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Das „Allgemeine“ - unterirdisch?

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Durch die im vergangenen Sommer getroffenen Vereinbarungen zwischen dem Bund und der Gemeinde wurde der Bau eines neuen Allgemeinen Krankenhauses in Wien, wenn nicht in greifbare Nähe, so doch in absehbare Entfernung gerückt. Damit wird einem dringlichen sanitären, fast könnte man auch sagen, kulturellen Bedürfnis Rechnung getragen, da die neuen Kliniken, wenn sie entsprechend ausgestaltet werden, nicht nur einer weit größeren Anzahl von Kranken als bisher moderne Heilmethoden bieten, sondern auch große Aerzte und Forscher aus dem Ausland nach Wien ziehen werden, die heute eine Berufung hierher im Hinblick auf den antiquierten Zustand unserer medizinischen Universitätsinstitute vielfach ablehnen.. Nicht nur dieser Umstand läßt es als notwendig erscheinen, das neue „Allgemeine“ nach modernsten Grundsätzen zu errichten, sondern auch das Bewußtsein, daß diese Anstalt für viele Jahrzehnte den Bedürfnissen wird genügen müssen, wenn wir auch nicht hoffen wollen, daß sie das ehrwürdige Alter des heutigen Instituts erreichen wird.

Ueber die Platzfrage des neuen Krankenhauses ist man sich bereits im wesentlichen klar. In Kürze ist mit der Ausschreibung eines Architektenwettbewerbes zu rechnen. Der derzeitige Zeitpunkt scheint daher geeignet, eine Idee zur Diskussion zu stellen, die nicht als Ausgeburt einer krankhaften Phantasie, sondern als Ergebnis reiflicher, auf ausländische Erfahrungen gestützter Ueberlegungen betrachtet werden möge: die Idee, das neue Allgemeine Krankenhaus unterirdisch zu bauen. Die Vorteile einer solchen Planung sollen im folgenden kurz skizziert werden.

Nicht nur außerhalb unseres Kontinentes, sondern auch in den nordischen Staaten Europas geht man in steigendem Maße dazu über, industrielle und gewerbliche Betriebe, Lagerhäuser und Werkstätten sowie soziale Anstalten unter der Erdoberfläche zu errichten. Die dabei gewonnenen Erfahrungen haben gelehrt, daß die Unterirdische BaufüHriing k eines w-e g s je 8“% f.'ls p i e 1 i“f-Vt tsderuretero,ist das die hier für die Fassade, das Dach und die Fenster erforderlichen Aufwendungen bei der ersteren Bauweise wegfallen und daher die finanziellen Mittel zur Gänze der Innenausstattung zugewendet werden können. Die anfallenden ungeheuren Erd- und Steinmassen können dem Straßenbau, der Planierung oder ähnlichen Zwecken zugeführt werden. Die Erfahrung hat ferner gezeigt, daß die unterirdischen Räume hinsichtlich der Temperatur, der L u f t-f eü c h t i g k e i t und der Beleuchtungsverhältnisse weitaus gleichmäßiger und konstanter sind als oberirdische. Aus diesem Grunde stellen sich auch die Betriebskosten, insbesondere jene für die Beheizung, geringer. Vor allem aber wirkt sich diese Gleichmäßigkeit auch auf die Psyche der in unterirdischen Räumen tätigen oder untergebrachten Menschen äußerst wohltuend aus, so daß zum Beispiel die Arbeiter unterirdischer Industriebetriebe nach einer kurzen Eingewöhnungszeit mit ihren oberirdischen Kollegen nicht mehr tauschen möchten.

Die unterirdischen Räume lassen sich aber auch mit relativ geringem Mehraufwand bomben- und strahlensicher gestalten. Dies gilt nicht nur bei felsigem Grund, wie er etwa in Stockholm vorhanden ist, sondern kann auch bei weichem und sandigem Boden durch entsprechende technische Maßnahmen erreicht werden. Infolgedessen kann der Betrieb auch im Falle einer Gefahr ohne Unterbrechung und Beeinträchtigung weitergeführt werden. Darüber hinaus sind die unterirdischen Anlagen im Ernstfall aber auch geeignet, einer größeren Menge außenstehender Personen, deren Zahl bei einem Betrieb von den Dimensionen des Allgemeinen Krankenhauses in die Zehntausende gehen würde, Schutz zu bieten. Dieser letzterwähnte Gesichtspunkt soll gewiß nicht überschätzt werden; hoffen wir doch alle, daß die Neutralität Oesterreichs in einem künftigen Krieg von allen Seiten respektiert werden würde. Er darf allerdings auch nicht unterschätzt werden. Denn wenn wir auch von unmittelbaren kriegerischen Einwirkungen auf unser Land absehen wollen, kann die Möglichkeit doch nicht ausgeschlossen werden, daß sich atomare Strahlungen von jenseits unserer Grenze, ja selbst die für friedliche Zwecke gezähmte Atomkraft eines Tages auch für uns gefährlich auswirken könnte.

Schließlich wäre auch noch zu erwägen, daß sich durch die Möglichkeit einer kombinierten ober- und unterirdischen Bauweise eine bedeutende Raumersparnis erzielen ließe. Dabei würde die Bombensicherheit des Unterbaues durch den Oberbau noch erhöht werden. Natürlich müßten auch bei dieser Bauweise die lebenswichtigen Räume unter der Erde angelegt werden, während in unserem konkreten Fall etwa Wohnungen für Aerzte und Schwestern, Kanzleizimmer, Bibliotheken und Archive, Vortragssäle, Garagen und dergleichen oberirdisch gebaut werden könnten.

