Frage gerecht wird.

Was knüpft Italien an Südtirol? Historische Bande? Nein! Ethnische? Nein! Selbst italienische Stellen gaben den österreichischen Charakter Südtirols, zu. Italien benötigt weder die 230.000 deutschsprechenden Südtiroler, noch braucht es den Raum oder die wirtschaftlichen Produkte des kleinen Gebietes. Aber Italien will auf die Wasserkräfte dieser Gebiete nicht' verzichten und vor allem nicht auf die erhöhte Sicherheit, die es sich von der militärischen Beherrschung des Brennerüberganges verspricht.

Aus dem Gegensatz dieser Ansprüche auf Südtirol ist bisher kein Ausweg ermittelt worden. Gäbe es in der Tat nichts anderes als das Weiterwirken eines schon im internationalen Urteil erkannten schweren Unrechtes, nichts anderes als das Offenhalten einer brennenden Wunde, die immer eine Anklage gegen den Opportunismus der Mächtigen und eine moralische Demütigung aller Schwachen bedeuten würde?

Es ist nicht so. Gibt es keine andere Verständigung, so ist ein Gebiet, auf das zwei Anrainer bedeutende Ansprüche erheben können, Anrainer, zwischen denen sonst keine ernsten Interessengegensätze vorwalten, nicht als das ausschließliche Eigentum des einen oder des anderen, sondern als Eigentum beider zu behandeln.

Condominium ist das Stichwort, mit dem die Südtiroler Frage gelöst werden kann. Die vertragliche Herrschaftsgemeinschaft über Südtirol ließe die Südtiroler Frage für beide Teile in befriedigender Weise lösen.

Österreich wäre die Verwaltung und Rechtsprechung, die Münz- und Währungseinheit und die Nutzung des Landes im allgemeinen zuzusprechen.

Italien würde das Recht zukommen, das Land, insbesondere den Brenner m i 1 i t ä r i s c h z u befestigen und besetzt zu halten. Vom Kriegsdienst wären die Südtiroler auszuschließen. Wirtschaftlich behielte Italien das Eigentum und die Nutzung seiner dort errichteten elektrischen Kraft- und Aluminiumwerke sowie seiner sonstigen Industrien. Der italienischen Bevölkerung stünde das Recht zu, vor allen Behörden und Gerichten in italienischerSprache Recht zu suchen und Recht zu finden, Schulen für die italienischen Kinder in italienischer Sprache und mit italienischen Lehrkräften zu unterhalten.

Südtirol würde künftig auf Grund der unter Vermittlung der UNO zustande gekommenen Staatsverträge zwischen Italien und Österreich ein Corpus separa-4 tum darstellen, das nach einverständlich festgesetzten Grundsätzen selbständig verwaltet wird und als gesetzgebende Körperschaft einen eigenen Landtag besitzt, der in zwei nationale Kurien mit einer Brückenverbindung geteilt ist. Die Durchführung der nationalen Autonomie hätte so weit zu gehen, daß die Bevölkerung des italienischen wie des deutschsprachigen Teils ein freies politisches Eigenleben führen kann. Eine etwa zehnjährige Befristung des Vertrages würde dem Erproben des neuen Zu-standes dienen.

Genug der Einzelheiten. Es soll hier nur 'der Rahmen einer Verständigung angedeutet werden. Das Condominium ist eine bekannte Erscheinung des Staats- und Völkerrechtes, häufig in früheren Jahrhunderten, da überspitzter Nationalismus das Gemeinschaftsbewußtsein der Völker noch nicht geschwächt hatte, aber auch dem modernen Rechte vertraut Lebende Beispiele sind die Condominium-Verträge, die seit 1899 .■England und Ägypten in bezug auf den Sudan und England und Frankreich 1887 in bezug auf die Neuen Hebriden geschlossen und in neuen Abkommen wiederholt ergänzt haben.

Leidenschaftslose Erwägung wird einräumen, daß dieser Vorschlag einen Weg weisen könnte, um Südtirol den Charakter des Zankapfels zwischen zwei Staaten zu nehmen, deren Zusammenarbeit zu beiderseitigem Vorteil gereichen kann und zwischen denen ein sonst begründeter Gegensatz nicht besteht. Österreich hat keinen Drang nach dem Süden und Italien keinen solchen nach dem Norden, wenn es mit seiner Grenzwacht am Brenner steht. Der gemeinsame Besitz Südtirols könnte zwischen beiden Staaten eine Brücke und für den Frieden in Mitteleuropa eine tragende Säule bilden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung