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Das bayrische Karussel

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Mit Belustigung und Schadenfreude, schließlich mit unverhohlener Bewunderung, verfolgte die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Wochen die Bemühungen des Bundesverteidigungsministers Franz Joseph Strauß, sein in der Fibag-Affäre etwas angeschlagenes Ansehen durch die Drohung aufzuwerten, Bonn den Rücken zu kehren und künftighin als bayrischer Ministerpräsident ein geruhsames Dasein zu fristen. Die Bemühungen des Ministers glichen für Eingeweihte einem bewunderungswürdigen Trapezakt. Was Franz Joseph Strauß damit und mit verschiedenen Aktionen, wie etwa der Loyalitätserklärung der Generäle, erreichen wollte, war ein anerkennendes Wort des Bundeskanzlers oder dessen Beteuerung, er könne auf seine Dienste nicht verzichten. Damit wollte Strauß die Isolierung sprengen, in die er in den letzten Monaten geraten war. Aber Adenauers Lippen blieben stumm. Auch die für Strauß zwar unangenehme, aber immerhin noch glimpflich abgelaufene Schlußerklärung des Fibag-Ausschusses konnte daran nichts ändern. Adenauer konnte seinem ehemals so geschätzten Verteidigungsminister die voreilig abgegebene Erklärung in der Wahlnacht vom 12. September 1961 nicht verzeihen, der nächste Bundeskanzler werde nicht mehr Doktor Konrad Adenauer heißen. Strauß mußte erfahren, was Adenauer unter der Devise versteht: „Die Rache will kalt genossen sein.“

Die Drohung von Strauß, er werde sich unter Umständen auf den Posten eines bayrischen Ministerpräsidenten zurückziehen, warf ein Schlaglicht auf die politischen Verhältnisse des traditionsreichsten Landes der Bundesrepublik. In diesen Wochen schicken sich die Parteien in Bayern an, ihren Wahlkampf zu den im November stattfindenden Landtagswahlen zu eröffnen. Während in den anderen Ländern Westdeutschlands die Entscheidung praktisch zwischen der CDU und der SPD fällt, wobei der FDP noch eine mehr oder weniger große Rolle zufällt, ist Bayerns politisches Karussell seit jeher bunter bestückt. Hier stehen noch Probleme der Landespolitik zur Debatte. Während die CDU and die SPD in den anderen Ländern stark von der Bonner Zentrale ablängig sind, hat die CSU schon im Manien eine Eigenständigkeit bewahrt, die in der SPD zwar nicht so augenfällig, aber keineswegs weniger vor-landen ist. In beiden Parteien stehen sich nach Bonn orientierte und ausgesprochen bayrische Flügel gegenüber, deren Gegensätze nicht selten jffen zum Austrag kommen.

Bei den Landtagswahlen im Novem-5er bewerben sich aber noch drei deine Parteien um die Gunst der Wähler, die zusammen 1958 immerhin !2,2 Prozent, also mehr als ein Fünftel der Stimmen, auf sich vereinigen connten. Bei den Landtagswahlen in ^ordrhein-Westfalen entfielen zum /ergleich auf die kleinen Parteien nur och etwa 9 Prozent. Es sind dies in Jayern der BHE (8,6 Prozent), die Javernpartei (8,1 Prozent) und die 3DP (5,5 Prozent). Für alle drei Partien ist der Himmel umwölkt. Am itärksten kämpft der BHE mit Auflösungserscheinungen in den eigenen Reihen, und es gibt nur wenige, die ihm eine Chance geben, über die Sperrklausel des bayrischen Wahlgesetzes hinwegzukommen. Diese besagt, daß bei der Verteilung der Mandate nur diejenigen Parteien berücksichtigt werden können, die in einem Regierungsbezirk mehr als 10 Prozent der Stimmen erhielten. Bisher schaffte das die Bayernpartei in Nieder- und Oberbayern und die FDP, wenn aucli knapp in Unterfranken. Ob das auch diesmal so sein wird, wagt niemand vorauszusagen, und diese Unsicherheit ist als solche bereits ein großes Handikap der kleinen Parteien. Eine weitere Variante des bayrischen Wahlgesetzes gibt den Wählern die Möglichkeit, aus den einzelnen Wahlvorschlägen Persönlichkeiten auszuwählen, so daß sie bei der Mandatsverteilung weiter nach vorne rücken, als es dem Platz auf der Liste entspräche. Auf diese Weise ist schon mancher, der sich sicher glaubte, von den Wählern abgelehnt worden. Diese Möglichkeit ist natürlich für die beiden größeren Parteien wesentlicher, weil auf diese Weise die Verteilung der Mandate nicht im Belieben der Parteileitung steht.

Eingeweihte wissen daher, daß Franz Joseph Strauß kaum eine ernsthafte Chance besitzt, bayrischer Ministerpräsident zu werden. Sein Gegner in der CSU, der charakterstarke, betont katholische Landwirtschaftsminister DDr. Aloys Hundhammer, hat seine Anhänger in der Fraktion in dem nach dem Versammlungslokal benannten Petra-Kreis gut organisiert. Hundhamner, dessen Anhängerschaft zu schwach ist, um ihm den Ministerpräsidentensessel zu garantieren, hat inzwischen auch versucht, in protestantische Kreise vorzudringen. Unabhängig voneinander ließ er sich in den Wochen-jeitungen „Die Zeit“ und „Christ und Welt“, dem politischen Organ der deutschen Protestanten, als künftiger bayrischer Ministerpräsident feiern.

