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Cserhati verhandelte mit nervösem Papst

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Eine sensationelle Darstellung der Vorgänge um Kardinal Mindszenty hat der verstorbene Bischof Cserhati hinterlassen.

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Eine sensationelle Darstellung der Vorgänge um Kardinal Mindszenty hat der verstorbene Bischof Cserhati hinterlassen.

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An der Schwelle zum 80. Lebensjahr und von Krankheit physisch stark gezeichnet, genau vor einem Jahr, brach überraschend der Alt-Bischof von Pecs und langjährige Sekretär der ungarischen katholischen Bischofskonferenz, Jozsef Cserhati, sein Schweigen. Kurz zuvor hatte er im ungarischen Fernsehen in einer beachtlich interessant gestalteten Dokumentation zum Verhältnis von Kirche und Staat in Ungarn Stellung genommen. Übrigens geistreich und witzig — wie eh und je. Sein Körper war - wie bereits erwähnt - von mehreren Krebsoperationen geschwächt, sein Geist jedoch klar und hell, ausgestattet mit einem Detailwissen ohnegleichen, der letzte Auftritt eines brillanten und geschätzten Philosophen. Minutiös schilderte „Bischof Jozsef“ — wie wir ihn nennen durften und dies als Auszeichnung empfanden - bisher unbekannte Details über das dramatische Ringen rund um die Person des in der ÜS-Bot- schaft in Budapest festsitzenden Primas Kardinal Jozsef Mindszenty.

ÜBERWUNDENE SCHAUEN

Die Runde, Österreicher und Ungarn, Menschen in einem freundschaftlichen Verhältnis zu Cserhati stehend, hat bisher geschwiegen, ein Tonband ist authentischer Zeuge für die Gespräche im kleinsten Kreis in der bischöflichen Wohnung im Pecser Dompfarrhof. Dorthin hatte sich Cserhati nach seinem Rücktritt 1989 zurückgezogen. Es ist übrigens eine große Auszeichnung, daß fast alle Gesprächspartner aus Österreich kamen. Nunmehr - nachdem er unter großer Anteilnahme „seiner“ Gläubigen, für die er sich stets und nur selten bedankt eingesetzt hatte, im Schatten der Bischofskirche beigesetzt wurde, gestatte ich mir Details über Gespräche, die etwa zehn Jahre umfaßten, zu publizieren.

So informierte mich Bischof Cserhati 1980 im Detail über Geheimbischöfe und Untergrundaktivitäten in Ungarn. Er bat mich zu schweigen und ich gehorchte. 1993 erinnerte sich Cserhati in der erwähnten Runde an die dramatischen Gespräche, die er und niemand anderer mit Papst Paul VI. in Sachen Mindszenty geführt hat. Er wundere sich immer wieder über diesbezügliche Darstellungen in Büchern und Artikeln. So finde sich in keiner dieser Darstellungen auch nur ein einziger Hinweis über das entscheidende Gespräch mit dem Papst. Bis heute habe sich niemand ernsthaft um Informationen aus erster Hand bemüht. Insbesondere zeigte sich Cserhati über die Informationen, die Hansjakob Stehle in seinem neuesten Werk „Geheimdiplomatie im Vatikan“ (Benziger, Zürich 1993) vermittelt, verwundert.

Wie wenn es gerade erst vorgestern gewesen wäre, schilderte Cserhati seine Begegnung mit dem Papst, zu der er nach Rom gebeten worden war. Innerlich erregt ging der Papst, der damals von schwerer Krankheit gezeichnet war, im Zimmer auf und ab, gleichzeitig bat er den Bischof, ruhig sitzen zu bleiben. Es war ein langes und ein offenes Gespräch, so die Darstellung Cserhatis. Auf die Frage, ob ein Weggang Mindszentys aus Ungarn besonderen Schaden anrichten würde, sagte Cserhati nach eigenen Angaben: „Wir haben schon so viele Opfer gebracht. Wir werden auch dieses Opfer auf uns nehmen.“ Damit war Mindszentys Schicksal, seine schmerzhafte Entfernung aus der US-Botschaft, endgültig besiegelt. Mindszenty selbst hatte sodann von Wien aus wiederholt versucht, in den Gang der Dinge in seinem Heimatland Ungarn einzugreifen. So spricht man von einem Schreiben an seinen Nachfolger, Primas Kardinal Lekai, das sofort den Behör den übergeben worden sein soll. Danach soll Mindszenty die Kontakte zu Lekai, der wiederholt im Ausland wegen seiner loyalen Haltung gegenüber Partei und Staat kritisiert worden war, tief enttäuscht abgebrochen haben.

