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Damit das Leid nicht sinnlos bleibt

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Der Kölner Universitätsprofessor für neue Geschichte Dr. Theodor Schieder erklärte kürzlich auf einer Tagung, daß die vom Bundesministerium für Vertriebene in Bonn herausgegebene Dokumentationsreihe nicht eine Art intellektueller Rache zu üben habe, sondern weitgehend auch die Vorgeschichte der Vertreibung einbeziehen müsse. Den bisherigen Publikationen dieser Reihe Uber die Vertreibung in den Gebieten östlich der Oder-Neiße (zwei Bände), aus Ungarn (ein Band), Rumänien (ein Band) und den Sudetenländern (zwei Bände) soll noch im Laufe dieses Jahres der in jeder Weise schwerwiegende Jugoslawien-Band (Vertreibung der Donauschwaben) folgen.

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Der Kölner Universitätsprofessor für neue Geschichte Dr. Theodor Schieder erklärte kürzlich auf einer Tagung, daß die vom Bundesministerium für Vertriebene in Bonn herausgegebene Dokumentationsreihe nicht eine Art intellektueller Rache zu üben habe, sondern weitgehend auch die Vorgeschichte der Vertreibung einbeziehen müsse. Den bisherigen Publikationen dieser Reihe Uber die Vertreibung in den Gebieten östlich der Oder-Neiße (zwei Bände), aus Ungarn (ein Band), Rumänien (ein Band) und den Sudetenländern (zwei Bände) soll noch im Laufe dieses Jahres der in jeder Weise schwerwiegende Jugoslawien-Band (Vertreibung der Donauschwaben) folgen.

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Die zeitgeschichtliche Dokumentationsliteratur der Donauschwaben ist dürftig. Die ersten Stellen, die sich damit beschäftigten, waren die Katholische Flüchtlingsseelsorge in Salzburg unter der initiativen Leitung des kürzlich verstorbenen Franziskanerpaters* Prof. Stefan und das (evangelische) Christliche Hilfswerk, ebenfalls in Salzburg, mit dem heute in Cleveland lebenden Anton Rumpf an der Spitze. Aus der besonderen Situation jener Jahre heraus konzentrierten sich dann etwa 1948 bis 1950 die Dokumentationsbemühungen Pater Stefans auf den Einsatz der Volksdeutschen Waffen-SS, zumal es galt, jene diskriminierenden Bestimmungen der US-Einwanderungsgesetzgebung zu bekämpfen, die aus der vorausgesetzten Freiwilligkeit der Volksdeutschen Waffen-SS abgeleitet wurden. In engster Zusammenarbeit mit Konsistorialrat Prof. Haltmayer und dem Exponenten der Donauschwaben in den USA, Peter Max Wagner, der über seine parteipolitischen Beziehungen bis hinauf zu Truman durchsetzen konnte, daß der damalige DP-Chef John W. G i b s o n nach Salzburg entsandt wurde, wo ihm im Hotel Meran ein gutfundiertes, in zehn Exemplaren ausgefertigtes Elaborat überreicht wurde. Damit gelang es, auf internationaler Ebene die ersten bescheidenen und doch sehr weittragenden Erfolge zu registrieren.

Zwischendurch bemühte sich auf eigene Faust, lediglich in der Absicht, der deutschsprachigen Oeffentlichkeit eine volkstümlich gehaltene Darstellung der Ereignisse vorzulegen, der Journalist Leopold R o h r b a c h e r, die Fülle seiner persönlichen Erlebnisse, umfangreiches Material von glaubwürdigen Gewährsleuten und die Aufzeichnungen des Kronzeugen des jugoslawiendeutschen Golgatha, Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. Wilhelm Neuner, zu verarbeiten. Das Ergebnis seiner zeitgeschichtlichen Durchdringung dieses Stoffes war der donauschwäbische Beststeller seit 1945 „Ein Volk ausgelöscht“. In seinem zusammenfassenden Ergebnis durchaus wahrheitsgetreu und stichhaltig, hat dieses erste, der breiten Oeffentlichkeit vorgelegte Dokument aber den Nachteil, daß es in einzelnen,“ wenn auch oft nebensächlichen Details einer kritischen Ueberprüfung nicht immer standhält.