Ohne dem Urteil der Fachleute vorgreifen zu wollen, darf auch darauf hingewiesen werden, daß nach den heutigen Erkenntnissen der Medizin wenigstens bei einem Teil der Krankheiten der Ausschluß der unmittelbaren Sonneneinwirkung und die Möglichkeit einer beliebigen Graduierung der Beleuchtung gesundheitsfördernd wirkt. Den Rekonvaleszenten könnten oberhalb des unterirdischen Krankenhauses, gewissermaßen auf dessen Dach, ausgedehnte Parkanlagen zur Verfügung gestellt werden, die von jedem Teil des unterirdischen Gebäudes mit dem Lift bequem zu erreichen wären.

Wenn wir den schwedischen Vorbildern, die wohl die modernsten in Europa sind, folgen, müßte die unterirdische Anlage von allen Seiten durch Zufahrtsstraßen, die bis in das Zentrum ihrer untersten Etage führen, erreichbar sein. Jede Einfahrtsöffnung wäre durch schwere, auf Rollen laufende Tore aus detonationssicherem Stahlbeton elektrisch abzuschließen, die so konstruiert sind, daß sie gleichzeitig auch radioaktive Strahlen und biologische Kampfmittel abhalten. Die Zahl der unterirdischen Stockwerke wird lediglich durch den Grundwasserspiegel beschränkt. Die einzelnen Etagen wären zweckmäßigerweise nicht nur durch Aufzüge, sondern auch durch serpentinenförmige Fahrstraßen zu verbinden. Sicherheitshalber sind

Notausstiege zur Erdoberfläche in entsprechender Zahl einzubauen, die selbstverständlich oben durch Betondächer abzuschirmen und durch entsprechende Luftfilter gegen gesundheitsschädigende Einwirkungen zu schützen wären. Der gleiche Schutz muß natürlich auch bei den elektrischen Ventilatoren und Exhaustoren vorgesehen werden, die das Kohlendioxyd absaugen und die Anlage fortlaufend mit Frischluft versorgen. Ebenso wären entsprechende Vorkehrungen für die Reinigung des Grundwassers, das bei Ausfall der öffentlichen Wasserversorgung durch elektrische Pumpen gewonnen wird, zu treffen. Die Zentralheizungsanlage, die durch Thermostaten reguliert wird, ist, wie schon oben bemerkt wurde, in unterirdischen Gebäuden erheblich sparsamer als in oberirdischen.

Von besonderer Bedeutung ist naturgemäß die Stromversorgung. Eine eigene Kraftanlage, die sich bei Aussetzen der öffentlichen Stromzufuhr so schnell automatisch einschaltet, daß die Unterbrechung höchstens einige Sekunden dauern kann, muß in der Lage sein, für den gesamten Komplex Licht- und Kraftström in ausreichender tyenge zu erzeugen. Die moderne Beleuchtungstechnik ermöglicht es, sämtliche Räume mit einem dem Tageslicht sehr ähnlichen Licht zu versehen, das je nach Bedarf verschieden abgestuft werden kann. Nebenbei sei erwähnt, daß es möglich ist, durch Verwendung verschiedener Farbschattierungen bei der Ausmalung der Wände ein und desselben Raumes den Eindruck der Sonnenbeleuchtung zu erwecken. Daß auch das interne Fernsprechnetz durch eigenen Strom gespeist werden kann, versteht sich von selbst. Für den Fall der Gefahr sollen überdies aber auch Funksprechgeräte vorhanden sein, die eine Notverbindung sowohl innerhalb der Anstalt als auch nach außenhin ermöglichen.

Wir haben im vorstehenden nur einen Teil der technischen Probleme aufgezeigt, die bei unterirdischen Großbauten zu lösen sind und durchaus befriedigend gelöst werden können. Für unsere Techniker würde sich jedenfalls eine Fülle interessanter und reizvoller Aufgaben ergeben. Wer jemals an einer Konferenz oder einer Festveranstaltung in den unterirdischen Gesellschaftsräumen des- Arkaden-Hotels in Malmö teilgenommen oder sich in anderen unterirdischen Räumlichkeiten in Schweden aufgehalten hat, wird die Ueberzeugung gewonnen haben, daß es keinen Rückschritt bedeutet, den Menschen wieder zum Höhlenbewohner in diesem Sinne zu machen, und daß das Leben unter der Erde außerordentlich behaglich sein kann.

Es wird Sache der Fachmänner; in erster Linie natürlich der Aerzte, sein, die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit eines unterirdischen Krankenhauses nach allen Richtungen zu überprüfen. Wenn unsere Ausführungen dazu beitragen, eine Diskussion über das Problem zu eröffnen, so haben sie ihren Zweck erfüllt. Im Interesse des internationalen Ansehens würden wir es wünschen, daß man sich dazu entschließen könnte, die einmalige Gelegenheit, einen bahnbrechenden Schritt zu tun, zu nutzen. Wir sind überzeugt, daß in einigen Jahrzehnten ein Großteil der Krankenanstalten auf der ganzen Welt unter deT Erde liegen wird. ...........“ . .

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