In diesem Zusammenhang muß man fragen: Besitzen die ungarischen Behörden diesen erwähnten Brief aus dem Wiener Exil? Der damalige allgewaltige Kirchenstaatssekretär Imre Miklos hat sowohl die Wende als auch die formelle Auflösung seines Amtes erlebt. Helfer, deren Namen bekannt sind, waren in der Folge um die Redigie- rung seiner „Erinnerungen“ besorgt. Bekanntlich schrieb auch der verbannte Primas von Wien aus den Bestseller „Erinnerungen“. Bis zum heutigen Jag wurden die Miklös-Erinnerungen nicht publiziert.

Nur ungern erinnern sich die Zeitzeugen, viele sind schon gestorben. Trotzdem muß man festhalten, daß in den vergangenen 40 bis 50 Jahren in Kirche und Staat Dinge vorgefallen sind, die eine Neubewertung verdienen. Der vielzitierte „Fall Bulänyi“ möge für viele stellvertretend genannt werden.

GESCHICHTSKUUERUNG

Cserhati hat - wie die angesehene „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ anläßlich seines überraschenden Hinscheidens bemerkte — für seine Tätigkeit nur wenig Dank geerntet. Es schien so zu sein, daß die Zeit und die rasante politische Entwicklung über Menschen vom Schlage Cserhatis hin- weggegangen ist. Die kritischen Stimmen im In- und vor allem im Ausland wurden moderater, ja verstummten seit einiger Zeit.

Wenig bekannt ist, daß eine staatliche Kommission, die das Wirken der ungarischen Oberhirten zu durchleuchten versuchte, Bischof Cserhati eine blütenweiße Weste attestierte. Nicht so anderen Mitgliedern der Bischofskonferenz. Aufgrund von Interventionen, so wird gemunkelt, wurde der einschlägige Bericht bis zum heutigen Tag nicht publiziert. Nur durch (gezielte) Indiskretionen wurden einzelne, sicherlich unvollständige Details bekannt - sehr zum Schaden des Gremiums und der betroffenen Personen. Eine Aufarbeitung der von Blut und Tränen gezeichneten Verfolgung und Destabilisierung in unserem Nachbarland ist dringend geboten, um Desinformation und Schönfärberei hintanzuhalten. Archivsperren hin und her. Vor allem die Frage, in welcher Form und Intensität die sicherlich notwendige Zusammenarbeit von Kirche und allmächtiger und allgegenwärtiger Partei geboten und notwendig war für das geordnete Überleben, ist im Grunde bis zum heutigen Tag unbeantwortet. Insider wollen von einem hohen Prozentsatz klerikaler Kollaborateure wissen.

Ähnliche Stimmen — und Listen - wurden auch in der Slowakei und in der Tschechischen Republik publiziert. Sie wurden für Böhmen und Mähren von „höchster Stelle“ (Havel) abgeschwächt, wenn nicht gar in Frage gestellt. Ein Sinnes wandel, ein geschwisterliches Gespräch, ein offenes Wort, ein Schuldbekenntnis - mit Lossprechung und nicht mit Kainsmal müßte die richtige Antwort auf Fragen, die nur hinter vorgehaltener Hand gestellt werden, sein. Die Erinnerung schwindet, schon zeichnet man ein neues Geschichtsbild, wie man es aus entsprechender zeitlicher Entfernung gerne vermitteln möchte.

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