Die Mängel dieser Arbeit ergaben sich wohl auch daraus, daß, die Gruppe dieses gigantische, für die damalige politisch-psychologische Situation lebenswichtige Unterfangen in keiner Weise unterstützte. Teils weil Rohrbachers „klerikale“ journalistische Vergangenheit den Volksgruppenakteuren von einst nicht behagte und sein Anliegen über den intakt gebliebenen „Apparat“ — einzig die „Organisation“ überdauerte das Grauen 1 — sabotierte, teils weil Rohrbacher andeutungsweise auch in jene Zusammenhänge hineinzuleuchten begann, die der Vertreibung vorausgingen und diese — wenn auch in keiner Weise entschuldbar oder zu rechtfertigen — allenfalls psychologisch vorbereiten half.

Erst Jahre darnach, als sich die Volksdeutsche Forschung auch mit den zeitgeschichtlichen Publikationen etwa der Jugoslawen auseinanderzusetzen begann, dämmerte es allmählich, wie ausschlaggebend psychologisch die Vorgeschichte der Vertreibung in die Waagschale fiel, wenn man begreifen wollte, was in den Jahren 1944 bis 1946 vor den schreckgeweiteten Augen der Beteiligten abgerollt war. Hinter die letzten Geheimnisse der geradezu pathologischen Brutalität der Banater Zigeuner kommt man erst, wenn berücksichtigt wird, daß während der deutschen Besetzung 1941 bis 1944 das fahrende Volk einer „Haarschneideaktion“ ausgesetzt war und gemäß der Verfügung irgendeines wahnwitzigen Verwaltungsbeamten jeder Lausbub, wo immer er des „lichtscheuen Gesindels“ beiderlei Geschlechts habhaft wurde, es seiner Lockenpracht entblößen konnte. Man wird die Unmenschlichkeiten, begangen an den Batschkaer Schwaben 1944 bis 1945, tiefenpsychologisch nur auf dem Hintergrund des Neüsatzer Blutbades im Winter 1941 bis 1942 richtig deuten können, als eine entmenschte ungarische Soldateska in drei Tagen und qualvollen Nächten an die 8000 Serben und Juden an der Donau unter das Eis schoß. Aber auch die Intransigenz königstreuer Serbenführer; den legendären TschetfiifcgeneraT Draia MihajlovjC miteingeschlossen, dessen 1943 im Dorfe Ba formuliertes Programm die Ausrottung der deutschen Minderheit vorsah, wird man in Zusammenhang bringen müssen mit der subversiven Tätigkeit einiger Volksgruppenakteure, die lange vor 1941 gewissenlos genug waren, das Vorfeld der Volksgruppenorganisation als Nachrichtenstelle für die Canaris-Abwehr mit zwei Geheimsendern „Nora“ und „Vera“ zu mißbrauchen.

Rohrbachers Buch, das Werk eines in die Vereinsamung gedrängten Einzelgängers, war eine erste donauschwäbische Bilanz. Es war aber kein wirksames Gegenstück den schon 1945 auf Hochtouren angelaufenen tito-jugoslawischen Dokumentationsbemühungen gegenüber. Auf internationaler Ebene, das merkte man bald auch bei den Friedensverhandlungen, wo wiederholt auch das Volksdeutsche Problem zur Sprache kam, wog das von Tito herausgegebene sechsbändige Werk „Zlocini okupatora i njihovih pomagaca“ (Die Verbrechen der Okkupatoren und ihrer Helfershelfer) schwerer. Wir hatten die Heimat verloren, nun galt es, sich allmählich damit abzufinden, daß mit den Verbrechen einzelner die ganze Gemeinschaft belastet wurde.

Rohrbacher gab aber noch nicht auf. Mit seiner Broschüre „Die Ausrottung der deutschsprachigen Minorität in Jugoslawien“ (1949) nahm er nochmals einen Anlauf. Aber auch er blieb erfolglos.

