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Das angesagte Ende bleibt aus

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Mit einem nahen Ende rechnen viele Sekten und religiöse Sondergruppen. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Motiv durch ihre Entstehungsgeschichte.

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Mit einem nahen Ende rechnen viele Sekten und religiöse Sondergruppen. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Motiv durch ihre Entstehungsgeschichte.

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Im 19. Jahrhundert bildeten sich ganz unterschiedliche Organisationen: Die 1830 gegründete „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage” hat bereits im Namen diesen Aspekt. Diese Gemeinschaft, die unter der Bezeichnung „Mormonen” besser bekannt ist, geht von der Vorstellung aus, daß sie die in der Endzeit wiederhergestellte Kirche ist, während alle anderen Kirchen die Wahrheit nicht mehr besitzen. Ihre Verkündigung ist von hohem Optimismus getragen: Es geht nicht um die mögliche Verdammnis, sondern viel mehr um eine ständige Weiterentwicklung auch nach dem Tod - sodaß es letztlich viele Götter geben soll...

Anders orientiert ist die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventi-sten, die sich aus der Adventbewegung des Amerikaners William Miller entwickelte, der für 1843/44 das Weltende verkündete. Diese Gemeinschaft hat sich im Lauf ihres Bestehens immer mehr von der Fixierung auf das nahe Ende gelöst und ist heute international in einem beachtlichen positiv zu würdigenden Maß sozial engagiert.

Wer kennt nicht die Zeugen Jeho-vas, die mit ihren Zeitschriften „Wachtturm” und „Erwachet!” an vielen Straßenecken stehen oder fühlt sich durch einen ihrer Hausbesuche zur ungünstigen

Zeit gestört? Diese Organisation ist für ihre Endzeitberechnungen bekannt. Bereits ihr Gründer, Charles T, Busseil, berechnete das Ende dieser Welt für das Jahr 1914. Er selbst mußte noch erleben, daß seine Berechnung - wie jene der adventistisch orientierten Splittergemeinschaft, von der er sich wegen einer nicht eingetroffenen Endzeitberechnung 1874 getrennt hatte -sich als falsch erwies. So erhoffte er das Ende für 1918, starb aber 1916.

Sein Nachfolger, Joseph F. Buther-ford, erwartete für 1925 die Auferstehung von Abel, Abraham, Isaak et cetera („Würdige der alten Zeiten”) als „Fürsten in aller Welt”. Als sie aber nicht eintraf, vertagte er deren Auferstehung auf unbestimmte Zeit. Unter seinem Nachfolger, Nathan H. Knorr, erschien 1966 das Buch „Ewiges Leben - in der Freiheit der Söhne Gottes”, welches das Jahr 1975 als neuen Endzeittermin bekanntgab.

Lange Zeit haben die Zeugen Je-hovas das Jahr 1914 betont: Jesus Christus herrscht nach ihrer Überzeugung seit 1914 als König im Himmel und ist unsichtbar auf der Erde gegenwärtig. Die Generation von 1914 werde die sichtbare Wiederkunft Jesu Christi erleben.

Diese Lehre wurde allerdings im vergangenen Jahr verändert. Denn auch die Zeugen Jehovas haben gesehen, daß sie den Begriff der „Generation” (unter Berufung auf das Psalmwort, daß das menschliche Leben 80 Jahre dauert) nicht überstrapazieren können. Deswegen heißt es heute, daß mit 1914 Jesus Christus seine Herrschaft im Himmel angetreten und damit eine neue Ära begonnen habe, deren Ende die Zeugen Jehovas zumindest derzeit nicht berechnen. Trotzdem: die Betonung, daß die Zeit nur kurz ist, bleibt weiterhin bestehen. Alle diese End -Zeitberechnungen der Zeugen Jehovas wurden „biblisch” begründet -indem die Bibel gleichsam zu einem Bechenbuch gemacht wurde.

Übrigens kennen die Zeugen Jehovas eine „himmlische Hoffnung”, die sich auf 144.000 Auserwählte beschränkt und deren Zahl längst erreicht ist - und eine irdische Hoffnung, eben in einem irdischen Paradies ewig glücklich leben zu können -während Nicht-Zeugen dem Ausgelöschtsein ausgeliefert sind.