1. Juli an ein zweites Programm ausstrahlen sollte. Die Anhänger Hundhammers erstrebten zusammen mit dem Intendanten des Bayrischen Rundfunks, Wallenreiter, ein eigenes Zweites Fernsehprogramm, das sich an das österreichische und schweizerische Programm anlehnen sollte, und wollten daher den Vertrag ablehnen. Die Anhänger Eberhards setzten sich mit allen Mitteln für die Annahme des Vertrages ein. Der über das eigene bayrische Fernsehprogramm entstandene Riß ging aber nicht nur durch die CSU, wenn der Streit dort auch am lautstärksten ausgetragen wurde, er ging auch durch die SPD, deren betont bayrischer Flügel unter dem ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Wilhelm Högner gegen den Vertrag stimmte. Die einzige Partei, die hier konsequent einen bayrischen Standpunkt vertrat, war die Bayernpartei, die sich damit eine gute Ausgangsposition schuf. Da das ganze aber als Auftakt des Streites um den künftigen bayrischen Ministerpräsidenten galt, so hat sich nun die Ansicht gebildet, die Bayernpartei bilde sozusagen den verlängerten Hund-hammerflügel. Ihre Anhänger errechnen sich aus dem Feldgeschrei „Mit Hundhammer gegen Bonn“ eine ähnliche Chance, wie sie im vergangenen Jahr von der FDP mit dem Wahlschlager „Für Erhard in ein bürgerliches Kabinett ohne Adenauer“ erwachsen war.

Aber die Bayernpartei hat mit dem schweren Handikap zu kämpfen, daß ihre profiliertesten Politiker, Professor Baumgartner und der frühere Innenminister Geiselhöringer, 1959 beim sogenannten Spielbankenprozeß weger Falsch- beziehungsweise Meineid zu Gefängnis und Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Sie geht mit einet wenig bekannten zweiten Garnitur unter dem persönlich lauteren, abei nicht gerade sehr zugkräftigen Rechtsanwalt Panholzer in den Wahlkampf, Wieweit freilich der Spielbankenprozeß sich noch auswirken wird, is( schwer vorauszusagen. Das ungerechtfertigt hohe Strafmaß gegen den sehi populären Prof. Baumgartner (zwei Jahre Zuchthaus) ist in weiten Kreisen als ein eindeutig politisches Urteil abgelehnt worden.

Dieses Urteil fiel weniger der CSU als der FDP zur Last, deren Vorsitzender, Haas, sich als Justizministei einen traurigen Ruhm dadurch erworben hat, daß die bayrische Justiz in seiner Amtszeit deutlich Zeichen einer politischen Richtung annahm, von denen der Spielbankenprozeß und der Fall Friedmann die auffallendsten waren. Haas hat auch als Parteiführer keine glückliche Hand bewiesen. Während die FDP bisher als eine ausgesprochene Intelligenzpartei mit einer kleinen, aber hervorragend qualifizierten Fraktion galt, setzte in den letzten Jahren eine deutliche Unterwanderung mit nationalistischen, zum Teil geradezu als nationalsozialistisch anzusprechenden Kräften ein, gegen die sich Haas völlig gleichgültig verhielt. Bezeichnend war der Fall des oberbayrischen Bezirksgeschäftsführers Alt-schäffel, der jahrelang ungehindert nationalistische und antisemitische Propaganda treiben konnte. Ihm gelang es, bei der Kandidatenaufstellung im Juli die ersten Positionen der Liste mit nationalsozialistischer Gedankengänge verdächtigen Personen zu besetzen. Erst jetzt griff, von Bonn getrieben, Haas ein und annullierte diese Wahl. Altschäffel ist inzwischen aus der Partei ausgetreten. Der Kampf um die künftige Richtung der Partei ist aber damit noch nicht zu Ende. Die Partei besitzt noch immer einen extrem nationalistischen Flügel, der sich wenig mit ihren liberalen Grundsätzen verträgt. Die Verstärkung dieser Richtung hängt zum Teil auch mit den Auflösungserscheinungen des BHE zusammen. Als Flüchtlingspartei wurde diese, nachdem die ersten Aufgaben erfüllt waren, mehr und mehr ein Re-fugium ehemaliger Nationalsozialisten aus dem Sudetenland, zu denen sich schließlich auch Alteingesessene gesellten und die den ursprünglichen Charakter der Partei veränderten. Der Versuch, den BHE durch ein Abgleiten ins nationalistische Fahrwasser zu retten, ging daher von Bayern, insbesondere von dem BHE-Abgeordneten Helmut Becher aus, der vor 1945 eine bewegte, nationalsozialistische Vergangenheit im Sudetenland hatte. Einige BHE-Abgeordnete sind in letzter Zeit, um ihr Mandat zu retten, zur FDP übergewechselt und haben dessen Unterwanderung verstärkt. Ob die FDP dadurch an Wählerstimmen gewinnen wird, muß füglich bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher ist es, daß sie dadurch auch noch die unbedingt nötigen zehn Prozent in Unterfranken verliert.

In diesen ungeklärten Verhältnissen der kleinen Parteien liegt die Chnnce der SPD. Sic wird sicher unter denjenigen an Stimmen gewinnen, die Gegners der CDU sind. Die SPD sucht daher in erster Linie auch bei den heimatverbundenen Wählern durch ein ganz auf Bayern abgestelltes Wahlprogramm zu werben. Anderseits muß sie sich aber darüber im klaren sein, daß ein Verschwinden der drei kleinen Parteien der CDU sicher mehr als 60 Prozent der Mandate einbringen würde und der Gewinn an Mandaten durch den Verlust an Koalitionsmöglichkeiten aufgewogen würde.

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