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Damoklesschwert über Christenköpfen

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Glimpflich ist die Geschichte für den vierzehnjährigen Salamat Masih und seinen Onkel Rahmat ausgegangen.

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Glimpflich ist die Geschichte für den vierzehnjährigen Salamat Masih und seinen Onkel Rahmat ausgegangen.

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Das erstinstanzliche Todesurteil wegen Blasphemie, gefällt Anfang Februar im pakistanischen Lahore, wurde aufgehoben, die beiden Christen wurden freigelassen, und es konnte auch verhindert werden, daß fanatisierte Islamisten sie umbrachten - so wie sie es mit einem dritten Angeklagten in jenem Prozeß schon im Sommer 1994 gemacht hatten. Die beiden Pakistaner sind heute in Deutschland in Sicherheit. Einige Länder, Österreich war nicht darunter, stellten sich sofort als Asylland zur Verfügung.

Aber die Christen in Pakistan können nicht aufatmen. Das 1991 neüformulierte Blasphemiegesetz, das die Todesstrafe für Gotteslästerung vorsieht, schwebt weiterhin als Damoklesschwert über ihren Häuptern. Zwar gibt es längst eine Motion im Parlament, die das Gesetz abschaffen will, und auch Premierministerin Benazir Bhutto würde es lieber heute als morgen loswerden, aber die politischen Kräfteverhältnisse erlauben es im Moment wohl nicht. Im Parlament ist eine Zweidrittelmehrheit für derartige Gesetzesänderungen derzeit nicht zu erreichen. Und solange Bhutto die Stimmen der Islamisten braucht, muß sie auf deren Wünsche Rücksicht nehmen.

Pakistan mit seinen 130 Millionen Einwohnern, wovon rund zweieinhalb Millionen Christen (eine Million Katholiken) sind, ist heute ein islamisches Land. Ob dies wirklich in den Intentionen des Staatsgründers Mohammed Ali Jinnah lag, darf angezweifelt werden. Jedenfalls hatte er sich bei der Ausrufung des Staates Pakistan explizit für Religionsfreiheit ausgesprochen - die in einem Staatsgebilde, in dessen Verfassung der Islam als Staatsreligion verankert ist, nicht einmal theoretisch möglich ist. Was auch die Islamisten gar nicht abstreiten.

Es gibt religiöse Verfolgung in Pakistan, dessen Glaubens -vielfalt ein Charakteristikum des Landes ist. Die Ahmadiya, eine auf dem Islam basierende Sekte, wird bitter bekämpft, ihre Angehörigen sind fast noch mehr als die Christen durch das Blasphemiegesetz gefährdet, das so gestaltet ist, daß es zu Mißbrauch quasi einlädt. So war denn auch die Anklage gegen Salamat und Bahmat mehr als dubios.

Während es die Scharia, das islamische Becht, sehr genau damit nimmt, daß Verbrechen, auf die die Todesstrafe steht, ausreichend durch Zeugen belegt sind (keine Indizienprozesse!), so genügt in Pakistan bei Blasphemie ein einziger Zeuge.

Aussagen von Nicht-Moslems haben dieselbe Wertigkeit wie die von moslemischen Frauen, also die Hälfte einer Aussage eines moslemischen Mannes. Die Aussage einer nicht islamischen Frau ist wieder nur die Hälfte davon wert. Ein männlicher Moslem hat demnach vor Gericht so viel Gewicht wie vier Christinnen! (Was das etwa für Vergewaltigungsprozesse bedeutet, kann man sich vorstellen). Das pakistanische Strafrecht ist ein gutes Beispiel dafür, daß ein Gemisch von Scharia und westlichem Recht unter Umständen weit krasser sein kann als pures islamisches Recht.

Der Franziskanerpater Louis Mascarenhas, der im Juli 1994 als Gast der MISSIO Austria an einem Symposion in der Steiermark teilnahm, betonte aber im Gespräch immer wieder, daß durchaus auch viele Moslems auf der Seite der Christen für mehr Schutz der Minderheiten kämpfen.

Aber angesichts einer zunehmenden religiösen Fanati-sierung schrecken selbst liberale Rechtsanwälte mehr und mehr davor zurück, Verteidigungen in Blasphemiefällen zu übernehmen.

Ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde das Leben für die Christen in Pakistan deutlich schwieriger. 1979 proklamierte Zia ul-flaq die „Islamische Ordnung”. Spätestens seit damals sind die Christen Bürger zweiter Klasse. So dürfen sie auch nicht gemeinsam mit den Moslems wählen gehen, für sie gibt es einen getrennten Wahlgang - angeblich ist das islamisch, jedenfalls ist es ein patentes Mittel der politischen Kontrolle. 1991 konnte mit Mühe — aber immerhin -die von den Islamisten verlangte Eintragung des Beligi-onsbekenntnisses in den Personalausweis abgewendet werden.

Wenn man aber einen Namen wie „Masih” - das heißt „Christ” - führt, braucht man gar nicht erst per Ausweis abgestempelt zu werden.

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