Schon etwa 1948 reifte auch im Kreis um den exponierten Minderheiten-Parlamentarier Dr. Stephan Kraft ein Dokumentationsplan aus, zu dessen Verwirklichung sich eine Reihe von Mitarbeitern hauptsächlich aus der Volksgruppenarbeit von einst bereitwillig zur Verfügung stellte. Die gesammelten Unterlagen blieben aber irgendwo in einer Schreibtischlade unausgewertet liegen, als das Bonner Ver-triebenenministerium die Erhebungsarbeiten für das gesamte Geschehen im Osten und Südosten auf wenige subventionierte Stellen konzentrierte, von denen für den Südosten das Südostdeutsche Kulturwerk unter der Leitung von Prof. Dr. Fritz V a 1 j a v e c (München) als die einzige Auffangstelle ausersehen wurde. Die Wissenschaftliche Kommission in Bonn, die mit der Bearbeitung des Materials beauftragt wurde, hat inzwischen unter dem Kölner Universitätsprofessor Dr. Theodor S c h i e d e r die eingangs erwähnte Dokumentationsreihe begonnen.

Am Ungarn-Band dieser Dokumentationsreihe entzündete sich eine Diskussion, die in verhängnisvoller Weise jene brüchigen Stellen des historischen Volksgruppenbildes eines Teiles der auch heute noch in der Verantwortung stehenden Männer offenbarte, die nicht fähig oder nicht willens waren, mit einer unseligen Vergangenheit endgültig zu brechen. Die Vertreibung kann nicht allein aus Volksdeutscher Sicht heraus beurteilt, sondern muß als historisches Phänomen im Rahmen der Weltpolitik im allgemeinen und der Ostpolitik des Dritten Reiches im besonderen gesehen werden. Es ist kein Geheimnis, daß ausländische Institute heute auch über den letzten Abschnitt der deutschen Ostpolitik, über die Verflechtung der Volksgruppenorganisationen vor allem mit dem SS-Führungshauptamt über die VOMI über viel umfassenderes dokumentarisches Quellenmaterial verfügen als die Deutschen selbst. Aus dieser Volksdeutschen Ortsblindheit heraus kommt es zu jener verhängnisvollen Selbsttäuschung darüber, inwiefern uns als Vertriebenen nach all dem, was 1945 die deutsche Katastrophe heraufbeschwor, Möglichkeiten geboten sind, unsere Anliegen vor der großen Welt zu vertreten. In richtiger Einschätzung dieser Gesamtlage hat das Bundesministerium für Vertriebene in Bonn noch unter Minister Dr. Lukaschek der Wissenschaftlichen Kommission unter Schieder die „volle Freiheit und Unabhängigkeit des Urteils und der Entscheidung“ gewährleistet.

Was in der Volksdeutschen Publizistik nach 1945 nicht und nicht in Fluß kommen wollte, nämlich eine verantwortungsbewußte Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit, einer Vergangenheit, die immerhin der Volksgruppe in ihrer Gesamtheit Entrechtung, Vertreibung, Vernichtung gebracht hat, im Dokumentationswerk des Vertriebenenministeriums wurde sie auf breitester Linie vorangetragen, und zwar in einer so objektiven Weise, daß selbst die Engländerin Elisabeth W i s k e m a n, die dem Volksdeutschenproblem, gelinde gesagt, sehr kritisch gegenübersteht, die Darstellung der Wissenschaftlichen Kommission bisher in keinem entscheidenden Punkt widerlegen konnte. Es kann nicht darum gehen, Fehlentwicklungen von früher zu verschleiern, zu unterschlagen oder zu rechtfertigen, da es auch uns Heimatvertriebenen bei der Bereinigung dieses düsteren Kapitels ausschließlich darum gehen muß, eine neue moralische Kraft zu entwickeln, „um die Spannungen zwischen den Völkern des östlichen Mitteleuropas, ja ganz Europas zu überwinden, damit das unsagbare Leid unserer Generation nicht ganz sinnlos bleibt“ (aus dem Vorwort zum Band I/l der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“).

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