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Das andere Preußen

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Es ist sicher ein recht ungewöhnlicher Vorgang, wenn im Jahre 1951 an einer bayrischen Universität eine Rede zum 250. Gründungstag des preußischen Staates gehalten wird. Besonders, wenn diese Rede den Versuch darstellt, dem landläufigen Zerrbild eine gerechte Würdigung des Preußentums gegenüberzustellen — und wenn der Festredner ein jüdischer Universitätsprofessor ist. — Hans Joachim Schoeps, 1909 in Berlin geboren, war nach Ablegung des philosophischen Staatsexamens als Privatlehrer und Verleger in Berlin tätig. Von 1938 bis 1946 lebte er in der Emigration in Schweden, wo er mit mehreren wissenschaftlichen Publikationen hervortrat, habilitierte sich in Marburg und wurde 1947 auf eine planmäßige außerordentliche Professur für Religion und Geistesgeschichte an die Universität Erlangen berufen. Die Familie des Autors entstammt jenem konservativen, königstreuen Judentum, das vom Lebensgesetz des preußischen Staates geprägt wurde: „Sein Schicksal symbolisiert sich mir im Schicksal meines alten Vaters, der in ein böhmisches Konzentrationslager deportiert wurde, weil er sich weigerte, das Land zu verlassen, dem er als Oberstabsarzt stets treu gedient, und der zudem der Meinung war, daß eine Obrigkeit gar nicht unrecht tun könne. Er hat seinen Irrtum mit seinem Leben, der Staat Preußen hat ihn mit seiner Existenz bezahlt.“

Hiemit sind einige wichtige Leitmotive und Grundgedanken der mit vorbildlicher Objektivität geführten Untersuchung von Schoeps * gegeben. Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig und Urheber des preußischen Militarismus, der häufig als „Gamaschenknopf“ von etwas einfältiger Sinnesart geschildert wird, war der Urheber des preußischen Rechtsstaates. Mit dem Satz: „Gerechtig-

* „Die Ehre Preußens.“ Von Hans Joachim Schoeps. Friedrich-Vorwerk-Verlag, Stuttgart 1951. 48 Seiten. Vom gleichen Autor erscheint demnächst „Das andere Preußen“ (ungefähr 400 Seiten).

keit, das war sein bester rocher de bronce“ hat ihm Theodor Fontane ein Denkmal gesetzt, Friedrich Wilhelm I. stand noch ganz in der religiösen Reichsfürstentradition des 16. und 17. Jahrhunderts. Im Sinne der lutherischen Ableitung des Königtums aus dem Vatertum war er „Landesvater“. Seine Krone hat er als ein Amt empfunden und sich selbst bezeichnete er als den „ersten Diener des Königs von Preußen“. In seinem Testament von 1722 stehen folgende an seinen Sohn gerichtete Sätze:

„Mein lieber Nachfolger, ich bitte Euch, keinen ungerechten Krieg anzufangen, denn Gott hat ungerechte Kriege verboten, und Ihr müßt immer Rechenschaft ablegen für jeden Menschen, der in einem ungerechten Krieg gefallen ist... Da6 ist eine harte Sache; also bitte ich Euch, haltet Euer Gewiesen rein vor Gott, dann werdet Ihr eine glückliche Regierung führen.“

Friedrich IL, der eigentliche Schöpfer Preußens, wie die Welt es kennt, ist einen anderen Weg gegangen. Nicht das Recht, sondern die Staatsräson wurde zur Richtschnur seines Handelns. In den ungerechten Kriegen, die er führte, zeigt sich diese neue Einstellung am deutlichsten. Er war es auch, der in die Nation den Gedanken des Staates wie einen Fremdkörper einpflanzte und sein Staatswesen zum „Niemandsland der Staatsräson“ machte:

Friedrich II. ist der erste reine Politiker, den die moderne Geschichte kennt, der nichts im Rücken hat als den Staat 6elbst. Weder das Reich noch die Nation, weder die Religion noch die Kultur geben seiner Politik ihre Rechtfertigung ... Der auf seine Militärmacht aufgebaute Staat ist zum Inhalt der Religion — nein, zur Religion selbst geworden.

Gegen den Ausspruch „Ich bin der erste Diener des Königs von Preußen“, den der Vater getan, steht das hybrid-bescheidene Wort Friedrichs IL: „Ich bin der erste Diener meines Staates“. An der Differenz dieser beiden Aussprüche, meint Schoeps, komme die ganze Spannung zum Ausdruck, die die preußische Geschichte durchzieht: Legalität gegen Staatsräson, Amt und Auftrag

gegen genialische Individualität, Königtum gegen Führertum. Seither zeigt die preußische Existenz ein Doppelgesicht: sie kann an Amt und Auftrag gebunden sein, sie kann aber auch in der Ver-götzung der Disziplin ihr Genügen finden und zum „Kadavergehorsam“ entarten.