Ein anderer endzeitlicher Strang des 19. Jahrhunderts findet sich in der Geschichte der Neuapostolischen Kirche, die aus der Katholisch-Apostolischen Gemeinde, einer englischen Gründung um die Mitte des 19. Jahrhunderts, erwachsen ist. Die englische Gruppe ging von dem Selbstverständnis aus, daß in ihren Beihen 12 Männer zu Aposteln der Endzeit berufen wurden und Christus noch zu ihren Lebzeiten wiederkomme. Aus dieser Fixierung heraus verwahrten sie sich gegen jede Bestellung von Nachfolgern, als einzelne Apostel starben. Hier wurde die Endzeiterwartung konsequent aufrechterhalten - um den Preis, daß diese Gemeinschaft heute bedeutungslos geworden ist und keine priesterlichen Amter nach dem Tod aller Apost el und den von ihnen eingesetzten intsträgrn kennt. Im Unterschied izu hat sich die Neuapostoliscne i che für die Sukzession entschieden; ihre überstarke Fixierung auf den „Stammapostel” als „gegenwärtig redenden Mund Gottes” hat sie auch Fehlberechnungen in Sachen Endzeit rexativ gut überstehen lassen (es war eben nicht Gottes Batschluß ...). Nach fast 100 Jahren eines eher separatistischen Daseins hat sie sich in Richtung missionarischer Gemeinschaft zu entwickeln begonnen.

Andere Hintergründe finden sich in den neuen Gruppierungen, getragen von einer Person mit einem Offenbarungsanspruch. Dazu zählen die Gemeinschaften wie „Universelles Leben”, gegründet von Gabriele Wit-tek, die in Kürze die Wiederkunft Christi erwartet; allein ihr Auftreten wird als Zeichen der Endzeit gewertet; als „rettendes Land” wird die Gegend um Würzburg (wo sich auch das Zentrum befindet) gesehen. Letztlich soll aber alles Materielle - im Sinn der Gnosis - überwunden verden.

Der „Orden Fiat Lux” von Erika Bertschinger-Eicke sieht die Endzeit schon sehr nahe, denn: Es ist schon später als wir denken - und im Jahr 2000 soll bereits die neue Welt Bea-lität sein. Der Initiator der Michaelsvereinigung in der Schweiz, Paul Kuhn, hatte bereits für Mai 1988 den Weltuntergang und die Bettung der Gläubigen mittels Baumschiffen angekündigt. Vor zwei Jahren sprach Kuhn vom Ende des Christuszeitalters und sagte unter anderem: „Weihnachten im Neuen Jerusalem, das ist unser Ziel! Habt keine Angst vor dem Sterben!”

Damit kommen Assoziationen zu jenen Schreckensmeldungen, die 1994 und 1995 die Öffentlichkeit beschäftigt haben, in den Blick, als die esoterische Gemeinschaft der Sonnentempler kollektiv (Selbst-)Mord verübte, um auf den Planeten Sirius zu gelangen und dort eine höhere Bewußtseinsebene zu erlangen ...

Ahnliche Gedankengänge finden sich auch bei manchen Guru-Bewe-gungen. So sieht zum Beispiel Brahma Kumaris die jetzige Ära als die schlech teste der vier Zeitalter an. Sie ist dem Untergang geweiht. Durch Katastrophen hindurch soll eine Neue Welt entstehen, Wer sich jetzt - mit Hilfe der Meditation - seines göttlichen Ursprungs als „Seele” bewußt wird, den erwartet die Beinkarnation als Brah-mane im anschließenden Goldenen Zeitalter.

Ähnliche Aspekte finden sich bei der Vereinigungsbewegung des Sun Myung Mun. Denn Mun und seine Frau gelten als Messias, durch die die Menschheit von der satanischen Verunreinigung der Blutslinie - durch die als „Massentrauung” oft mißinterpretierte „Segnung”, die eine Adoption in die Familie Muns darstellt - befreit werden kann. Die Anerkennung Muns, die in der „geistigen Welt” bereits erfolgt ist, wie die Mitglieder glauben, soll auch in der physischen Welt ihren Niederschlag finden: in der Errichtung eines „Himmlischen Königreiches” auf Erden ...

Die derzeit düsteren Prognosen in wirtschaftlichen und gesellschaftli-chen Bereichen stellen einen guten Nährboden für Naherwartungen unterschiedlicher Art dar. Und dennoch: Läßt man die verschiedenen Endzeitvorstellungen Bevue passieren, so zeigt sich, daß immer wieder die Naherwartung - in welcher Form sie auch gegeben ist - relativiert wurde. Die Parusieverzögerung ist also auch in diesen Gemeinschaften ein Thema, das überlebensnotwendig ist...

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