Der in eine große Zeit hineingestellte Friedrich Wilhelm III. hielt sein Versprechen, dem Volk nach glücklich beendetem Krieg eine Konstitution zu geben, nicht. Damit begann eine verhängnisvolle Entwicklung, die breite Volksschichten von der Mitverantwortung am Staat ausschloß. Auch Friedrich Wilhelm IV. wollte von einer Konstitution nichts wissen und lehnte es aus religiösen Gründen ab, die Kaiserkrone vom Frankfurter Parlament zu empfangen. Er hat sein königliches Amt „in einem tiefen und sehr reinen Sinn als Gottesgnaden-tum aufgefaßt... Er hat das Königtum lutherisch verstanden aus der Verantwortung der Obrigkeit vor Gott: „Daß der Monarch der erste Diener des Staates sei, wie Friedrich der Große es gelehrt hatte, war das genaue Gegenteil seiner Anschauung.“

Erst unter Bismarck bildete sich jene „typische Verbindung von persönlichem Christentum und politischem Heidentum“ heraus, „die das politische Tun und Lassen von christlichen Grundsätzen ganz unberührt läßt“. Dagegen richtete sich der Angriff des erbitterten Bismarck-Gegners Ludwig von Gerlach, des Begründers der „Kreuzzeitung“:

„Hüten wir un6 vor der scheußlichen Irrlehre, als umfaßten Gottes heilige Gebote nicht auch die Gebiete der Politik, der Diplomatie und de6 Krieges und als hätten diese Gebiete kein höheres Gesetz als patriotischen Egoismus. Justitia fundamen-tum regnorum1“

Im Deutsch-Französischen Krieg warnte Gerlach davor, einer christlichen Nation

das Wort „Erbfeind“ anzuheften, und auch sein flammender Appell gegen den Deutschland zerstörenden Bruderkrieg blieb ohne Widerhall. Unter dem „Reisekaiser“ Wilhelm II. — im Gegensatz zum „greisen Kaiser“ — ist von der alten Substanz der altpreußischen Konservativen Partei viel verwirtschaftet worden, und die Idee des Rechtsstaates wurde ausgehöhlt: „Was gerade den Politiker Gerlach für uns heute zu einer so atemberaubend aktuellen Gestalt werden läßt“, sagt H. J. Schoeps, „ist sein einsames Frondieren gegen Führertum und totalen Staat — damals nannte man das .Staatsomnipotenz' — um der konservativen Rechtsstaatsidee willen.

Wir stehen heute in einer Revision der uns überkommenen Geschichtsbetrachtung. Es 6teht ernsthaft zur Frage, ob der Gerlachs Politikertum beendigende Anbruch der neuen Ära auch eine gute Ära eingeleitet hat Mit anderen Worten also, ob Preußens Weg von Olmütz nach Königgrätz ein heilsamer Weg gewesen ist oder ob nicht doch ein Zusammenhang besteht zwischen dem Abgehen von den Wegen Fried-

rich Wilhelms IV. und dem Ende der Monarchie in Preußen und in Deutschland?“ Im letzten Teil seiner Rede spricht H. J. Schoeps von Preußens Tugenden und Gefahren, von seinen Werten und seinen Grenzen. Die das Luthertum säkularisierende kantische Ethik hat das preußische Beamtentum hervorgebracht mit der Tugend unbedingter Pflichterfüllung, aber mit mangelndem Verantwortungsgefühl. Die Meinung des Autors, daß das preußische Dienstethos eine gute Verwaltung hervorgebracht habe, wird wohl nicht allgemein geteilt werden. Dem preußischen Bürgertum aber

fehlte es an moralischem Mut und geistiger Zivilcourage. Die Enge seines Horizonts machte es unfähig, andere Völker zu verstehen, und erzeugte zugleich ein Uberwertigkeitsbewußtsein, das allgemein bekannt und wenig geschätzt ist. Daher kann insbesondere Osterreich, das seiner Geschichte und Kultur nach völlig anders ist, in einem von Preußen regierten Staat nie seine politische Heimat finden. Trotzdem darf das konservative Preußentum für die Fehler, die ein entartetes national-chauvinistisches Regime später beging, nicht verantwortlich gemacht werden. — auch auf kulturellem

Gebiet habe der preußische Staat nicht versagt. Männer, wie Heinrich von Kleist, Wilhelm von Humboldt, Schinkel, Scha-dow, Theodor Fontane und — aus neuerer Zeit — der preußische Kultusminister C. H. Becker legen von einer achtenswerten Kulturtradition Zeugnis ab. Für ganz Europa aber gelte die Erkenntnis, „daß mit dem Sturz der Habsburger und Hohenzollern das gegliederte Ordnungsfeld, das Mittel- und Südosteuropa bis dahin relativ dargestellt haben, sich aufgelöst hat. Seitdem leben wir in einer Zeit dauernder Wandlungen, Umstürze und Revolutionen.“

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